Dünner Nieselregen fegte über den feuchten Sand. Das Klirren der Waffen klang heute dumpf und die Bewegungen der kämpfenden Männer schienen müder als üblich. Die Gehilfen setzten immer wieder ihre Peitschen ein, um die Sklaven anzutreiben. Der Stockmeister blickte von seinem Podest in das Rund. Ohne die einzelnen Sklaven genau wahrzunehmen, entging ihm kaum eine Bewegung. Hin und wieder wies er mit einem kurzen Befehl oder einer Handbewegung auf eine der kämpfenden Gruppen, worauf der Obergehilfe schnell einschritt, korrigierte oder strafte. „Er macht seine Sache nicht schlecht“, dachte der Stockmeister, aber ohne in seiner Aufmerksamkeit nachzulassen, beschäftigte etwas anderes seine Gedanken. Die Nachrichten aus dem Osten waren besorgniserregend. Jetzt, wo ein Großteil des Heeres an der Grenze zum Königreich gebunden war, waren Barbaren in Gorderley eingefallen, unerwartet früh, denn der Schneefall hatte noch nicht eingesetzt, und auch erstaunlich gut geführt. Sie hatten einige Güter überrannt, das östliche Bergland in Schutt und Asche gelegt und marschierten auf Qualinn zu. Die Bauernfreischaren hatten den Ansturm bremsen können, aber die Gefahr, dass die Stadt gestürmt wurde, war nicht von der Hand zu weisen. Die Vorstellung war unerträglich und der Stockmeister bedauerte zum ersten Mal, dass ihn seine Aufgabe in der Burg festhielt.
Sein Blick blieb an einer Zweiergruppe hängen. Der riesige Ostländer war ein nicht zu unterschätzender Gegner für den brandaianischen Sklaven, der eben einem mächtigen Hieb geschickt auswich und dem Barbaren mit der Spitze seines Schwertes eine feine Blutspur über den Rücken zog, die sofort auf der regennassen Haut zerlief.
Dennoch konnte er den Vorteil nicht nutzen, denn der Barbar schlug in einer kreisenden Bewegung sein Schwert zur Seite und die Wucht des Angriffs ließ den Brandai zurück taumeln. Es war eigentlich eine schöne Abfolge, aber dennoch störte den Stockmeister etwas. Er sprang von dem Podest, schritt zu dem Paar und befahl halblaut „Stad“. Der Brandai brach mitten in seiner Abwehrbewegung ab. Der Ostländer reagierte nicht so schnell. Seine Axt fuhr ungehindert auf den Hals seines wehrlosen Gegners zu. Der Stockmeister fing die Klinge mit seinem Schwert eine Handbreit vor dem Sklaven ab. Sein Gehilfe war schon heran und schlug den ungehorsamen Barbaren mit dem Stock zu Boden. Der Regen wusch das Blut der Platzwunden ab, als ihn zwei Arbeitssklaven fort schleppten. Der Stockmeister rief ihnen einige Anweisungen nach, in diesem Fall war eine Lektion in Gehorsam fällig.
Dann wandte er sich dem Brandai zu, der mit gesenktem Kopf bewegungslos stehen geblieben war. Dieser hatte seine Lektion schon hinter sich, und er hatte sie gut gelernt. Nichts an der Gestalt verriet Aufsässigkeit, Ungeduld, nicht einmal Erleichterung, dem Tod gerade noch entronnen zu sein. Er wartete einfach auf den nächsten Befehl. Der Stockmeister ging langsam um ihn herum und fragte sich, ob er nur überreizt war und Gespenster sah. Warum sollte ausgerechnet dieser Sklave, einer der problemlosesten, Zeichen von Widerstand zeigen. Er hatte seine Umkreisung beendet und musterte ihn genau. Das Wasser tropfte aus den nassen Haaren herab, es wurde Zeit, ihn zu scheren, sonst würde er Läuse bekommen, bemerkte der Stockmeister, aber seine Aufmerksamkeit galt mehr dem Gesamtzustand des Sklaven. Er suchte nach verräterisch gespannten Nackenmuskeln, nach einem leichten Zittern der Knie, lauschte auf ein gepresstes Einatmen, alles Anzeichen von geheimen Gedanken, die immer zu Ärger führten. Aber er konnte nichts entdecken. Gäbe es etwas zu verbergen, wäre der Sklave längst nervös geworden, sagte sich der Stockmeister. Trotzdem war er nicht zufrieden. „Lass ihn laufen!“ befahl er seinem Gehilfen.
„Renn“, ein leichter Peitschenhieb begleitete den Befehl und der Sklave ließ sein Schwert fallen und rannte los.
Eine Runde, zwei, drei, in der vierten Runde stolperte er das erste Mal, fing sich aber und lief weiter. Sein Tempo ließ nach, aber der Stockmeister schüttelte den Kopf, als der Gehilfe fragend die Peitsche hob. Erst als der Sklave das erste Mal stürzte, ließ er ihn beim Aufstehen antreiben. Der Brandai keuchte und holte krampfartig Luft, aber er taumelte immer weiter durch die Arena. Irgendwann schaffte er es nicht mehr, sich aufzurichten. Unter den Hieben der geflochtenen Lederpeitsche zog er sich auf Knien und Händen voran, dann Fuß für Fuß auf den Ellbogen, bis er schließlich zusammenbrach.
Dunkelheit. Schmerz. Dazwischen das Wort. Galen . Es verbiss sich in seinen Kopf. Der Sklave war zu schwach, sich zur Wehr zu setzen. Es kam immer wieder, überwand den Dämmerzustand, in dem er die Stunden im Verlies zubrachte, brachte ihn um den Schlaf und tauchte sogar in wirren Träumen auf, an die er sich nicht erinnern konnte, die ihn aber mit Sorge erfüllten.
Galen . Das Wort lenkte ihn ab, und das war gefährlich. Solange er wach war, versuchte er es zu verdrängen, aber jetzt forderten die Schmerzen seine ganze Kraft und das Wort drängte sich ungehindert heran. Ein dumpfer Gong ertönte und der Sklave erhob sich schwerfällig. Licht schien vom Gang in das Verlies als eine Wache eintrat. Der Sklave schwankte leicht und hoffte, dass der Gorderley nicht bemerkt hatte, wie spät er sich aufgerichtet hatte. Die Wache verhielt einen Atemzug lang neben ihm und er spannte die Muskeln in Erwartung eines Schlages, aber dann hörte er den kurzen Befehl und einer der anderen Sklaven wurde geholt. Als sich die Tür schloss, sank er erleichtert auf das Stroh zurück.
Er musste schlafen. Wenn er schlief konnten die Wunden heilen und er sammelte Kräfte. Die Striemen auf seinem Rücken brannten, aber die Erschöpfung war sein größerer Feind. Sein Leben erlaubte keine Kraftreserven, er brauchte seine ganze Energie für den Kampf. Im Augenblick konnte er kaum stehen, jeder Gegner würde ihn mit dem ersten Stoß nieder werfen. Und das war der Tod. Er brauchte Zeit und Schlaf. Schlaf und Zeit, Schlaf...
Galen.
Er stieß seinen Kopf auf den Boden auf, damit der Schmerz das Wort vertrieb. Diesmal funktionierte es und er schlief ein.
Er erwachte, ohne dass es einen Grund gab. Einen Moment lang glaubte er, den Gong überhört zu haben, aber in dem dunklen Raum gab es kein Geräusch außer dem Atmen der Sklaven und einem gelegentlichen Rascheln, wenn sich jemand anders hinlegte.
Leise stand er auf, nicht einmal die Ketten klirrten, als er zum Wassertrog ging und einige Schlucke schöpfte. Ein leichter Schwindel zwang ihn, sich zu setzten und er lehnte den Kopf gegen die Holzwanne. Galen . Es war beinahe, als bedeute ihm das Wort etwas. Es schien ihm jetzt weniger bedrohlich, weniger bohrend in seinem Kopf zu schweben. Er holte tief Luft und zwang sich, zu seinem Platz zurückzugehen. Sein Herz schlug schnell - er war noch lange nicht erholt genug, um wieder kämpfen zu können.
Er musste dieses Wort loswerden, sonst würde es ihn das Leben kosten. Die Strafe, die er bekommen hatte, war auch eine Folge dieses Wortes. Zum ersten mal hatte es sich in seinen Kopf eingeschlichen, während er in der Arena stand. In einem echten Kampf hätte der kurze Moment sein letzter sein können. Natürlich war es der Stimme aufgefallen. Das Wort war sofort wieder verschwunden und er hatte den plumpen Angriff seines Gegners abwehren können und auch sofort auf den leisen Befehl der Stimme reagiert, aber es war zu spät gewesen.
Das durfte nicht wieder geschehen. Wenn ihn seine Gegner nicht töteten, würden es die Strafen für seine Unaufmerksamkeit tun. Als er die Augen schloss, konzentrierte er sich mit aller Kraft darauf, an seine Genesung zu denken, bis ihn wieder die Dunkelheit des Schlafes umfing.
Sie waren gnädig genug, ihm Zeit zu lassen. Der Sklave war sich der besonderen Aufmerksamkeit bewusst, mit der die Stimme ihn beobachtete, und verbannte jeden ablenkenden Gedanken aus seinem Kopf. Konzentriert führte er jede Waffenübung durch und forderte sich schonungslos bis zur Erschöpfung in den langen Trainingsstunden. Trotzdem schien es ihm, als hätte er noch nie so viele Schläge erhalten, wie in diesen Wochen. Die Wachen waren überaus gereizt und griffen bei der kleinsten Verfehlung zu ihren Stöcken. Auch in ihrem Kerker wurde nun jedes lautere Geräusch durch unbarmherzige Auspeitschungen bestraft und mehrere Sklaven wurden hingerichtet, weil sie gegen die strengen Regeln ihres Lebens verstoßen hatten. Einmal wurden alle Kampfsklaven in der großen Arena versammelt. Die Mauerkante war besetzt mit Bogenschützen, und schwer bewaffnete Gorderleyritter überwachten jede Bewegung.
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