„Noch bleibt Ihr am Leben“, verkündete Julian, „Euer König hat sich hinter die Furt zurückgezogen.“
Mehrmals betraten nun Krieger das Zelt, die in schnellem Gordisch mit dem Knappen sprachen, offensichtlich gaben sie Lageberichte ab. Julian schien ein erstaunliches Gedächtnis zu besitzen, wie sein toter Bruder, erinnerte sich Curfeld, der immer noch versuchte, das Geschehen zu verfolgen.
Dann wurde es wieder still und der Tag zog vorbei. Curfeld sah, dass der Knappe zunehmend unruhiger wurde. Immer wieder sprang er auf und spähte aus dem Zelt und sprach mit anderen Gorderley. Im Laufe des Nachmittages nahmen die Stimmen zu, die üblichen Lagergeräusche wurden lebendiger und lauter. Und dann hörte Curfeld wie direkt vor dem Zelt ein Pferd hielt. Im nächsten Augenblick stand der Fürst im Eingang. „Herr, Ihr seid zurück.“ Julian sank vor dem Fürsten in die Knie, griff nach seiner Hand und küsste den Handschuh. Roman von Gorderley sah kurz auf den gesenkten Kopf und zog den Knappen dann auf die Beine. „Steh auf, es gibt viel zu tun.“ Er überflog mit einem Blick das Zelt, blieb an dem Brandai hängen und schritt dann zu seinem Lager, während er den Schwertgurt öffnete und Julian reichte. „Bring mir Wasser und etwas zu essen. Herr Timbermeyn zu mir, sobald er da ist, lebt Rascal noch? Gut, in einer halben Stunde. Wie steht es hier?“
Curfeld bemerkte, dass der Fürst wieder Brando sprach. Julian antwortete ebenso, so dass er an ihrem Gespräch teil hatte. Er zerbrach sich den Kopf, was der Gorderley damit bezweckte, bis ein erschrockener Ausruf Julians ihn aus den Grübeleien riss: „Herr, Ihr seid verwundet, lasst mich das ansehen.“
Curfeld reckte sich neugierig, aber die beiden Gorderley befanden sich nicht in seinem Blickfeld.
„Terweg war ein harter Gegner. Er focht mit einem gordischen Schwert. Aber das kann warten.“ Doch der Knappe gab nicht nach. „Herr, es ist tief, es könnte Dreck in der Wunde sein, bitte ..“ Ein paar Atemzüge blieb es still, dann hörte Curfeld erneut den Fürsten: „Du bist ungehorsam, Julian“, aber er hätte geschworen, dass trotz der ernsten Worte ein Schmunzeln in dem Tonfall lag. „Ich bitte um meine Bestrafung“, Julian ließ sich nicht ablenken und hantierte im Hintergrund, Curfeld konnte nur seinen Schatten auf der Zeltwand erkennen. „So, nun ist die Wunde sauber. Sie ist tief aber glatt. Lasst mich einen Verband anlegen Herr.“ Ein Seufzer zeigte das Nachgeben des Fürsten an. Schließlich standen beide auf. „Wie lauten deine Befehle?“
„Wasser und Brot für Euch, Timbermeyn und Rascal zur Besprechung. Ich melde mich beim Stockmeister“, Julian zögerte einen Augenblick und setzte hinzu, „10 Hiebe?“.
„Für dich sind es Herr Timbermeyn und Herr Rascal! Und acht Schläge sollten genügen.“ Der Fürst gebot ihm mit einer Handbewegung sich zu entfernen und sah dem davon eilenden Knappen sinnend nach bevor er sich Curfeld zuwandte.
„Nun, es stellt sich die Frage, ob Ihr erfreut oder enttäuscht seid. Langweiler bleibt in gordischer Hand. Eure Truppen mussten abziehen. Das heißt, Ihr lebt noch ein wenig weiter.“
Der Fürst war seit einer Nacht und einem Tag auf den Beinen, hatte zwei Gewaltritte und eine Schlacht hinter sich und war verletzt worden, aber er wirkte so frisch wie am Abend zuvor. „Ihr habt es bis Langweiler geschafft?“, fragte Curfeld ungläubig. „Natürlich. Was habt Ihr denn geglaubt?“, lächelte der Fürst spöttisch und musterte die Fesseln des Brandai.
„Haben wir verloren?“
Der Fürst setzte sich auf den Hocker, der von Julians Wache noch immer dort stand. Jetzt zeigte sich doch ein Anflug von Müdigkeit in seiner Haltung. Er sah Curfeld nachdenklich an. „Aus der Sicht Eures Königs hat Brandai wohl verloren, würde ich sagen. Ihr habt Euer Ziel, Langweiler und den Pass einzunehmen nicht erreicht. Eure Truppen lecken sich die Wunden.“
Curfeld schloss die Augen. Monatelange geheime Vorbereitungen, all die Planungen waren zunichte gemacht worden von einem einzigen Mann. Schlimmer, sie waren eigentlich gescheitert an ihrer eigenen Nachlässigkeit und Überheblichkeit. Verglichen mit der Aufmerksamkeit, die ihm hier zuteil wurde, musste Perceval Erkandar seine Gefangenschaft im Lager der Brandai als lächerlich empfunden haben. Curfeld stöhnte unwillkürlich auf. Der Fürst nickte, als kenne er seine Gedanken und sprach weiter: „Aber falls Euch das ein Trost ist, es ist auch kein Sieg für Gorderley. Melgardon erschien früher als ich hoffte und rettete Eurer Heer. Ich verlor zu viele Männer und wir gewannen gerade einmal 22 Sklaven. Das einzig Erfreuliche an diesem Tag ist der Tod von Terweg. Er wird Melgardon fehlen.“ Der Heerführer gefallen, das war eine schlechte Nachricht, vielleicht schlimmer noch, als die Niederlage selbst. Der Fürst studierte aufmerksam Curfelds Reaktion und nahm dessen Schrecken zufrieden zur Kenntnis. „Ich sehe, Ihr teilt meine Einschätzung“.
Julian kehrte mit einem Tablett auf den Armen zurück. Seine Bewegungen waren etwas eckig, er musste tatsächlich geschlagen worden sein, verlor aber kein Wort darüber, sondern stellte einen Krug, Brot, Käse und Wurst auf den Tisch. Roman setzte sich und deutete auf Curfeld. „Es ist an der Zeit, dass unser Gast zu seinem Schlaf kommt.“
Julian überlegte kurz und beschäftigte sich eine Weile hinter Curfelds Stuhl. Dann kniete er nieder und begann die Fesseln um Füße und Beine des Gefangenen zu lösen. Die Riemen um Leib und Brust wurden abgezogen bis nur noch die Hände an die Lehnen gebunden waren. Julian ging sehr konzentriert und planmäßig vor und Curfeld vermied jede Bewegung, denn er hatte das unangenehme Gefühl, dass schon ein stärkeres Zucken als Fluchtversuch ausgelegt werden könnte. Fast lachte er bei der Vorstellung, denn seine Füße waren wie abgestorben und es war unmöglich, dass er sich auch nur vom Stuhl erhob.
„Ich habe Euch schon etwas versprochen“, sagte er leise zu dem Knappen. Julian sah ihn verständnislos an und löste von der Seite die Fessel am linken Handgelenk. „Legt die Hand auf die andere“, befahl er und ging hinter dem Stuhl herum. Im nächsten Moment band er beide Hände zusammen, bevor er auch die rechte Hand von der Lehne löste. Dann trat er zurück. „Ihr könnt jetzt aufstehen“, forderte er den Brandai auf.
Curfeld machte nicht einmal den Versuch. Er würde stürzen und vor dem Knappen auf den Boden fallen. Solange er noch die Kraft hatte, sich zu wehren, würde er das verhindern. Ruhig schüttelte er den Kopf. „Das kann ich nicht“, sagte er nur.
Julian runzelte die Stirn, erst ärgerlich, dann ratlos, blickte er zum Fürsten, der am Tisch seine Mahlzeit verzehrte. Nun rückte er herum, zog sein Schwert und legte es quer über seinen Schoß.
„Ich denke, du wirst unserem Gast helfen müssen, Julian. Er scheint etwas steif geworden zu sein, trotz deiner Nachsicht.“ Also hatte er die Lockerung von Curfelds Fesseln bemerkt.
Der Knappe legte sein Schwert ab und trat nahe an den Stuhl. Wortlos bot er seinen Arm an und Curfeld zog sich auf die Beine. Wankend stand er da und versuchte die Muskeln zum Arbeiten zu überreden, während er sich schwer auf die Schulter des Knappen stütze. Plötzlich fuhr der Schmerz in seine Waden und seine Füße begannen zu prickeln. Unsicher versuchte er einen Schritt, es stach als ob er auf Messern laufen würde, aber er hielt sich auf den Beinen. Julian führte ihn um den Stuhl herum und gebot ihm sich niederzulegen. Curfeld sank widerspruchslos zu Boden und schob sich auf einen Wink des Kappen soweit seitwärts, bis er mit der Hüfte gegen einen Pflock stieß. Ein breiter Lederriemen wurde straff über seinen Bauch gezogen und an einem weiteren Pflock befestigt. Danach fesselte Julian erst eine Hand, dann die andere an zwei weit auseinander stehende Zeltpfosten. Zum Schluss wurden seine Beine am Boden fixiert. Selbst wenn Curfeld dazu in der Lage gewesen wäre, gab es während der ganzen Prozedur keine Chance für einen Befreiungsversuch. Als der Knappe mit weiteren Lederriemen neben seinem Kopf niederkniete, hörte Curfeld den Fürsten sagen: „Ich denke, das ist unnötig.“ Er hob mit Mühe den Kopf und erhaschte einen Blick auf Roman von Gorderley, der zufrieden lächelnd zu seinen Füßen stand und die Arbeit des Knappen verfolgte, worauf dieser aufstand und zurücktrat.
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