Der Junge zog sein Schert und kam mit schnellen Schritten auf Galen zu. „Stirb!“, zischte er und zielte auf Galens Hals. Die Bewegung kam schnell, aber vor allem kam sie so unwahrscheinlich leicht und flüssig, wie sie nur ein geübter Kämpfer ausführen kann. Reflexartig parierte Galen den Hieb und lenkte die Schwertspitze ab. Schon folgte der nächste Angriff und die Klingen prallten gegeneinander. Ein stechender Schmerz fuhr durch Galens Handgelenk, aber er hielt dem Druck stand und schob seinen Gegner schließlich von sich fort und rang nach Luft. Er hatte seine Muskeln kräftigen können, aber der Kerker hatte ihm jegliche Ausdauer genommen. Drei, vier heftige Angriffe wehrte er schwach ab und ließ sich rückwärts durch die Arena treiben, aber es war nur eine Frage der Zeit, wann ein Hieb des Gorderley seine Deckung durchbrechen würde. Der Junge kämpfte wie ein erwachsener Krieger und Galens einziger Vorteil war sein größeres Gewicht - obwohl es damit nach den Monaten kärglicher Nahrung nicht mehr weit her war. Galen fluchte lautlos. Er hatte noch einen Vorteil: Wer keine Ehre mehr besaß, konnte auch dreckig kämpfen....
Sein Gegner täuschte einen Ausfall nach rechts an und führte dann das Schwert in einer flachen Kurve gegen Galens linke Hüfte. Es war ein Rückhandangriff und so gut der junge Gorderley sein mochte, diesem Hieb fehlte die Wucht. Galen sah die Finte im Ansatz, wich kaum merklich zur Seite und verlagerte das Gewicht auf das linke Bein. Das Schwert des Gorderley prallte auf die blanke Schneide seines Kurzschwertes, glitt ab und streifte Galens Oberschenkel. Doch im gleichen Moment rammte Galen ihm das rechte Knie zwischen die Beine und warf sich nach vorne. Mit einem Aufschrei fiel sein Gegner zu Boden. Galen ignorierte den Schmerz im Oberschenkel und stieß dem Gorderley sein Schwert in den Magen. Sofort zog er die Klinge wieder heraus und blieb abwartend stehen. Der Junge wälzte sich am Boden und presste beide Hände über die tödliche Bauchwunde. Galen wartete auf einen Befehl, aber alles blieb ruhig bis auf das unterdrückte Stöhnen seines Gegners. Obwohl er ein Gorderley war, tat er Galen plötzlich leid. Er musste furchtbare Schmerzen haben. Warum hatte man ihn in die Arena geschickt?
Ihm kam wieder zu Bewusstsein, dass er einen Halbwüchsigen niedergestochen hatte, aber er verdrängte den Gedanken. Der Junge hatte gekämpft wie ein Krieger und seinen Tod gewollt. Die anderen Gefangenen hatten recht: Hier durfte man keine Skrupel haben. Die Arena verließ immer nur einer.
Er hob sein Schwert und stieß es dem Gorderley ins Herz.
Das Stöhnen verstummte sofort und der Körper wurde schlaff. Galen beugte sich hinab und sah in die starren wasserhellen Augen des Toten. Sanft drückte er die Lider herunter. Dann legte er sein Schwert neben den Leib und ging gesenkten Kopfes zum Tunneleingang zurück, wo er unaufgefordert seine Hände hob. Diesmal waren seine Herren offenbar zufrieden mit ihm. Die Ketten schlossen sich um seine Gelenke und er wurde ohne Schläge zurück in das Verlies gebracht. Galen fühlte sich müde. Sein Sieg brachte keine Freude und er fühlte Angst in sich aufsteigen: Was machte man mit ihm?
Von nun an holten sie ihn immer wieder. Und er gewann. Manchmal nur gerade eben, dann brauchte er Wochen, seine Verletzungen auszukurieren, manchmal auch mit spielerischer Leichtigkeit. Am überraschendsten für seine Kerkermeister war sicher sein Erfolg mit der Schleuder. Galen war sicher, dass man seinen Tod geplant hatte, denn sein Gegner trug sowohl eine Axt, als auch einen Gürtel voller Wurfpfeile. Er bekam nur eine Schleuder und eine Handvoll Metallkugeln. Für einen kurzen Augenblick blitzte ein Bild aus seiner schon fast vergessenen Vergangenheit auf, als er mit den Bauernjungen aus dem Dorf auf Hasenjagd ging. Es war lange her, aber die Hand erinnerte sich und er hatte nichts von seiner Treffsicherheit verloren. So kam es gar nicht zu einem echten Kampf. Sein Gegner mochte die dünnen Lederbänder nicht für voll genommen haben, jedenfalls stellte er sich deckungslos vor Galen, der ohne zu zögern vier Kugeln in schneller Reihenfolge abschoss. Schon die erste zerschmetterte dem anderen den Wangenknochen. Die zweite drang durch das Auge ins Gehirn, doch das fühlte er nicht mehr, weil inzwischen die dritte Kugel die Schläfe getroffen hatte. Die vierte flog vorbei, denn er lag bereits im Sand und atmete nicht mehr.
Meistens jedoch waren seine Siege weniger spektakulär, mühsam erkämpft und oft nur Ergebnis eines schmutzigen Tricks. Er war lange darüber hinaus, sich dessen zu schämen. Je länger er überlebte, desto mehr begann er, den Kampf zu lieben. Dort draußen gab es Licht und Luft, in der Arena war er frei, konnte leben und sogar denken. Das konnten ihm nicht einmal seine Wächter nehmen.
Dachte er.
Sein letzter Kampf war so lange her, dass Galen sich kaum noch daran erinnern konnte. Bei jedem Gong sprang er voller Erwartung auf, doch immer wurden andere ausgewählt.
Er sehnte sich nach dem Licht der Arena, dem schnellem Atem und dem pochenden Herzen in den Augenblicken der Todesgefahr, und die Dunkelheit des Kerkers wurde immer erdrückender. Am liebsten hätte Galen bei den Wachen darum gebettelt, wieder kämpfen zu dürfen, aber das war natürlich völlig sinnlos und würde eher seinen sofortigen Tod nach sich ziehen. Und so wartete er, hoffend, den anderen sogar ihre Wunden neidend.
Als man ihn dann endlich holte, sprang er die Stufen zum Gang so hastig hinauf, dass er stolperte und gerade noch das Gleichgewicht halten konnte. Sein Herzschlag beschleunigte sich vor unterdrückter Aufregung und als der Befehl zum Anhalten kam, hob er ungeduldig die Hände, damit man ihm die Ketten abnahm.
Endlich!
Gierig griff er nach der Axt, die ihm eine Hand reichte und der auffordernde Stoß der Wache erreichte ihn schon nicht mehr, so schnell trat er durch das Tor in die Arena.
Es war ein herrlicher Frühlingstag und flüchtig kam Galen der Gedanke, dass er bereits ein Jahr in den Kerkern dieser Burg zugebrachte. Tief einatmend blickte er zum strahlend blauen Himmel hinauf und ließ den Blick langsam über die grauen Mauern schweifen. Auf den Zuschauerrängen lümmelten sich nur einige Krieger und er vermied, sie genauer zu fixieren. Die Sonnenstrahlen malten helle Kringel auf die Steine und ließen die Mooskissen in den Fugen hellgrün leuchten. Mit zusammengekniffenen Augen starrte Galen in die Sonne und fühlte, wie sie warm sein Gesicht streichelte. Ein scharrendes Geräusch lenkte seine Aufmerksamkeit wieder auf seine Umwelt. Durch das zweite Tor war sein Gegner eingetreten, ein kleiner Mann, aber offenbar kräftig und im Umgang mit dem Kurzschwert geübt. Federnd bewegte er sich auf Galen zu. Der ließ sich Zeit. Er hatte keine Angst und empfand beinahe Sympathie für den Mann, den er gleich töten würde. Aber bis dahin konnte er noch kostbare Sekunden warten, Augenblicke dieses hellen Tages einfangen, die ihm helfen würden weiter zu leben, wenn sie ihn wieder einsperrten.
Bewegungslos ließ er zu, dass sein Gegner in seinen Rücken gelangte. Er lauschte auf das scharfe Einatmen, dass den Beginn des Angriffs verraten würde.
Dann ging alles blitzschnell. Natürlich hatte der andere auf seinen scheinbar ungeschützten Hals gezielt, und er war sogar auf eine Abwehr gefasst gewesen. Nur deshalb traf ihn Galens Axt nicht sofort tödlich. Die Schneide prallte auf den Hüftknochen und zerschmetterte ihn, während Galen der Schwertklinge geduckt auswich. Er machte nicht den Versuch, seine Waffe herauszuziehen, sondern hämmerte dem verblüfften Angreifer beide Fäuste in das Gesicht. Schreiend ließ der Mann sein Schwert fallen und versuchte mit einer Hand die Axt aus seinem Unterleib zu reißen, während er mit der anderen die zerbrochene Nase bedeckte.
Galen hob das Schwert auf und ließ sich Zeit zu einem einzigen sauberen Hieb, der das Genick des anderen durchtrennte.
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