Dieses Abstempeln des Masuren als Hinterwäldler hatte zur Folge, dass sich der Masure gegenüber anderen Landsmannschaften gehemmt und unverstanden vorkam, ja bisweilen sich seiner Zugehörigkeit schämte, vor allem in der Fremde. Es ging sogar so weit, dass einige ihr Masurentum verleugneten und es auch heute noch tun, um nicht als »Pollacken« abgestempelt zu werden.
Viele tausende Masuren, die während der großen wirtschaftlichen Krise in das Ruhrgebiet, nach Hamburg und Berlin abwanderten, der sogenannten Landflucht, verheimlichten ihre kulturelle Heimat und ließen sich ohne Widerstand entwurzeln.
Die Masuren fühlten sich durch Staat und Kirche nicht verstanden, falsch behandelt und als Bürger zweiter Klasse abgestempelt. Die polnische Seite wiederum war nicht in der Lage, den konfessionellen Unterschied zum Polentum und die geschichtliche Entwicklung richtig zu werten, einzuordnen und daraus das nationale Selbstverständnis dieser Volksgruppe zu akzeptieren.
Die Polen sprachen ständig von der Rückführung der Masuren in den Schoß der polnischen katholischen Mutterkirche.
Beide Staaten aber taten den Masuren unrecht.
Sie gestanden ihnen nämlich nicht das zu, was der Deutsche Orden und die preußischen Könige den Masowiern, Polen und Kurpis in Masuren erlaubten, nämlich alleine nach ihrer Lebensart selig zu werden, und dazu gehörten nun einmal die Muttersprache und die Religion. Es ist bedauerlich, dass die Reichsdeutschen zwischen der masurischen und polnischen Sprache nicht zu unterscheiden wussten und ihre geschichtliche Entstehung nicht verstanden oder vielmehr nicht verstehen wollten.
Es steht doch eindeutig fest, dass Träger dieser Sprache die masowischen Siedler waren, die im 14., 15. und 16. Jahrhundert die pruzzische und auch deutsche Sprache aufgrund ihrer Mehrheit verdrängten. Mit den masowischen Siedlern kamen aber auch deren Sitten und Gebräuche wie Speisen, Getränke, Feste, Liedgut, Hausbau und Tanz ins Land. Gerade in den bäuerlichen Gemeinschaften spielte in der Fremde die traditionelle Erhaltung des mitgebrachten Kulturgutes in den ersten drei Generationen wegen des Zusammenhalts in einer fremden Umwelt eine entscheidenden Rolle.
Die ursprünglich mitgebrachte masowische Sprache der siedelnden Masowier wurde 1525 durch die Reformation jäh in Frage gestellt, weil die Bewohner sich nunmehr von den südlicher sesshaften katholischen Polen religiös abgrenzen mussten und wollten. Doch sie taten es nicht nur religiös, sondern auch geistig und sprachlich. Das ist der eigentliche Grund, warum das Masurische nicht an der Entwicklung der hochpolnischen Sprache teilnahm. Das Altpolnisch, die masowische Sprache, wurde mit der Zeit zu einer masurischen, und zwar dadurch, dass in sie deutsche Lehnwörter und andere Spracheigentümlichkeiten wie Französisch, Holländisch, Russisch usw. einflossen. So erhielten die Masuren im Grunde genommen über viele Jahre ihre eigene entstandene, vom Masowischen abgeleitete Sprache. Diese masurische Mundart signalisierte das wahre Masurentum, das Pruzzische, das Preußische, den evangelischen Protestantismus, das Deutsche, niemals aber das Polentum, das Katholische.
Der heidnische altpruzzische Stamm der Galinder bewohnte ein Gebiet, das sich über das südliche Ostpreußen hinaus bis in das spätere masowische Land erstreckte. Da der Deutsche Orden gegenüber den Masowiern, die ja ohnehin seine katholischen Brüder waren, keinen Wert auf den »unbewohnten Wildnisbereich« südlich des alten pruzzischen Galindiens legte, dehnte sich das Herzogtum Masowien, das den Ritterorden zur Christianisierung, Unterwerfung und Ausrottung der heidnischen Pruzzen 1238 ins Land holte, bis ins südliche Galindien aus. Die Einwanderer zur Zeit des Deutschen Ritterordens aus Masowien gehörten im 11. und 12. Jahrhundert zu den früheren altpruzzischen Gauen Galindien, Sassen und Sudauen. Daher stellen sie keine masowische, sondern vielmehr eine pruzzische Bevölkerung dar. Es ist davon auszugehen, dass der neue Stamm der Masowier und Pruzzen sich nun den Namen »Masuren« gab, aus dem Wortstamm »Mas« der Masowier und den Buchstaben »uren« der Pruzzen. Demnach sind die Masuren mit Sicherheit pruzzischer Herkunft.
Seitdem grenzten sich die zu Preußen gehörenden Masuren aus den Gebieten Sassen, Galinden und Sudauen, die von dem Jahre 1525 ab rein evangelisch-protestantisch waren, von den römisch-katholischen Masowiern ab, die auf polnischem Gebiet lebten.
In früheren Zeiten spielten die Nationalitäten ohnehin eine untergeordnete Rolle. Wichtig waren allein die Religionszugehörigkeiten, die zugleich auch die Nationalitäten festlegten: Einerseits römisch-katholisch = polnisch, auf der anderen Seite evangelisch-lutherisch = deutsch.
Der Begriff Masuren fand eine Verbreitung und Anwendung unter dem Einfluss der Romantik, die sich eingehend mit der Erforschung kleiner Volksgruppen befasste, wie Sprache, Sitten und Gebräuche. Masuren sind die Einwohner des südlichen Ostpreußen mit ihrer masurischen Umgangssprache in den Kreisen Osterode, Neidenburg, Allenstein, Ortelsburg, Sensburg, Johannisburg, Lötzen, Lyck, Treuenburg sowie teilweise die Kreise Angerburg und Goldap. Das Gebiet umfasst ein Drittel der Provinz Ostpreußen und gehört zu den Regierungsbezirken Allenstein und Gumbinnen.
Beim Masurentum geht es um etwas Verwurzeltes, Festgefügtes und wiederum langsam Gewachsenes. Das prägende Element der Masuren ist aber folgendes: Sie waren zwangsläufig das Bindeglied zwischen der östlichen slawischen und der westlichen germanischen Welt Europas. Sie stellten die Nahtstelle dar und waren gleichzeitig der Kugelfang für das Deutschtum, die erste hemmende Schranke gegen den feindlichen Ansturm aus dem Osten. Masuren ist über Jahrhunderte ein Grenz- und Siedlungsland gewesen. Hier mischten sich zum gegenseitigen Vorteil einheimische Pruzzen mit Deutschen, Masowiern, Polen, Litauern und vielen anderen Europäern.
So entstand über einen großen Zeitraum der Masure, ein europäischer Mischling mit tolerantem Denken und Handeln sowie einem ausgesprochenen Freiheitsdrang. In ihm vereinigten sich viele positive Eigenschaften, die andere Volksgruppen nicht aufzuweisen haben, weil sie sie zum Überleben nicht brauchten. Die Masuren sind trotz ihrer polnisch ähnlichen Muttersprache immer und ewig bestrebt gewesen, heimatlich und vaterländisch deutsch zu denken und zu handeln.
Wer das anders einschätzt, ist ein Hundsfott.
Denn kein Masure wollte auf irgendeiner Art mit einem Polen in Beziehung gebracht werden. Es bestand stets eine gewisse Abneigung gegen „die-da-drüben“. Keineswegs spielte da Hass gegenüber dem Nachbarn eine Rolle, alleine die Lebensart der Polen machte den Unterschied. Jeder Masure erkannte sofort, wenn er zum Schmuggeln oder zufällig beim Pilze suchen über die grüne Grenze nach Polen kam, an den Ortschaften und an den Gehöften, dass er sich nicht mehr Zuhause befand.
Das sieht bei dir aus wie auf einer »Polenwirtschaft« galt als ernsthaftes Schimpfwort im Reich.
Die Abstimmung im Jahre 1920 brachte den eindeutigen Beweis dafür. Viele Denkmäler entstanden danach in ganz Masuren, so auch das größte Abstimmungsdenkmal in Allenstein, jener patriotischen Gedenkstätte, die an den Verbleib der elf südlichen Kreise im Reich erinnert. 363.209 der dort lebende Bürger stimmten damals für Deutschland und nur 7980 für Polen.
Fritz Heinrich wurde jäh aus seinen Gedanken gerissen. Seine Frau stürzte schreiend, ohne Klumpen, nur mit Rosshaarsocken an den Füßen durch den frisch gefallenen Schnee in die Arme ihres Mannes.
»Fritzi, ein neuer Erdenbürger ist in unserem Haus gesund angekommen.«
Ruhiger werdend, aber immer noch schwer atmend und mit rotem Gesicht sagte sie: »Es ist ein rosarundes süßes Mädchen, eine kleine Marta. Und stell dir vor, schon mit ganz vielen schwarzen Haaren auf dem Kopf, wie ihr Vater.«
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