Petra Heinen
Eldorad
Zeit der Veränderung
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Inhaltsverzeichnis
Titel Petra Heinen Eldorad Zeit der Veränderung Dieses ebook wurde erstellt bei
Ankunft
Tore
Robert Galen
Curfeld
Gespräche und Gefechte
Stefan Esterhazy
Die große Halle
Alltag
Tore kämpft
Aufbruch
Bewährung
Bewährung II
Im Lager
Auf See
Im Kampf
Heimkehr
Nachspiel
Vorbereitungen
Der Krieg
Die Entscheidung
Wie es weiter geht…..
Impressum neobooks
Göttermond
Der Reiter näherte sich Undidor über die Hochebenen. Das Land war weit und nur wenige Dörfer unterbrachen die braune Eintönigkeit der Steppe. In seiner Kargheit erinnerte es ein wenig an seine Heimat. Er mied menschliche Behausungen so gut es ging, ohne ihnen auffällig auszuweichen. Später einmal würden sich die Menschen erzählen, dass er dort vorbei geritten sei, hier Brot und Käse, dort Bier oder Wein gekauft hatte, ohne jemals die Nacht unter einem Dach zu verbringen. Man würde sich an die befehlsgewohnte Stimme erinnern, die unbestimmte Aura von Gefährlichkeit und Gewalt, die jegliche Fragen im Keim erstickte.
Obwohl er eben diesen Weg gewählt hatte, weil er ihn weit nach Brandai hineinführte, ohne dass er befürchten musste, aufgehalten zu werden, war er doch verwundert, wie leicht es war, bis zur Hauptstadt vorzudringen. Daheim hätte man ihn wenige Stunden nach Überschreiten der Grenze abgefangen. Daheim hätte...DAHEIM GAB ES NICHT MEHR.
Durch das fruchtbare Tiefland ritt er nachts. Felder erstreckten sich soweit das Auge reichte, dann wieder breiteten sich lichte Buchenwälder aus und wölbten ihre Kronen wie ein Dach über dem einsamen Reiter. Alles war sanft und gebändigt, selbst die Luft schien ihm weich und süß und er fragte sich, wie in einem solchen Land Krieger aufwachsen konnten, die seinen Heeren widerstanden.
In der letzten Nacht ritt er nur so lange, bis er die Mauern von Undidor vor dem breiten Band des Branduin erkennen konnte. Der Hellmond nahm bereits ab, aber noch gab seine Sichel genug Licht für einen ersten Eindruck. Er musterte die vorgelagerten Verteidigungswälle, die zyklopenhaften äußeren Mauern, den aufsteigenden Ring der inneren Festungswälle und schließlich die schlank wirkenden Türme der Burg Telmhorst, die sich aus der Mitte der Stadt erhob. Ganz versunken in den Anblick war er in diesem Augenblick nur Stratege, schätzte die Verteidigungsstärke der Stadt, verglich die Möglichkeiten einer Belagerung mit denen eines direkten Angriffs, überschlug Aufwand und Verluste, alles innerhalb weniger Herzschläge, und setzte sich schließlich seufzend im Sattel zurecht. Die Berichte seiner Spione stimmten mit den alten Mythen überein. Undidor war praktisch nur durch einen Verrat zu erobern. Fürst Elder hatte zurecht einen Feldzug gegen die Hauptstadt des Reiches abgelehnt. „Besiege das Land. Treibe die Flüchtlinge in die Stadt und lass sie dort verhungern. Wir brauchen nicht Undidor, wenn uns das Land gehört. Sollen die Derengolds doch eine Weile hinter den Mauern weiter herrschen, irgendwann fällt uns die Stadt in die Hände wie ein reifer Apfel.“
Es war schwerer geworden, als Elder von Gorderley prophezeit hatte. Natürlich war jeder Gorderleyritter soviel wert wie drei Brandai, aber der König wurde von den meisten einflussreichen Häusern unterstützt. Die Krieger aus Gorderley hatten das Land verwüstet, Dörfer verbrannt, tausende von Brandai in die Sklaverei verschleppt, aber das eroberte Gebiet entglitt der Kontrolle, sobald sie weiterzogen. „Wir gewinnen die Schlachten, aber wir verlieren stets mehr als unser Gegner. Jeder tote Gorderley reißt ein Loch, jeder tote Brandai wird durch einen anderen ersetzt. Mögen sie noch so schlecht ausgebildet sein, ihre Masse wird uns irgendwann in Schwierigkeiten bringen.“ Wann hatte er diese Worte gesagt? Ihm schien es hundert Jahre her, dass er mit dem Fürsten über die Änderung ihrer Strategie gesprochen hatte, und doch hatte er erst vor kaum einem Monat Burg Witstein verlassen.
Er verscheuchte die Erinnerung an die klare kalte Helligkeit der Hochebene mit einem unwilligen Kopfschütteln. Auch das würde es für ihn nicht mehr geben.
Die Stute schnaubte und wandte den Kopf, um ihn anzusehen. Er stieg ab und zog sie in die Büsche. Diese Nacht konnte er noch unter freiem Himmel verbringen, seine Mission würde weitaus wirkungsvoller sein, wenn er Undidor am Vormittag erreichte.
Als er am folgenden Morgen aufstand, war ihm weder Eile noch Zögern anzumerken. Er sattelte die Stute sorgfältig, kämmte die auf der Reise verwilderte Mähne glatt und prüfte den Sitz seines Schwertgurtes, bevor er durch die Büsche zur Straße hinab ritt. Noch herrschte dort wenig Verkehr. Die Bauern, die ihre Waren auf den Markt nach Undidor brachten, waren schon längst vorbei gezogen, um bei Sonnenaufgang ihre Stände in der Stadt aufzuschlagen. Für fahrende Händler und Reisende war es noch zu früh, so dass nur wenige Menschen dem Reiter begegneten. Aber je näher er den Toren von Undidor kam, desto lebhafter wurde das Getriebe. Dennoch musste er nicht einmal sein Pferd zügeln oder gar anhalten. Entgegenkommende Reiter und Fahrzeuge wichen zur Seite und hinter ihm hing Schweigen über der Straße. Die Menschen steckten flüsternd die Köpfe zusammen und sahen ihm furchtsam nach. Nicht wenige riefen die Unsterblichen um Schutz an, wenn sie seinen unbeteiligten Blick über sich gleiten spürten. Längst mussten die Wachen vor den Stadttoren ihn bemerkt haben. Mit jenem rationalen Teil seines Verstandes, der unbeeindruckt von allem Geschehen ständig Informationen sammelte und wertfrei betrachtete, fragte er sich, ob der König von Brandai dem üblichen Fehler der feudalen Gesellschaft erlegen war: Im Allgemeinen waren es nicht die fähigsten Leute, die zum Wachdienst bestellt wurden. Er schob auch diese Gedanken fort, denn es spielte keine entscheidende Rolle, wer ihn empfing. Der Weg war vorgezeichnet und er musste ihn gehen, eine unfähige Wache mochte eine Verzögerung bedeuten, aufhalten konnte sie ihn nicht.
Die beiden Posten sahen ihm aufmerksam entgegen. Er ritt auf sie zu, bis sie die Lanzen erhoben. Die Stute verhielt ohne ein sichtbares Zeichen ihres Reiters eine Handbreit vor der vordersten Lanzenspitze. Der zweite Posten legte seine rechte Hand auf den Knauf seines Schwertes und ließ dabei den Ankommenden keinen Herzschlag lang aus den Augen.
Für einen Moment war es still, es schien, als drängen die Geräusche der schweren Wagen, die Stimmen der Menschen hinter den Toren, selbst die morgendlichen Vogelrufe nicht mehr zu den drei Männern vor. Dann sprach der Reiter: „Ich bin Roman von Gorderley. Ich komme, um mit Melgardon Derengold zu sprechen.“
Hinter ihnen kreischte eine Frau auf, Raunen erhob sich und erstarb wieder. Es hatte sich ein freier Raum um sie gebildet, doch nun wichen die Menschen noch weiter zurück. Die beiden Wachen waren blass geworden und die Hände des einen krampften sich um den Lanzenstiel. Die Stute bewegte sich keinen Millimeter, aber Roman spürte ihre Unruhe und fragte sich, was er tun würde, wenn dieser Mann sie verletzte. Er starrte den Posten an und befahl ihm wortlos, die Lanzenspitze zu senken.
Es funktionierte beinahe. Der Mann schluckte und richtete die Waffe auf den Reiter. „Wagt nicht, Euch zu bewegen. Ich habe keine Angst vor Euch“, der hysterische Ton strafte seine Worte Lügen. Der zweite Posten hatte sich besser in der Gewalt. Er war einen Schritt zurückgetreten und musterte den Fremden, der sich für den meistgehassten und gefürchteten Mann im Reich ausgab. Roman von Gorderley. FÜRST Roman von Gorderley - wenn man den Gerüchten glauben wollte, hatte er sogar Anspruch auf einen Prinzentitel - wurde als vollkommener Krieger beschrieben. Nicht einmal seine Feinde bestritten seine Fähigkeiten. Kein Mensch konnte ihn im Zweikampf schlagen und es gab unzählige Geschichten, in denen er Drachen und Dämonen bekämpfte, allein ganze Heere besiegte und niemals auch nur einen Kratzer davontrug. Erek hatte die Erzählungen bisher für Märchen oder zumindest Übertreibungen gehalten, aber nun stand dieser Mann leibhaftig vor ihm. Würde er sich in die Hauptstadt seiner Feinde wagen, wenn er nicht sicher war, unbeschadet zu entkommen? Vielleicht stimmten ja auch die Erzählungen über sein Geisterpferd, das sich in eine Gewitterwolke verwandeln konnte und seinen Herrn darin aus jeder Gefahr davontrug.
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