Georg Zimanek
Marta unter Wölfen
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Inhaltsverzeichnis
Titel Georg Zimanek Marta unter Wölfen Dieses ebook wurde erstellt bei
Auftakt
1. Kapitel
2. Kapitel
3. Kapitel
4. Kapitel
5. Kapitel
6. Kapitel
7. Kapitel
8. Kapitel
9. Kapitel
10. Kapitel
11. Kapitel
12. Kapitel
13. Kapitel
14. Kapitel
15. Kapitel
16. Kapitel
Abspann
Impressum neobooks
Würden Liebe und Tod gemeinsam musizieren –
dann könnte Marta gut und gern ein paar Strophen mitsingen.
Das Ende am Anfang
Todesanzeige in der Rostocker Ostseezeitung
Dein ganzes Sein war nur Schaffen,
warst jedem immer hilfsbereit.
Du konntest bessere Tage haben,
doch dazu nahmst Du Dir nie die Zeit.
Nun ruhe sanft und schlaf in Frieden,
hab tausend Dank für Deine Müh,
wenn Du auch bist von uns geschieden,
in unseren Herzen stirbst Du nie.
Uns allen noch unbegreiflich verließ uns unsere herzensgute Mutti,
Schwiegermutter, liebste Oma, Schwägerin und Tante
Marta Obst, geb. Heinrich geb. 13.02.1925 in Grünheide/Ostpreußen
gest. 12.02.2000 in Sierkshagen/Mecklenburg-Vorpommern
In unsagbarem Schmerz und
im Namen aller Hinterbliebenen
Tochter Birgit Adler, geb. Obst
Ehemann Toralf Adler
Dieter, Lena Marie und Saskia
als Enkelkinder
Die Kirche in Sierkshagen schien aus allen Nähten zu platzen, die meisten Frauen und Männer saßen dicht aneinander gedrängt auf den harten Holzbänken. Es gab aber auch nicht einen freien Sitzplatz mehr im großen Kirchenschiff. Nein, nicht nur das, auch mussten noch etliche Gäste unter der Orgelempore und im breiten Gang zum Altar hin die Trauerfeier äußerst unbequem im Stehen begleiten.
Trotz Martas bescheidener, zurückhaltender Art waren fast alle Sierkshagener gekommen, um ihr die letzte Ehre zu erweisen.
Eines ist jedenfalls sicher, so viel Aufmerksamkeit, wie an diesem eiskalten Wintertag, wurde ihr zu Lebzeiten niemals zuteil.
Obwohl, die meisten Menschen drängten sich nur aus reiner Sensationsgier in das Gotteshaus.
Wie würden sich Adlers verhalten? Besaßen die überhaupt ein Gewissen?
Die beiden Leichengräber quälten sich schon am Vortag, um ein Loch für den Sarg in die tiefgefrorene Friedhofserde zu graben. Seit über einer Woche zeigte das Thermometer tagsüber und auch nachts minus zehn Grad an. Der sonst so weiche Boden erwies sich nunmehr hart wie Beton und machte den jungen Männern arg zu schaffen. Sie dampften wie Pferde nach einem langen Ritt aus ihren dicken Wattejacken. Vielleicht aber wollte Marta auch nicht in gesegneter Erde zu Erde werden? Verdenken konnte man es ihr nicht, dass sie sich schon zu Lebzeiten früh von Gott abgewandt hatte, nach alldem, was sie in der Vergangenheit durchmachen musste.
Im Alter lautete ihr Leitspruch, und den brachte sie bei jeder Gelegenheit und mit Betonung an den Mann: »Ich glaube nur an Schicksal und Natur!«
Ganz vorne in der alten evangelischen Kirche, gleich in der ersten Reihe auf der rechten Seite vom Kirchenschiff, saßen mit tiefroten verweinten Gesichtern Birgit und Toralf Adler und ihre lieben Kinder. Immer wieder gingen Trauergäste nach vorne, die sich erst einmal vor dem mit Blumen und Kränzen geschmückten Sarg verbeugten und in kurzer Andacht verharrten.
Viele Trauergäste, besonders die Frauen, gingen auch nicht eher weg, bis sie alle Grüße auf den Schleifen der Kränze gelesen hatten, auch wenn sie sich dabei den Kopf verrenkten, um dann den Adlers, jedem einzelnen, ihr aufrichtiges Beileid auszusprechen.
Mit tränennassen Augen schaffte Birgit es dann jedes Mal geradeso, einen körperlichen Zusammenbruch zu verhindern. So traurig, aber hauptsächlich wütend war sie auf ihre Mutter.
Besonders Saskia schaute die ganze Zeit mit versteinertem Gesicht, wie abwesend auf den Sarg, in dem ihre tote Oma lag und begriff ohne Zweifel zum ersten Mal, wie unwiderruflich Abschied nehmen sein konnte. Schließlich hatte sie in den letzten Jahren noch die meiste Zeit mit ihrer Großmutter verbracht und fühlte schmerzhaft, dass auch sie nicht ganz unschuldig an ihrem Tod war.
Martas Lebensweg brachte der Pastor mit lang gezogenen Worten und wehmütiger Stimme zum Vortrag. Teilweise sang er mehr, als dass er sprach: Er berichtete von Martas glücklicher Kindheit und Jugend auf dem »Großenhof« bei Onkel Fritz und Tante Magarete im masurischen Dorf Grünheide und der vielen Arbeit in Mutters kleiner Gaststätte mitten in der Kreisstadt Johannisburg/Ostpreußen. Er redete von Vertreibung, Flucht und Neubeginn. Davon, dass sie später in Mecklenburg heimisch wurde, immer fleißig und ehrbar bis zu ihrer Rente in der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft im Schweinestall die Tiere schlachtreif gefüttert hatte. Jahrein, jahraus, ohne einen einzigen Tag Urlaub zu nehmen. Selbst dann noch, als ihr Mann Paul vor über dreizehn Jahren starb, opferte sie sich unermüdlich für die gesamte Familie auf. Ihr einfaches Leben kannte kaum Abwechslung, welche sie auch nie wirklich wollte. Sie fühlte sich wohl im neu gebauten Haus ihrer Tochter Birgit, in dem auch ihr Mann und sie ein Zimmer bekommen hatten.
Endlich brauchten sie nicht mehr über den Hof auf die Toilette gehen. In der Küche und im Garten fand sie Freude und Entspannung. Aber in ganz besonderer Liebe fühlte sich die alte Dame zu der vierzehn Jahre alten Saskia hingezogen, die sie praktisch von Geburt an begleitete und mit groß zog. Was der Pastor nicht sagte, dachte so manch einer in der großen Runde: Es blieb der Marta ja auch gar nichts anderes übrig, als sich um alles im Haus und die Kinder zu kümmern, denn nach der Wende arbeiteten Toralf und Birgit von morgens bis abends in der ortsansässigen Fruchtsaftfabrik »Mecklenburger Gold«. Und selbst die meisten Wochenenden verbrachten sie auf Messen und Seminaren, natürlich immer im Doppelpack. Bis einen Tag kurz vor Martas 75. Geburtstag ihr, für alle so plötzlicher, Tod eintrat. Obwohl noch eine Woche vorher der Hausarzt Marta besucht und ihr völlige körperliche Gesundheit attestiert hatte.
Ausdrücklich lobte er damals: »Marta, Sie sind fit wie ein Turnschuh, da kommen sicher noch viele schöne Jahre auf Sie zu. «
Blumen und Kränze rahmten feierlich den schweren, dunkel glänzenden Eichensarg ein. Ja, richtig teuer sah der Sarg aus. Das war nicht einfach nur ein Verbrenner. Das gute Stück da vorne musste mindestens fünftausend DM gekostet haben. Mutters letzten Gang ließen sich die Kinder eine Menge Geld kosten. Die Trauergäste sollten es ruhig sehen, hier und heute wurde nicht gespart. Aber selbst an diesem Tag zahlten sie nur für die Show, den lieben Gott oder sonst wen, aber mit Sicherheit nicht für die Mutter.
Zu Martas Lebzeiten blieb die Kasse verschlossen. In den letzten Jahren wurde ihr alles weggenommen, nicht nur die monatliche Rente, sondern auch nach und nach der letzte Rest ihrer Würde.
So, jetzt aber genug gejammert, Augen auf und viel Spaß beim Lesen.
Ihr dürft weinen und lachen und es euch beim Lesen gemütlich machen.
Ausdrücklich möchte ich darauf hinweisen, dass Martas Geschichte in allen Teilen von mir frei erfunden worden ist.
Ähnlichkeiten mit in dem Buch vorkommenden Orten und Personen wären rein zufällig.
Außerdem gibt es so böse Menschen ja nur im Märchen.
Ostpreußen, im Winter 1925
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