Annemarie merkte sehr wohl, dass Fritz Heinrich, dieser Schwerenöter, um sie herum schwänzelte wie ein Kater um den heißen Brei. Er versorgte sie mit Lebensmitteln, mehr, als sie bezahlte. Fritz winkte bei ihren Einsprüchen nur ab.
»Irgendwann geht es dir mal besser als mir, dann kannst du dich revanchieren, bis dahin kommt es von Herzen.«
Jedes Mal beim Auf Wiedersehen sagen hielt er ihre Hand zu lange fest und schaute mit hungrigem Dackelblick zu lange in ihre großen Augen.
Eines Tages, irgendwann im April 1923: Am frühen Morgen brachte Fritz Heinrich seiner Schwägerin eine Stiege Eier in die Küche. Kaum auf den Tisch gestellt, rissen sie sich gegenseitig die Kleider vom Leib und fielen wie Ertrinkende übereinander her. Annemaries greise Mutter kaufte gerade auf dem Markt Gemüse ein, keine zwanzig Meter von der Pension entfernt. Die Zeit reichte trotzdem für einen kurzen, aber heftigen Beischlaf aus. Fürs Wiederanziehen brauchten beide weitaus länger. Schweigend, ohne ein Wort zum Abschied, verließ Fritz die Pension, setzte sich auf seinen Wagen und gab dem Pferd die Peitsche. Im rasenden Galopp, vorbei an den Marktständen, wollte er nichts mehr hören und sehen, einfach nur nach Hause.
Fritz nahm sich fest vor, die heimliche Liebschaft sofort abzubrechen, er konnte anfangs seiner Frau nicht in die Augen sehen.
Mit der Zeit aber begann er diese völlig unterschiedlichen Frauen im Körper wie im Geist, jede für sich, zu lieben. Zumal Annemarie auch nicht die kleinste Andeutung machte, irgendwelche Forderungen zu stellen.
Aber auch Annemarie genoss die kurzen Momente der Zweisamkeit mit Fritz. Ihr junger Körper hungerte nach Liebe und war wie gemacht dafür. Außer ein paar flüchtigen Küssen gab es ja nichts Intimes mit ihrem kranken Ehemann und beide Brüder sahen sich so ähnlich, der Fritz und der Artur. Dieselben schwarzen Haare, die gleichen Gesichtszüge und diese unbeschreiblich blauen Augen.
Im Juni 1924 starb ihre Mutter und Annemarie Heinrich wusste mit Sicherheit, dass sie schwanger war.
Bibel, 5. Buch Mose, 25. Kapitel
Vers 5
Wenn Brüder beieinander wohnen und einer stirbt ohne Kinder, so soll des Verstorbenen Weib nicht einen fremden Mann draußen nehmen, sondern ihr Schwager soll sich zu ihr tun und sie zum Weibe nehmen und sie ehelichen.
Vers 7
Gefällt aber dem Mann nicht, dass er seine Schwägerin nehme, so soll sie, seine Schwägerin, hinaufgehen unter das Tor vor die Ältesten und sagen: Mein Schwager weigert sich, seinem Bruder einen Namen zu erwecken in Israel, und will mich nicht ehelichen.
Vers 8
So sollen ihn die Ältesten der Stadt fordern, und mit ihm reden. Wenn er dann darauf bestehet, und spricht: Es gefällt mir nicht sie zu nehmen.
Vers 9
So soll seine Schwägerin zu ihm treten vor den Ältesten, und ihm einen Schuh ausziehen von seinen Füßen, und ihn anspeien, und soll antworten und sprechen: Also soll man tun einem jeglichen Mann, der seines Bruders Haus nicht erbauen will.
Die Zeit von 1928 bis 1933 war für die Bauern im Deutschen Reich gelinde gesagt kritisch, besonders hart traf es aber die Ostpreußen. Durch die Insellage, vom Reich abgetrennt, waren sie zudem noch einer gewissen Großmannssucht der Polen ausgesetzt, die sich nach wie vor nicht mit dem polnischen Korridor und Danzig zufrieden geben wollten. Es kam in den Grenzgebieten ständig zu Provokationen und Zwischenfällen, nicht nur, aber sehr oft von der polnischen Seite aus.
Im polnisch verwalteten Korridor gab es häufig wilde Ausschreitungen gegenüber den deutschen Bewohnern, mit vielen Toten und Verletzten.
Zum Beispiel durften die reichsdeutschen Kinder in den polnischen Schulen kein Deutsch mehr sprechen. Wer das nicht einhielt, wurde mit Stockhieben bestraft. Im Großen und Ganzen klafften die Gräben zwischen beiden Völkern immer weiter auseinander.
Die Preise im Reich lagen auf sehr niedrigem Niveau, ein gutes und junges Arbeitspferd kam gerade mal auf fünfhundert Reichsmark. Mastschweine kosteten zweiunddreißig bis achtunddreißig Reichsmark je Zentner. In Masuren blühte der Schwarzhandel trotz strenger Strafen. Vor allem mit den Polen in den Grenzgebieten wurde geschachert, besonders junge Pferde und Schnaps wurden billig über die grüne Grenze nach Deutschland geholt.
Die bäuerliche Bevölkerung und die vielen Arbeitslosen, die zu Tausenden auf der Straße lagen, lösten sich von den Regierungsparteien und suchten in der NSDAP die Rettung. Nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten änderte sich die wirtschaftliche Lage in Deutschland tatsächlich fast schlagartig zum Guten.
Auch für Fritz Heinrich brach eine neue, eine bessere Zeit an. Er wurde zum ehrenamtlichen Bürgermeister von Grünheide, Tannenheim und Fichtenwalde gewählt, außerdem noch zum Kreisbauernführer und Schöffen am Amtsgericht in Johannisburg bestellt, auch eine Mitgliedschaft in der NSDAP war für ihn selbstverständlich.
Mitunter trieb er sich dienstlich tagelang zwischen Johannisburg und Allenstein umher. Manchmal führten ihn die Amtswege bis nach Berlin oder Königsberg.
Nebenbei oder zwischendurch, so oft es zeitlich zu machen ging, beschlief er seine Schwägerin Annemarie, die immer bereit wartete.
Sie roch so gut nach französischem Parfüm, es stand ein eckiger halbvoller Flakon auf ihrem Nachtschrank: »Regal Nr.5«.
Fritz brauchte nur leicht an Annemaries Ohrläppchen zu knabbern, dann begann die gut geformte Frau am ganzen Körper zu zittern und schmolz dahin wie süßer Honig. Sie schrie wie eine Besessene, wenn er sie gut nahm. Fritz drückte ihr, wie schon so oft vorher, ein Kopfkissen ins Gesicht aus Angst, sie könnte bis auf den Marktplatz gehört werden. Erschöpft drehte er sich dann von ihrem Körper und sagte: »Irgendwann treten die Gendarmen deine Haustür ein.«
Annemarie war das egal, Fritz war ihr Lebensmittelpunkt, sie genoss jede Sekunde mit diesem Mann.
Fritz bemühte sich erfolgreich, die Beziehung geheim zu halten. Nur wenig später machte sein Bruder Annemarie zur jungen Witwe.
Nachdem Artur jahrelang im Krankenbett vor sich hinsiechte, wurde er in eine sogenannte Euthanasieanstalt nach Oranienburg verlegt, wo er kurze Zeit später starb. In der neuen Volksgemeinschaft war kein Platz mehr für Dauerkranke. Die Benachrichtigung durch die Klinikleitung las Annemarie ohne innere Anteilname. Ja, sie empfand sogar Erleichterung über seinen Tod.
Das Schreiben beinhaltete nur wenige Sätze:
Sehr geehrte Frau Annemarie Heinrich,
leider müssen wir Ihnen mitteilen, das Ihr Mann Artur Heinrich am frühen Morgen an den Folgen seiner Kriegsverletzungen verstorben ist.
Artur Heinrich schlief friedlich, unserem Führer bis zuletzt treu ergeben, für immer ein. Gott beschütze Sie in der schweren Stunde der Trauer.
Stempel Unterschrift Der Amtsarzt
In der Anlage erhalten Sie den Totenschein.
Seine persönlichen Habe werden wir Ihnen in den nächsten Tagen mit der Post zustellen.
MfG Heil Hitler
Zu Hause auf dem »Großenhof« führte mehr oder weniger Magarete mit ihrem Vater Herbert Krosta und der bereits über siebzigjährigen Mutter Frederike die Wirtschaft. Fritz kam ja kaum noch zum Schlafen nach Hause. Man sah ihn nur noch selten hoch oben auf dem Grasmäher oder im Stall beim Abfüttern der Tiere. Zwar halfen regelmäßig Freiarbeiter die Ernte einbringen, aber dennoch war es kaum zu glauben, dass die verbleibenden drei Personen es über das Jahr schafften, die vielen großen und kleinen Tiere auf dem Hof zu versorgen. Na gut, Marta half auch viel auf dem Großenhof, Gänse und Schweine hüten, Eier einsammeln, Pferde striegeln oder einfach nur in der Küche Geschirr abwaschen. Ach was, die Arbeit hier auf dem Hof nahm keinen Anfang und kein Ende und das zu jeder Jahreszeit. Außer im Winter, da liefen die Uhren auch hier deutlich langsamer, da machten selbst die Masuren nur das Nötigste.
Читать дальше