Curfeld hatte die Hand bereits am Türgriff und drehte sich nicht um als er antwortete: „Ich auch, Fürst Gorderley, glaubt mir, ich auch.“
Die Tür schloss sich hinter ihm. „Das hatte ich noch vergessen zu nennen,“ murmelte Roman, „ein unerschütterlicher Humor.“
Männer wie Curfeld waren ein Glück für jeden Herrscher und es sprach für den König, dass er den jungen Adligen so sehr gefördert hatte. Doch er war nur einer von wenigen, Gorderley hatte viele seinesgleichen und in den zwei Jahren würde Elder von Gorderley nicht untätig bleiben und die Lücke, die seine Fahnenflucht gerissen hatte, adäquat füllen.
Curfeld hatte recht. Wenn Brandai eine Chance bekommen sollte, war sein erster Verrat nicht genug. Er fühlte nach dem Amulett an seinem Hals. Der Preis stieg.
Scheumond/Wandermond
Curfeld ließ sich nicht lange Zeit und besuchte schon in der folgenden Woche mehrfach den Fürsten. Er wusste, dass der Umbau der Armee Brandais alle seine Kräfte und vor allem seine Diplomatie verlangte, um die störrischen Adligen im Reich von seinen Maßnahmen zu überzeugen. Trotzdem fiel es ihm schwer, die Kritik des Fürsten hinzunehmen. Anfangs war Roman von Gorderley nur auf Nachfrage zu Kommentaren oder Vorschlägen zu bewegen, aber nach und nach packte ihn die Herausforderung der Materie und sie diskutierten bei jedem Treffen lebhafter – nun, gestand sich Curfeld ein, so lebendig wie es möglich war, wenn er selbst sich mühsam zurückhielt und versuchte, den gemessenen Tonfall zu finden, der ihn damals, als er gefangen im Zelt des Fürsten saß, so beeindruckt hatte.
Roman von Gorderley wies schonungslos auf die Mängel in Struktur und Organisation des brandaianischen Heeres hin und bestand darauf, bestimmte Anführer einfach abzusetzen, oder Befehlshierarchien zu verändern. Der Fürst akzeptierte nicht, dass es so unendlich viele Rücksichten zu nehmen galt. Die Adligen hatten dem König Treue geschworen und standen weitgehend zu ihren Eiden, aber untereinander gab es ein vielschichtiges Spiel um Einfluss, Gold und Positionen. Curfeld hatte zwar die volle Unterstützung des Königs, aber nicht unbedingt die der einflussreichen Familien, auch wenn das dem gordischen Fürsten schwer zu vermitteln war.
Überrascht hörte er deshalb zu, als der Fürst eines Tages eröffnete: „Ich habe über Eure Argumente nachgedacht und vielleicht muss man die Sache anders angehen. Von unten.“ Curfeld saß aufrecht auf dem einfachen Holzstuhl im Haus des Fürsten. Lieber wäre ihm für ihre Gespräche die komfortable Atmosphäre seiner eigenen Gemächer in der Burg gewesen, aber er konnte schlecht den Fürsten dorthin zitieren, ohne dass es einer Beleidigung gleichkam. Er hatte Roman von Gorderley angeboten, angemessenere Räumlichkeiten zu besorgen, aber der Fürst hatte abgelehnt.
Gespannt sah Curfeld ihn an und Roman fuhr fort: „Die einzelnen Ritter sind durchaus motiviert und ihr Stolz auf Brandai treibt sie an. Die Schwierigkeit ist, dass sie nur für sich handeln. Das gilt noch mehr für Eure Anführer, die zwar gute Krieger sind, aber nur selten strategische Talente.“
„Terweg war der Beste“, rutschte es Curfeld heraus, aber der Fürst stimmte nüchtern zu: „Ja, Terweg behielt stets die Übersicht, ein gefährlicher Gegner.“ Er erinnerte sich noch gut an seine Befriedigung, als er den brandaianischen Anführer in der Schlacht bei Langweiler tötete. Fast wäre Gorderley dort gescheitert, doch mit Terwegs Tod wendete sich das Blatt. Die Brandai verloren den Mut und flohen planlos vom Schlachtfeld. Nur das Erscheinen des Königs hatte einen glorreichen Sieg Gorderleys vereitelt. Melgardon konnte seine Truppen wieder bündeln und einen geordneten Rückzug organisieren. Der König war ohne Zweifel ein Pluspunkt auf der Seite Brandais, möglicherweise ein gleichwertiger Gegner für Elder von Gorderley. Berücksichtigte man die erschwerten Umstände, unter denen Melgardon sein Heer führen musste, war er wahrscheinlich der beste König aller Zeiten für das Reich.
„Eure einfachen Kämpfer sind nicht mehr als Bauern, denen man ein Schwert in die Hand drückt. Soweit ich gesehen habe, haben sie oft nicht einmal Schuhe an den Füßen. Ihre Ausbildung besteht darin, sie in den Kampf zu schicken. Ihr einziger Vorteil ist ihre große Zahl“, fuhr er fort, „wenn Ihr Eure Adligen dazu bringt, ihre Bauern zu schulen, erreicht Ihr gleich mehrerlei: Erstens sterben sie nicht so schnell. Zweitens lernen die Kommandeure die Stärken und Schwächen ihrer Krieger kennen. Drittens, und das ist vielleicht das Wichtigste, entsteht Vertrauen auf beiden Seiten. Die Anführer werden Männer, die sie kennen, nicht mehr sinnlos in den Tod schicken, und wenn die einfachen Krieger das spüren, werden sie besser und stolzer kämpfen, und verlässlicher.“ Roman verstummte und studierte Curfelds aufmerksames Gesicht. „Wenn es so schwer ist, wie Ihr sagt, Eure höchsten Ritter zum Umdenken zu zwingen, dann fangt unten an. Lasst die Bauern drillen von den einfachen Rittern und sorgt dafür, dass diese nicht gefürchtet, sondern respektiert werden.“
„Ihr kennt alle Eure Krieger persönlich?“, staunte Curfeld.
Roman schüttelte den Kopf. „Nicht alle namentlich, aber doch viele von ihnen. Und von meinen Kommandeuren verlange ich..“, er brach ab und korrigierte sich, „von meinen Kommandeuren habe ich verlangt, dass sie über ihre Männer Bescheid wissen. Je tiefer in der Befehlskette jemand steht, desto besser muss er die ihm unterstellten Männer kennen. Die kleinste Einheit in Gorderley ist ein Paar, machmal ein Doppelpaar . Jeweils zwei bis vier Krieger bilden eine Gruppe, die füreinander verantwortlich ist. Sie werden befehligt von einem Dom, der bis zu zwanzig Paare führt. Über dem Dom steht ein Gruppenführer, der 3-5 Einzelgruppen unter sich hat, und wiederum den Hauptleuten untersteht, die für größere Einheiten zuständig sind. Die höchsten Ränge haben die Unterführer, zur Zeit meiner Abreise gab es sieben, und meine beiden Anführer Rascal und Timbermeyn, die mir direkt unterstellt waren.“ Er lehnte sich zurück und ließ die neuen Informationen auf Curfeld wirken.
Der seufzte innerlich. Die Regelungen waren beneidenswert klar. In Brandai bestimmte der Reichtum eines Adligen die Größe des Kontingentes an Rittern, die mit ihm in die Kriege zogen, und nicht minder seine persönliche Bereitschaft, die Männer der eigenen Dörfer zum Kriegsdienst zu zwingen. Zudem galt es, die eigene Familie mit Positionen im Heer zu versorgen, dieses Recht würde keine Familie aufgeben wollen. Geradezu utopisch schien die Vorstellung, dass ein Ritter für sein Fußvolk verantwortlich sein sollte. Die Landknechte mussten gehorchen und mit ihren Körpern den Feind aufhalten, bis ein Ritter den Kampf aufnahm, dafür waren sie da. Curfeld wäre nie einfallen, sie als Krieger zu betrachten und er überlegte mit einem Anflug von Schuldgefühl, dass er von den Feldknechten, die seine Familie dem König stellte, keinen einzigen kannte. Es waren wahrscheinlich immer andere, da die Bauern, wenn sie erst einmal heirateten, nur ungern ihre Höfe verließen und man gewöhnlich die ungebundenen jungen Männer zum Dienst heranzog.
„Ich habe keine Zeit, mich mit ein paar Bauern durch die Felder zu schlagen“, wandte er vorsichtig ein. Ernst entgegnete der Fürst: „Aber Ihr könnt dafür sorgen, das es jemand anderes macht, dem wiederum Ihr vertraut. Ach, Ihr solltet sie außerdem ausreichend verpflegen.“
„Die Landknechte müssen von ihrem Heimatdorf versorgt werden“, erklärte Curfeld, und verstummte, denn er begriff plötzlich, was der Fürst sagen wollte. Das Versorgungssystem des Heeres war Teil des langen Gespräches beim König gewesen, Zollberg hatte immer wieder in diesem Punkt nachgefragt. Die Feldknechte in Brandai bekamen nur einfache Kost und litten oft Hunger, wenn sie aus der Heimat nicht genug Nahrung erhielten, was in Kriegszeiten eher die Regel war. Aber sollte ein Bauer speisen wie ein Ritter? Der Gedanke war absurd und dennoch lag es auf der Hand, dass ein wohlgenährter Kämpfer sich nicht nur besser schlug, sondern auch motivierter war. „Wollte Ihr wirklich sagen, dass die gordischen Krieger so gut kämpfen, weil sie gut essen können?“, fragte er trotzdem ungläubig.
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