1 ...8 9 10 12 13 14 ...46 „Es wäre mir eine Ehre, wenn Ihr mit mir zu Abend speisen würdet, Robert Galen. Morgen?“
Der Waffenmeister stoppte. Nach einer kurzen Pause antwortete er, ohne sich umzuwenden: „Ich werde da sein. Die Ehre ist auf meiner Seite, Fürst Gorderley.“ Die Türe zu seinen Privaträumen schlug hinter ihm zu.
Roman steckte sein Schwert in die Scheide, warf noch einen Blick in die Runde und ging ebenfalls.
Vielleicht konnte dies ein Anfang sein. Er blinzelte in die schräg stehende Sonne und dachte auf dem Heimweg über den Waffenmeister nach, der ihn hätte hassen müssen und stattdessen auf seine Anerkennung gewartet hatte.
Robert Galen.
Diese Begegnung würde sich seltsam ausnehmen in den Berichten seiner unsichtbaren Bewacher. Nur der Waffenmeister konnte wirklich begreifen, was er gesagt hatte.
Sklaven trugen keine Namen.
Die Ankündigung eines Abendessens mit dem Waffenmeister versetzte Tore in helle Aufregung. Er konnte wohl die einfachen Gerichte kochen, die seinem Herrn auszureichen schienen, aber ein offizielles Abendmahl für den Waffenmeister des König überstieg seine Kochkünste bei weitem.
Für ein Versagen würde er allerdings kaum Verständnis finden, was sollte er nur tun?
In seiner Verzweiflung klagte er Lina sein Leid.
Lina war die Sonne in Tores grauer Welt. Ihre Eltern waren an der großen Winterseuche vor sechs Jahren gestorben. Sie hatte sich, eine magere Siebenjährige, allein bis Undidor durchgeschlagen, wo sie dem Küchenmeister bei dem Versuch, von seinem Wagen einige Kartoffeln zu stehlen, förmlich vor die Füße fiel. Er nahm sie mitleidig auf und ließ sie in der Hofküche arbeiten, wo sie bald der Liebling aller Köche, Dienstboten und Helfer wurde.
Lina besaß eine natürliche Liebenswürdigkeit, gepaart mit Schlagfertigkeit und Witz. So jung sie war, wusste sie sich durchaus zu behaupten und mit zunehmendem Alter wuchs sie zu einem bildhübschen Mädchen heran, dem sämtliche Küchenburschen nachstellten. Keiner konnte verstehen, dass ausgerechnet Tore Linas Herz eroberte, am wenigsten Tore selbst. Er war der geborene Verlierer, unscheinbar, furchtsam und ständig in Schwierigkeiten. Der zweite Küchenbursche sprach aus, was jeder dachte: „Ich möchte wissen, was du an diesem Angsthasen findest?“
Lina hörte nicht auf das Gerede. Anfangs gab ihr Tore einfach die Gelegenheit, gebraucht zu werden und war für sie wie ein kleiner Bruder. Sie liebte seine Sanftheit und Gutherzigkeit. Er war so ohne Arg, das er einen Scherz nicht einmal verstand, wenn dieser auf Kosten eines anderen ging. Anfangs war zu schüchtern, in ihrer Gegenwart ein Wort zu sprechen, aber mit der Zeit fühlte er, dass ihre Zuneigung, so unbegreiflich sie ihm schien, ernst war, und verlor allmählich seine Scheu. Bei ihr konnte er das Schweigen brechen, das ihn seit DER NACHT am Sprechen hinderte, doch nicht einmal ihr hatte er erzählen können, was damals vorgefallen war. Lina war klug genug, nicht in ihn zu dringen und wartete ab.
Natürlich wusste sie auch Rat für Tores Problem.
Sie zerrte ihn kurzerhand zum Küchenmeister, und weil Tore vor Respekt schon wieder zu stottern begann, erklärte sie selbst sein Dilemma und hatte in kürzester Zeit Küchenpersonal und Vorräte für ein fürstliches Mahl erschmeichelt.
Es war sogar viel einfacher als erwartet, denn Meister Jokander war wohl der einzige Mensch am Hof, der überhaupt keinen Respekt vor Bewern hatte. Im Gegenteil, er verabscheute den Hofmarschall und machte keinen Hehl aus seiner Abneigung. Mehrfach hatte er auch schon Tore ein Stück Brot zukommen lassen, wenn Bewern den Jungen hungern ließ. Das einzige Mal, als der Hofmarschall die Küche betreten hatte, um Rechenschaft über eine Anzahl von Einkäufen zu fordern, hatte Jokander ihn, ein Abziehmesser in der Hand nach kurzem Wortwechsel hinaus gejagt.
Bewerns schmähliche Rolle beim Fürsten war inzwischen stadtbekannt und der Küchenmeister hatte schallend gelacht, als er davon erfuhr. Ohne es zu wissen, besaß Roman von Gorderley seitdem einen mächtigen Verbündeten am Hof, und so kam es, dass Robert Galen, ein unerwartet hervorragendes Mahl beim Fürsten von Gorderley einnahm.
Sie begannen mit einer Fischsuppe, die auch Roman mundete und jeden Vergleich mit der fürstlichen Küche in Gorderley aushielt. Anschließend trug Tore vor Nervosität innerlich zitternd, gefüllten Fasan auf, geschmorte Kartoffeln, Bratäpfel und frisches weißes Brot. Es folgte mariniertes Rindfleisch in hauchdünn geschnittenen Scheiben, gefüllte Feigenblätter mit einer dunklen Soße aus Krabbenfleisch, gebratene Leber mit Waldpilzen und schließlich ein goldgelbes lockeres Soufflé, das die Mahlzeit abschloss.
Dazu gab es einen edlen Wein, hellrot und voller Reife. Tore hatte das erste Goldstück restlos verbraucht, um einige Flaschen dieses Weines zu erstehen, aber der Küchenmeister hatte versichert, dass es sich um die bevorzugte Sorte des Waffenmeisters handelte. Tore hoffte, dass der Fürst ihm die teuren Ausgaben nicht vorwerfen würde.
Er versuchte die beiden Ritter lautlos und aufmerksam zu bedienen und war froh, dass sie ihn überhaupt nicht beachteten, sondern sich den vorzüglichen Speisen widmeten. Dieses Essen hatte eher symbolischen als gesellschaftlichen Charakter und so sprachen sie nur wenig, bis Tore die letzten Teller abräumte und sich in die Küche zurückzog.
Robert Galen lehnte sich zurück, nahm einen tiefen Schluck des Weines und ließ sich für einen Augenblick ganz von dem wunderbaren Geschmack nach Sonne, Erde und lebendiger Reife einfangen. Er liebte diesen Wein, weil er ihm ein Stück des Lebens wiedergab, das in ihm gestorben war. Es war eine Ironie des Schicksals, dass er ihn nun im Hause eines Gorderley trank.
Der Waffenmeister spürte den Blick des Fürsten auf sich ruhen.
Dass man niemals frei wurde von seiner Vergangenheit! Gorderley schien so weit entfernt, endgültig abgeschlossen. Er hatte nach seiner Flucht Jahre gebraucht, um sich wieder in einem normalen Leben zurecht zu finden, Monate schon, um nicht automatisch bei einem Gespräch den Blick zu senken. Aber schließlich war doch alles gut geworden. Er stieg zum Waffenmeister des Königs auf, hatte ein Heim, Diener, genügend Einkünfte und eine Aufgabe, die er liebte. Man achtete ihn, die Knappen und die jungen Ritter, die er in die Kriegskunst einweihte, verehrten ihn sogar und der König schätzte seine Gesellschaft.
Und dann erschien plötzlich Roman von Gorderley und Robert Galen erkannte, dass seine Flucht nichts geändert hatte. Die Freiheit, die er errungen glaubte, war nur oberflächlich. Er hatte damit gerechnet, dass der Fürst irgendwann in seine Halle kommen würde, nur der Waffenmeister des Königs konnte hier in Brandai ein angemessener Gegner sein, und natürlich würde der Gorderley seinen Kampfstil erkennen. Dann war es nur noch eine Frage der Zeit, wann er von seiner Vergangenheit erfuhr.
Und dann?
Der Fürst hatte keinen Einfluss am Hof, war selbst eher ein Gefangener mit besonderen Privilegien. Was konnte einem Robert Galen an der Meinung dieses Mannes liegen. In Undidor erzählte man sich die Geschichte seiner Flucht als Heldentat und seine Zeit als Sklave hatte keine Bedeutung.
Aber für ihn selbst entschied Roman von Gorderleys Urteil alles: Würde oder Verachtung, Ritter oder Sklave.
Und mit zwei Worten hatte der Fürst diese Entscheidung getroffen.
Der Waffenmeister räusperte sich: „Ihr wollt sicher eine Erklärung hören.“
Roman wollte nichts weniger als das. Er wusste, wie es in den Verliesen Ferns und Witsteins zuging und während seiner Knappenzeit hatte er mehr als einen Gefangenen zum Sklaven gebrochen, das erste Mal mit vierzehn Jahren unter Anleitung seines Schwertherren, und später je nach Notwendigkeit in eigener Verantwortung.
Aber der Mann, der ihm hier gegenüber saß, war kein Sklave. Und vielleicht hatte Robert Galen ein Recht darauf, ihm seine Geschichte zu erzählen. Oder ein Bedürfnis? Wer konnte ihn schließlich besser verstehen, als ein Gorderley?
Читать дальше