Er wandte sich um, sagte ruhig: „Also trinkt!““, lächelte ermutigend in die ängstlichen Gesichter und trank selbst.
Es waren mehrere sehr große Schlucke Kognak in dem Sektglas, Studmann bezwang sie rasch, aber hinter sich hörte er die andern, wie sie sich verschluckten und prusteten.
„Es muß ausgetrunken werden““, sagte der Fremde zänkisch. „Wer nicht austrinkt, wird erschossen.““
Von Studmann durfte sich nicht umdrehen, er mußte den Gast im Auge behalten; immer noch hoffte er, daß der Gast einen Augenblick nicht aufpassen und ihm so das Wegnehmen der Waffe ermöglichen würde.
„Sie haben in die Decke geschossen““, sagte er höflich. „Ich danke Ihnen für die Rücksichtnahme. Darf ich jetzt erfahren, warum wir uns hier betrinken sollen?““
„Es liegt mir nichts daran, Sie zu erschießen, wenn es mir auch nicht darauf ankommt. Es liegt mir daran, daß Sie sich betrinken. Keiner verläßt diesen Raum lebend, ehe nicht jeder Tropfen Alkohol ausgetrunken ist. – Kellner, gießen Sie jetzt Sekt ein.““
„Eben““, sagte von Studmann, dem daran lag, ein Gespräch in Gang zu halten. „Das hatte ich schon verstanden. Es würde mich nun nur interessieren, warum wir uns betrinken sollen.““
„Weil ich meinen Spaß haben will. – Jetzt trinkt.““
Eine Hand hatte Studmann von hinten einen Sektkelch in seine Hand geschoben, er trank. Dann sagte er: „Weil es Ihnen Spaß macht also.““ Und möglichst gleichgültig: „Ich vermute, Sie wissen, daß Sie geisteskrank sind?““
„Ich bin““, sagte der andere ebenso gleichmütig, „bereits seit sechs Jahren entmündigt und in einer Klapskiste untergebracht. – Kellner, jetzt wieder, sagen wir, eine halbe Schale Kognak.““ Erklärend: „Ich will nicht zu hastig vorgehen, das Vergnügen soll länger dauern.““ Und wieder gleichmütig berichtend: „Ich konnte das Schießen im Felde nicht vertragen, alle schossen immer nur auf mich. Seitdem schieße ich allein. – Trinkt!““
Von Studmann trank. Er fühlte, wie der Alkohol vorerst wie ein feiner Nebel wolkig in seinem Hirn aufstieg. Aus dem Augenwinkel sah er, ohne den Kopf zu drehen, am andern Zimmerende den Kellner Süskind auftauchen und zu der Badezimmertür schleichen. Aber auch der Baron hatte ihn gesehen. „Leider abgeschlossen““, sagte er lächelnd, und Süskind verschwand wieder aus dem Gesichtsfeld des Empfangschefs, mit einer bedauernden Bewegung der Schultern.
Dann hörte von Studmann eine Frau hinter sich sanft kreischen und Getuschel der Männer. Achtung, Oberleutnant! Achtung! sprach es in ihm, und sein Kopf war wieder ganz klar.
„Ich verstehe““, sagte er. „Doch wie kommen wir zu der Ehre, in diesem Hotel mit Ihnen zu trinken, da Sie doch in einer Anstalt interniert sind?““
„Ausgerissen!““ lachte der Baron kurz. „Die sind ja so dumm. Der alte Geheimrat wird schön fluchen, wenn er mich wiederholt. Ein paar hübsche Dinger habe ich unterdes angerichtet, ganz abgesehen von dem Wärter, dem ich eins auf die Birne gegeben habe. – Es geht zu langsam““, murmelte er plötzlich mürrisch. „Viel zu langsam. Noch einen Kognak, Kellner. Der ganze Kelch!““
„Ich würde um Sekt bitten““, versuchte Studmann.
Doch es war falsch.
„Kognak!““ schrie der Gast um so wilder. „Kognak! – Wer nicht Kognak trinkt, wird erschossen! – Mir ist es egal!““ schrie er mit Bedeutung zu Studmann. „Ich habe den Paragraphen 51, mir passiert nichts. Ich bin der Reichsfreiherr Baron von Bergen. Kein Polizist darf mich anfassen. Ich bin geisteskrank. – Trinkt!““
Dies muß schiefgehen, dachte von Studmann verzweifelt, während das ölige Zeug langsam seine Kehle hinunterrann. Die Weiber hinten lachen und kichern schon. In fünf Minuten hat er auch mich so weit, wie er uns haben will, und sieht die Gesunden wie irre Tiere vor dem Geisteskranken kriechen. Ich muß sehen … Aber es war nichts zu sehen. Mit einer unbeirrbaren Aufmerksamkeit stand der Narr unter der Tür, die Pistole in der Hand, den Finger am Abzug – und gab sich keine Blöße.
„Einschenken!““ befahl er grade wieder. „Einen ganzen Kelch Sekt, daß der Mund wieder frisch wird.““
„Richtig, Meister, Sie sind richtig!““ rief jemand, es war wohl ein Boy, aber die andern lachten zustimmend.
„Sie sind Kavalier““, versuchte es Studmann noch einmal. „Ich mache Ihnen den Vorschlag, daß wir wenigstens die beiden Damen aus dem Zimmer lassen. Keiner von uns andern versucht unterdessen herauszukommen, ich gebe Ihnen mein Ehrenwort …““
„Damen raus – is nich!““ grölte es von hinten. „Nich wahr, Miezeken? So fein und so nobel kriegen wir es nicht alle Tage …““
„Sie hören!““ lächelte der Baron höhnisch. Und: „Trinkt! – Jetzt wieder Kognak. Und setzt euch endlich! Da, richtig, aufs Sofa. Immer los, auch aufs Bett! Sie werden sich auch setzen, mein Herr Direktor! Los! Glauben Sie, ich mach Witze? Ich schieße! Da!““ Es knallte. Sie schrien. „So – trinkt erst wieder. Und nun macht es euch bequem. Röcke aus, Kragen ab, Mädchen da, bind die Schürze ab. Ja, zieht euch ruhig die Blusen aus …““
„Herr Baron!““ sagte von Studmann erbittert. „Wir sind hier in keinem Bordell. Ich weigere mich …““
Und dabei fühlte er doch, wie unter der Einwirkung des Alkohols Wille und Tat nicht mehr parallel liefen: der Gehrock hing schon über der Sessellehne, er nestelte an der Binde.
„Ich weigere mich …““, rief er noch einmal schwach.
„Trinkt!““ schrie der andere. Und höhnisch: „In fünf Minuten werden Sie sich nicht mehr weigern. – Jetzt Sekt!““
Es gab einen Krach, Geklirr zerbrochenen Glases. Der Kellner Süskind war quer über den Tisch gestürzt, dann zur Erde gefallen. Jetzt lag er da, röchelnd, sichtlich bewußtlos …
Der Kellermeister, die dicke Pranke fest auf der Brust des Mädchens, saß lachend auf dem Bett. Die ältliche Reinemachefrau hielt in jedem Arm einen von den Jungen; hochrot, schien sie nichts mehr von der Welt um sich zu merken.
„Ihr sollt trinken!““ schrie der Irre. „Sie, Herr, gießen Sie jetzt ein! Sekt!““
In drei Minuten bin ich verloren, dachte Studmann, indem er zur Sektflasche griff. In drei Minuten bin ich so weit wie die andern …
Er fühlte das Ende der Flasche kühl und fest in der Hand, plötzlich war sein Kopf klar.
Es ist ja alles ganz leicht …, dachte er.
Die Sektflasche war zur Handgranate geworden. Er zog ab und warf sie gegen den Kopf des Rotröckigen. Er sprang hinterher.
Der Baron hatte Schlüssel und Pistole fallen lassen, er war hingestürzt, er schrie. „Sie dürfen mir nichts tun! Ich bin geisteskrank! Ich habe den Paragraphen 51! Schlagen Sie mich nicht, bitte nicht, Sie machen sich strafbar! Ich habe den Jagdschein!““
Und indes von Studmann immer neu in betrunkener Wut auf das Jammergeschöpf einschlug, dachte er wütend: Bin ich doch auf ihn reingefallen! Das ist ja bloß ein Feigling, wie sie sich im Felde bei jedem Trommelfeuer die Hosen füllten! In der ersten Minute hätte ich ihm in die Fresse schlagen sollen!
Dann ekelte es ihn, weiter in dieses weiche, feige Gewimmer hineinzuschlagen, er sah den Schlüssel neben sich auf der Erde, nahm ihn, stand taumelnd auf, schloß und trat auf den Gang.
Die Gäste, die vor dem niederbrechenden Gewitterregen sehr zahlreich Schutz in der großen Hotelhalle gesucht hatten, fuhren erschrocken zusammen, als sie oben auf der breiten, mit roten Läufern belegten Paradetreppe zum ersten Stock einen taumelnden Mann in zerrissenen Hemdsärmeln mit blutendem Gesicht auftauchen sahen. Erst bemerkten ihn nur einige, aber unter ihnen entstand abwartende Stille. Schon sahen sich andere um, starrten, als könnten sie es nicht glauben.
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