Als rundherum Fackeln angezündet wurden, duckte sich der Sklave wieder. Eine Gruppe von Männern näherte sich und als sie vor ihm standen, erkannte er zwei Sklaven, die einen dampfenden Kessel schleppten. Einen Augenblick weigerte sich sein Gehirn zu glauben, was geschah. Sie schöpften mit einer Holzschale eine dicke Suppe aus dem Kessel und reichten sie ihm. Er wagte beinahe nicht, die Hand auszustrecken, aber bei aller Brutalität waren die Gorderley niemals heimtückisch. Wenn sie Essen verteilten, durfte er es auch annehmen. Es roch gut. Es roch nach Fleisch. Er schlürfte einen Schluck und verbrannte sich beinahe den Mund. Dennoch nahm er gierig noch einen Schluck und fühlte, wie sich die Wärme den Hals hinunter in seinem Bauch ausbreitete. Wann hatte er das letzte Mal eine warme Mahlzeit erhalten?
Er schlang die Suppe hinunter und leckte die Schale aus, dann legte er sich nieder. Eine wohlige Schläfrigkeit überkam ihn und er bemerkte kaum, wie die Schüsseln wieder eingesammelt wurden. Die Steinstufen um den Brunnen waren hart und kalt, aber der Sklave drückte sich an seinen Nebenmann und schlief ein.
Ein leises Klappern weckte ihn und er fuhr auf, nur um im nächsten Augenblick zusammen zu zucken und sich zu ducken. Vorsichtig hob er ein zweites Mal den Kopf soweit, dass er auf den Platz hinaus sehen konnte. Es dämmerte gerade und im trüben Zwielicht des anbrechenden Tages sah er, wie einige Sklaven von Wächtern fortgeführt wurden. Als eine Wache näher kam, hockte er sich schnell wieder auf den Boden und wartete auf seine Bestrafung, aber obwohl der Gorderley bei vor ihm blieb, geschah nichts. Keiner der anderen Sklaven regte sich, aber an ihrem vorsichtigen Atmen erkannte er, dass sie nun auch alle erwacht waren. Zwei weitere Wächter erschienen und machten sich an den Ketten zu schaffen, dann forderte ein Knuff mit dem Stock den Sklaven zum Gehen auf. Er trabte zwischen den Gorderley über den Platz und wurde zu einer Bank dirigiert, wo man ihm die Fußschellen abnahm. Neben der Bank stand ein Bottich mit einer dampfenden Flüssigkeit. „Trink!“
Der Sklave ergriff eine seitlich hängende Kelle und schöpfte die dunkle Flüssigkeit heraus. Es schmeckte bitter, aber aromatisch, und er fühlte, wie die Wärme die Nachtkälte aus seinen Gliedern vertrieb.
„Was bedeutete dies alles?“, fragte eine Stimme in seinem Hinterkopf, aber er wollte jetzt nicht darüber nachdenken. Die Vergünstigungen seiner Herren kamen immer unverhofft. Manchmal war er nach einem Kampf nicht sofort zurück in den Kerker gebracht worden, sondern man erlaubte ihm, sich in einem kleinen Hof waschen. Hin und wieder durfte er aus einem Korb einen Apfel nehmen, ein anderes Mal war es ein zusätzliches Stück Brot. Diese Gelegenheiten kamen selten und waren nicht kalkulierbar, hingen auch nicht davon ab, ob er gut oder schlecht gekämpft hatte, sondern nur von der Gnade der Stimme . Es hatte keinen Zweck, darauf zu hoffen und es gab nichts, was er tun konnte, um in den Genuss solcher Vorzüge zu kommen. Der Sklave nahm noch einen langen Schluck und legte dann die Kelle ab. Sie hatten ihm genug Zeit gelassen, in Ruhe zu trinken, und nun trieb ihn nur ein Befehl weiter, kein Stock, keine Peitsche. Es beunruhigte ihn eher, als dass er Erleichterung verspürte. Sie verließen die Stadt wieder durch das Haupttor und bei einem schnellen Seitenblick sah er, dass überall Sklaven vor die Mauern geführt wurden. Die Stadt lag auf einem sanften baum- und strauchlosen Hügel. Hin und wieder lugten Felskanten aus der dünnen braunen Grasdecke hervor. Sie liefen einige hundert Schritt weit unterhalb der Mauern entlang und dann ein Stück den Hang hinab, bevor er den Befehl zum Stehenbleiben vernahm. „Stad“. Das war kein bloßes Anhalten, das bedeutete absolutes Stillstehen, Bewegungslosigkeit, bei der schon ein heftigeres Atmen zu furchtbaren Strafen führen konnte.
Der Sklave schloss gehorsam die Augen und verbannte jeden Gedanken aus seinem Kopf. Was auch in den nächsten Minuten geschah, er würde sich nicht regen.
Kaltes Eisen legte sich um sein rechtes Fußgelenk und eine Kette klirrte. Dann spürte er Hände im Nacken und plötzlich war der Halsring fort, im nächsten Augenblick auch die Handschellen. Wieder ein Kampf? Er konnte sich nicht daran erinnern, jemals außerhalb der Arena ohne Ketten gewesen zu sein.
Die Gorderley entfernten sich wortlos. Der Sklave hörte ihre Schritte verklingen, aber er wagte nicht, sich zu bewegen. Alles war ungewöhnlich, und das bedeutete selten etwas Gutes. Ein leichter Wind wehte über den Hügel und ließ ihn frösteln. Vorsichtig öffnete er die Augen. Um seinen rechten Fuß lag eine Kette, die im Gestein verankert war. Mehr konnte er nicht sehen, und ein unbestimmtes Gefühl im Nacken warnte ihn, den Kopf zu heben. Natürlich! Die Stadtmauer! Dort patrouillierten zweifellos Wachen, die ihn beobachteten und im Falles seines Ungehorsams schießen würden. Das war wieder ein so gewohntes Gefühl, dass er sich ein wenig entspannte. Von der Seite näherte sich jemand, dann erschien ein Schwert vor seinen Augen. „Nimm!“ Er griff die Waffe und ließ sie herabhängen. Der Gorderley entfernte sich. Der Sklave wartete geduldig zwanzig Atemzüge lang, bevor er endlich aufblickte.
Der Anblick traf ihn wie ein Schlag.
Vor ihm lag ein weiter Abhang, der an den Fuß eines neuen Hügels grenzte. Und dieser war nur der Auftakt zu einer ansteigenden Reihe von Höhenzügen, die in der Ferne die schroffen Gipfel eines Gebirges erahnen ließen.
Über ihm weißgrauer Himmel ohne Grenzen.
Soweit er blicken konnte, gab es keine Mauern, die Entfernung schmerzte beinahe in den Augen. Der Sklave rang krampfhaft nach Luft und sah langsam zur Seite. Links und rechts von ihm waren in regelmäßigen Abständen andere Sklaven an den Hügel gekettet. Er machte einige Schritte zur Seite bis die Kette spannte und überschlug die Entfernung. Es war kaum möglich, seinen Nachbarn zu erreichen, selbst wenn sie beide aufeinander zugehen würden. Offenbar galt dieser Kampf einem anderen Gegner. Er überlegte, ob er einen Blick zurück wagen sollte, um nach Tribünen auf der Stadtmauer Ausschau zu halten, aber das Risiko war zu groß, eine Wache anzusehen. Lieber ließ er die Augen über das Land streifen. Auf dem Hügel gegenüber bewegten sich Gestalten, aber der Morgendunst verhinderte, dass er sie genau erkennen konnte.
Schließlich setzte er sich auf den kalten Boden. Das Gras unter seinen Händen weckte eine undeutliche Erinnerung, die er sofort verscheuchte. Das Schwert zwischen den Knien wartete er ab.
Der Himmel hing voller Wolken und hin und wieder schwebten winzige Schneeflocken herab. Irgendwann verließ ihn auch die angenehme Wärme des Morgentrunkes und er sprang auf und hüpfte auf der Stelle, um nicht zu frieren. Plötzlich erklang ein Horn.
Es war ein klarer, weit tragender Ton, der ihn elektrisierte. Ein Schlachthorn .
Er packte sein Schwert fester und spähte den Hügel hinab. Dort kamen sie. Eine dunkle Linie bewegte sich den gegenüberliegenden Abhang hinab, zunächst langsam, dann immer schneller den Schwung ausnutzend. Wieder erklang das Horn, doch diesmal wurde es durch einen Ruf aus tausend Kehlen beantwortet. Der Sklave verstand den Schrei nicht, aber nun stürmte eine unüberschaubare Masse von riesigen, in zottige Felle oder lederne Rüstungen gehüllten Männern auf die Stadt zu. Noch bevor sie die angeketteten Sklaven erreichten, mähte ein Pfeilhagel die ersten Reihen nieder. Doch unaufhaltsam drängten die Nachkommenden vorwärts, während die Getroffenen die Pfeile aus ihren Wunden rissen, aufsprangen und ebenfalls vorwärts stürmten. Der Sklave hatte in der Arena häufig Barbaren aus den Bergen gegenübergestanden und sie als furchtbare Gegner kennengelernt. Er suchte einen festen Stand und hob sein Schwert, als es geschah:
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