Wieviel Zeit war vergangen?
Irgendwann holte man ihn in den Gang hinaus. Gesenkten Kopfes trabte der Sklave vor den Wachen her. Der Gang unter seinen Füßen nahm heute einen anderen Lauf und als man ihm die Ketten abgenommen hatte und er die Arena betrat, befand er sich in einem großen, etwa vierzig Schritte durchmessenden Rund. Über den hohen umlaufenden Steinwänden erhoben sich mehrere Reihen Zuschauerränge auf denen sich Menschenscharen drängten. Der Blick des Sklaven glitt nur flüchtig zu ihnen hinauf, bevor er sich auf seinen Gegner konzentrierte.
Auch der andere trug keine Waffen. Er war hochgewachsen und sah ihm aufmerksam entgegen. Der Sklave näherte sich langsam. Die Kleidung seines Gegners war nur noch in Fetzen vorhanden, aber er erkannte trotzdem die Uniform der königlichen Garde und erschrak. In diese Eliteeinheit des Königs von Brandai wurden nur die Edelsten der Edlen aufgenommen. Nicht nur konnten sie ihr Geschlecht nach Möglichkeit bis in die Tage der Großen Schlacht nachweisen, sie waren auch die Besten im Kampf, ob zu Pferd oder zu Fuß. Der Sklave ballte unwillkürlich die Fäuste. Wie sollte er mit bloßen Händen einen Krieger der Garde auch nur gefährden?
Der andere sagte etwas und nach einem Augenblick des Besinnens verstand der Sklave die Worte. „Ich grüße dich, Kamerad.“
Er antwortete nicht, sondern wandte sich seitwärts, um den Brandai zu umkreisen. „Lass uns dieses Spiel verweigern. Sie können uns töten, aber sie können uns nicht unsere Ehre nehmen.“ Die Stimme klang beschwörend und der Sklave hielt inne. Der andere trat einen Schritt auf ihn zu und sprach weiter: „Wir sind Brandai, Kamerad. Bei allem, was sie dir angetan haben kannst du das nicht vergessen haben. Ein Ritter des Königs stirbt lieber, als sich zum Spielzeug dieser ehrlosen Rebellen zu machen.“
Der Sklave schnellte voran, aber der Ritter wich mit einem eleganten Seitschritt aus. Vorsichtig umkreisten sich die beiden Männer. Als der Sklave wieder vorsprang, wehrte ihn der Brandai mit einem Hieb ab, der ihn zu Boden schleuderte. Der Sklave rollte sich instinktiv ab und kam federnd wieder auf die Beine, bereit sich zu verteidigen, aber sein Gegner stand ruhig in der Arenamitte und betrachtete ihn voller Verachtung. „Ich sollte dich töten, du Verräter, aber damit mache ich mir die Hände nicht dreckig. Es ist eine Schande, dass so ein Abschaum in Brandais Armee dient.“
Ein Pfeil bohrte sich neben seinen Fuß in den Boden, ein zweiter streifte den Arm des Sklaven.
Der Ritter lachte höhnisch, zerbrach mit einem Fußtritt den Schaft und sah in die Menge der Zuschauer. „Tötet mich doch!“, rief er herausfordernd.
„Es gibt Schlimmeres“, sagte der Sklave leise.
„Aber nicht hier. Hier wollen sie Blut sehen. Welch ein Spaß, wenn sich ihre Erzfeinde gegenseitig umbringen.“ Er sah den Sklaven mit einer Mischung aus Mitleid und Verachtung an. „Du glaubst doch nicht, dass du am Leben bleibst, wenn du mich tötest?“
Ein weiterer Pfeil blieb federnd zwischen ihnen stecken, der nächste würde treffen. Der Sklave trat einen Schritt näher, noch einen und murmelte: „Aber was soll ich tun?“ „Du solltest...“, diesmal kam der Angriff überraschend. Der Sklave sprang dem Brandai gegen die Knie und schlug den abwehrenden Arm des anderen zur Seite. Dann schlossen sich seine Hände um den Hals des Ritters. Doch der Erfolg dauerte nur Sekundenbruchteile. Sein Kopf wurde nach hinten gerissen und Finger legten sich auf seine Augen. Mit einem Aufschrei ließ er sich zurückfallen. Wieder folgte kein weiterer Angriff. Der Ritter stand über ihm. „Bastard!“
Der Sklave zuckte zusammen. Die Verachtung des Ritters traf etwas in ihm, dass er nicht mehr kannte. Vorsichtig richtete er sich auf und kniete im Sand. Er wusste, dass man sie in wenigen Minuten beide töten würde und spürte, wie sich seine Nackenhaare in Panik aufrichteten. Der Ritter schwieg jetzt, ließ ihn aber nicht aus den Augen. Er schien keine Angst zu haben, dass sein Gegner ihm wirklich schaden könnte. „Ich muss gegen Euch kämpfen“, stöhnte der Sklave und stand auf. Beinahe gelangweilt ließ ihn der Krieger ins Leere laufen. Der Sklave stolperte und wurde von seinem eigenen Schwung zu Boden gerissen.
„Bemühe dich nicht. Wenn du es nicht freiwillig tust, zwinge ich dich, wie ein Brandai zu sterben.“ Höhnisch ließ der Ritter den Blick über die Galerie schweifen und suchte nach den Bogenschützen. „Worauf wartet ihr noch, Rebellenhunde“, schrie er hinauf.
Der Sklave hockte vornüber gebeugt da und sah zu dem Mann hinauf. Dann stieß er zu. Mit verzweifelter Kraft trieb er die Pfeilspitze durch das zerfetzte Hemd des Brandai in dessen Bauch.
Ungläubig weiteten sich die Augen des Ritters und er tastete fahrig nach dem Schaft. Mit einem letzten Stoß rammte der Sklave die Spitze tiefer in den Körper und ein Schwall Blut ergoss sich über seine Arme. Die Wunde war tödlich, aber der Verletzte brach nicht zusammen. Schwankend blieb er stehen und umklammerte mit einer Hand die Wunde. Er schrie nicht, stöhnte nicht einmal, als er endlich auf die Knie sackte. Die ganze Zeit wich sein Blick nicht von dem Sklaven, der einen Schritt zurückgetreten war und wie gelähmt dastand. Endlich brach der Blick und der Brandai fiel vornüber in den Sand.
Der Sklave schluchzte trocken auf. „Stirb in Ehre, Ritter“, flüsterte er, „ich will leben.“
Er wartete nicht die Aufforderung der Stimme ab, um zum Tunneleingang zurückzugehen.
Wieder war es ein anderer Gang, den man ihn entlang trieb. Er bemerkte es unbeteiligt. Ein Gong ertönte, eine Türe tat sich auf, er stolperte in die Dunkelheit eines neuen Kerkers.
Die Gorderley liebten nichts mehr, als einen guten Kampf, ob sie selbst beteiligt waren, oder nur zusahen. Es war eine der Aufgaben der Stockmeisters, die Arenasklaven zu trainieren, damit die Schaukämpfe an den Mondwechseltagen nicht zu bloßen Blutbädern ausarteten. Den notwendigen Eifer gab den Sklaven das Wissen, dass stets nur der Sieger eines Kampfes die Arena lebend verließ. Das Training bewirkte, dass diese Sieger im Allgemeinen auch den ästhetischen Ansprüchen der Bewohner und Besucher Burg Witsteins genügten. Der Stockmeister war zu dem Schluss gekommen, dass dieser brandaianische Sklave gute Anlagen besaß und viele Jahre erfreuliche Kämpfe bieten könnte.
Und so begann das Training. Tag für Tag holte man den Sklaven aus dem Verlies, ohne dass er jemals eine Waffe in die Hände bekam. Er musste rennen und springen, bis er zusammenbrach, warf sich hunderte Male in den Staub, nur um auf den nächsten Befehl wieder aufzuschnellen, hing an Klimmzügen, stemmte Gewichte, wippte stundenlang auf Zehenspitzen und Fingern im Liegestütz,...hätte er sich erinnern können, wären ihm die Übungen seines alten Fechtmeisters kindisch vorgekommen.
Niemals gönnte ihm die Stimme Ruhe, solange er in der Arena war. Und sofort krallte sich die Peitsche der Gehilfen in seinen Rücken, wenn es nur den Anschein hatte, er schone sich. Der Sklave lernte schnell, bei allem, was man ihm befahl, stets das letzte zu geben. Oft schleppten ihn andere Sklaven zurück in den Kerker, wenn er irgendwann unter der Anstrengung zusammenbrach. Aber je länger sie ihn quälten, desto zäher wurde er. Seine Bewegungen wurden weicher, seine Kräfte beherrschter und sein Vermögen, Schmerzen zu ignorieren mit jedem Monat größer. Irgendwann kam der Tag, an dem man ihm wieder ein Schwert gab.
Der Stockmeister ließ sich fast ein Jahr Zeit, um den Sklaven zu schulen, aber schließlich gab es kaum eine Waffe, die er nicht beherrschte und seine Reflexe waren die eines wachen Berglöwen. Es war nur noch selten nötig, ihn zu strafen und dadurch in Gefahr zu laufen, dass er starb. Der Einsatz zahlte sich aus, als man ihn bei den Mondwechselkämpfen einsetzte. Nach einiger Zeit begannen die Zuschauer ihn sogar zu vermissen, wenn er wegen einer Verletzung nicht antrat, denn seine technischen Fähigkeiten wie sein Kampfeifer fanden ihre Anerkennung. Er wurde mit den Jahren gut genug, um als Trainingspartner für die einfachen Söldner des Heeres zu dienen, die einzigen Kämpfe, die er lebend überstehen konnte, ohne siegen zu müssen.
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