„Was erhält ein brandainischer Bauer, wenn er einen Feldzug überlebt?“, stellte der Fürst eine Gegenfrage.
Curfeld sah ihn verwirrt an. „Was sollte er erhalten? Er kehrt zurück in sein Dorf. Mit dem Plünerlohn, wenn es etwas zu plündern gab.“
„Genau“, nickte Roman, aber als Curfeld schwieg, schüttelte er verwundert den Kopf. „Ist das denn so schwer zu begreifen? Ihr holt Eure Bauern aus ihren Dörfern und schickt sie in den Krieg für das Reich. Sie erhalten keine Ausbildung, keine anständige Kleidung, nicht einmal genug zu essen und kaum Aussicht auf Lohn. Wenn Eure Götter sie überleben lassen, schickt man sie heim. WOFÜR sollen sie kämpfen? Wisst Ihr, dass wir bei Eurem Fußvolk mit einem Verhältnis von 5 zu 1 rechnen? Ein gordischer Krieger, ich spreche nicht von den Rittern, sondern von den einfachen Kriegern, kann es mit fünf Eurer Bauern aufnehmen. Ist Euch das nie aufgefallen?“
Curfeld senkte den Blick auf seine gefalteten Hände. Doch, natürlich war der Umstand auch den Anführern in Brandai nicht entgangen. Aber es war bisher nicht von Bedeutung gewesen, es gab ja so viele. Die Unfreien gebaren genug Kinder, um das Heer immer wieder aufzufüllen. Manche höheren Adligen behaupteten sogar, dass ohne die ständigen Kriege die Armen überhand nehmen würden. Doch der Fürst hatte recht: Ihre zahlenmäßige Überlegenheit brachte den Brandai keinen Vorteil im Krieg gegen das Fürstentum. Aber wie sollte man das ändern? Was der Fürst forderte, kostete Zeit und vor allem Gold, viel Gold.
Plötzlich schien ihm seine Aufgabe unlösbar. Nicht nur Zeit und Gold waren nötig, sondern ein vollständiges Umdenken. Es war eine Ironie des Schicksals, das ausgerechnet ein Gorderley ihm zu mehr Menschlichkeit riet! Curfeld stützte den Kopf in die Hände und starrte eine Weile auf die blanke Tischplatte. Dann atmete er tief durch und sah auf. „Ich spreche heute noch mit den König und reite morgen nach Großfellen, dem Stammsitz meiner Familie. Wer anders als ich selbst könnte den Anfang machen.“ Er stöhnte: „Schuhe, Kleidung, gutes Essen… man wird Anwerber überrennen.“
„Wäre das nicht in Eurem Sinn?“, lächelte der Fürst spöttisch.
Curfeld erhob sich. „Wenn Ihr erlaubt, beenden wir unser Gespräch für heute. Es ist alles nicht so einfach, wie Ihr vielleicht denkt.“
Der Fürst begleitete den Brandai zur Türe. „Ihr wollt Berge versetzen, nicht ich.“
„Die Schwierigkeit ist nicht der Berg, Fürst Gorderley. Jeder kann Berge versetzen, wenn er sich nur entschließt, anzufangen. Das Problem ist die Zeit.“
Nachdenklich musterte Roman den Ritter. Der Brandai hatte ihn schon damals beeindruckt, als er in aussichtsloser Lage so stolz seine Haltung wahrte. Curfeld würde nicht aufgeben für sein Ziel zu arbeiten, egal wer oder was sich ihm entgegen stellte. „Wenn jemand einen Weg findet, die Zeit anzuhalten, seid Ihr es“, antwortete er knapp und entließ den erstaunten Curfeld mit einer angedeuteten Verbeugung in den Vormittag.
Wenige Stunden später machte er sich auf den Weg in die Burg. Roman hatte den König seit der Aussprache nicht mehr gesehen und das zweite Treffen immer wieder hinausgezögert. Diese letzte Beichte war die schwerste und erst Curfelds verzweifelte Entschlossenheit brachte ihn dazu, sich auf seine Aufgabe zu besinnen. In den königlichen Audienzräumen bat man ihn zu warten, dann wurde er weiter vorgelassen und musste beim königlichen Sekretär nochmals sein Anliegen vorbringen. Er wusste, dass man ihn schikanierte und blieb gelassen, als die Zeit verstrich. Man hatte ihn in ein kleines Zimmer geführt, dessen Wände mit Seidentapeten ausgekleidet waren. Eine gepolsterte Bank mit einem Bezug im gleichen Muster lud zum Sitzen ein, aber Roman ging langsam hin und her, blieb manchmal an dem hohen Fenster stehen, um in einen kleinen Hof hinab zusehen, wo der Schatten eines kümmerlichen Baumes langsam voran schlich, ohne dass etwas geschah. Schließlich nahm er doch Platz und lehnte sich zurück. Er bezweifelte, dass er auf Veranlassung des Königs warten musste, aber seine Stellung erlaubte ihm keinen Protest, obwohl ihn verärgerte, nicht einmal etwas Wasser angeboten zu bekommen. Die Brandai missachteten die grundlegenden Formen von Höflichkeit und Gastfreundschaft, wie sie in Gorderley sogar einem Feind entgegen gebracht wurden.
Die Sonne hatte ihren ihren höchsten Stand längst überschritten als der Sekretär erschien und verkündete, der König sei bereit, ihn zu empfangen. Wortlos folgte Roman dem Hofbeamten durch verschiedene Vorzimmer bis zu einer Tür, vor der ein Wachposten stand. Der Sekretär öffnete die Türe und wich zur Seite, so dass Roman an ihm vorbei die Arbeitsräume des Königs betreten konnte.
König Melgardon saß an einem mit Schriftrollen und Pergamenten bedeckten Tisch und blickte bei seinem Eintreten auf. Auf sein Zeichen zog sich der Sekretär zurück und schloss die Türe. Roman lauschte einen Moment auf das Klacken, mit dem das Schloss einrastete und hoffte, dass er in diesen Räumen vor Lauschern sicher war. Sein letztes Geständnis war nur für den König bestimmt. Als er niederknien wollte, erhob sich Melgardon und kam ihm entgegen.
„Das ist nicht notwendig.“
Roman hielt inne und sah ihn fragend an. In Gorderley war es unüblich, dass die Ritter vor dem Regenten knieten, doch in Brandai gehörte es zum angemessenen Verhalten jedes Untereren gegenüber seinem Herrn und er war willens, sich diesem Brauch zu fügen. Melgardon jedoch schüttelte den Kopf: „Spart Euch das für die offiziellen Anlässe, Fürst Gorderely. Ich bedaure, dass es dort unverzichtbar bleibt.“
Noch immer schien Melgardon die Wendung der Geschicke wie ein Traum und vor den Augen des Hochadels würde der Fürst seine Ergebenheit bezeugen müssen, um den fragilen Frieden innerhalb Brandais Ritterschaft nicht zu sprengen, aber er hatte nicht vor, den Gorderley mehr zu demütigen als notwendig. Mit einer einladenden Handbewegung geleitete er den Fürsten zu einem Sessel am Fenster, nahm in einem zweiten Platz und schenkte selbst aus einer Karaffe Wasser in zwei geschliffene Gläser. „Wein?“
Roman von Gorderley schüttelte den Kopf und der König lehnte sich zurück. „Fürst Gorderley, was führt Euch zu mir?“, fragte er ohne lange Einleitung.
Roman drehte das Wasserglas in der Hand und betrachtete einige Herzschläge lang die Lichtreflexe der Sonne im glitzernden Kristall. Obwohl es unhöflich war, nicht sofort zu antworten, brauchte er noch einen Augenblick, um Kraft zu sammeln für das Geständnis. Er trank einen Schluck und nach einer Pause einen weiteren, bevor er das Glas zurück stellte und den König ansah. „Herr“, begann er, „es gibt noch etwas, das Ihr wissen müsst.“
Als er endete, schwieg der König lange, bevor er ruhig fragte: „Elder von Gorderley benutzt also dunkle Magie. Ist das der Grund für Eurer Hiersein?“
Das Gesicht des Gorderley war eine starre Maske. Die Preisgabe dieser Wahrheit musste ungeheuer schmerzlich für ihn sein. Seine Stimme war tonlos, als er antwortete: „Der Fürst verrät Gorderley und alles, wofür das Fürstentum steht. Wir haben schon immer die dunklen Kräfte in Eldorad bekämpft. Fürst Elder gibt Gorderleys Seele preis. Ich verrate das Land, aber wenn Brandai das Fürstentum erobert, wird es frei untergehen und die Menschen können ihren Stolz bewahren auf das, was gewesen ist.“
Roman von Gorderley gab sich keine Mühe, die Abscheu vor seiner eigenen Tat zu verbergen. Die Wiedereingliederung Gorderleys in das Reich war eine Niederlage, das Ende eines fast tausendjährigen Ringens um Eigenständigkeit. Statt den Thron von Brandai zu erobern und das Reich unter seiner Herrschaft zu vereinen, wie es noch vor wenigen Monaten möglich schien, gab er seine Heimat in die Hände und Gnade des Königs, den er Zeit seines Lebens bekämpft hatte. Melgardon bedauerte, dass der junge Fürst nicht in der Lage war, darin die Chancen für einen Neuanfang zu sehen. Aber darum konnte man sich später kümmern, zunächst musste die Schlacht geschlagen werden. Er trommelte mit den Fingern auf der Armlehne. „Es wird nicht leichter werden. Aber vielleicht bringt es uns auch einen Vorteil, mit dem der Fürst nicht rechnet.“ Nachdenklich legte er die Hände zusammen: „Die Stärke Eurer Armee war immer ihr Zusammenhalt, über die kämpferischen Eigenschaften hinaus. Elder von Gorderley kann die Magie nicht offen nutzen, das würde seinen Wahnsinn jedem deutlich machen.“
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