„Also Schulden bei der Wirtin““, sagt Zecke ganz ungerührt und sieht den Freund aus dunklen Augen aufmerksam an. „Und was sonst noch?““
„Ja““, sagt Pagel verdrießlich, „ich habe auch noch was versetzt beim Onkel …““
Im gleichen Augenblick fällt ihm ein, daß dies nun wirklich nicht wahr ist. Aber er hat im Moment nicht daran gedacht, daß verkauft nicht versetzt ist, und so läßt er es dabei. Es kommt ja wirklich nicht so genau darauf an …
„So, versetzt beim Onkel““, sagt von Zecke und sieht weiter dunkel und prüfend aus. „Weißt du, Pagel““, sagt er dann, „ich muß dich noch was fragen – entschuldige bitte. Geld ist ja schließlich Geld, und selbst sehr wenig Geld (hundert Dollar zum Beispiel) ist für manchen sehr viel Geld – zum Beispiel für dich.““
Pagel hat beschlossen, diese Stiche nicht mehr zu beachten, schließlich ist ja die Hauptsache, daß er sein Geld bekommt. Er sagt mürrisch: „Also frag schon.““
„Und was tust du?““ fragt Zecke. „Ich meine, wovon lebst du? Hast du ’ne Stellung, die dir was einbringt? Vertreter gegen Provision? Angestellter mit Gehalt?““
„Im Moment habe ich nichts““, sagt Pagel. „Aber ich kann jeden Augenblick als Taxichauffeur eintreten.““
„Ja so, dann natürlich!““ sagt Zecke und scheint ganz befriedigt. „Wenn du noch einen Schnabus magst, bitte! Ich habe für den Vormittag genug. – Also Taxichauffeur …““, fängt er wieder an zu bohren, dieses Aas, dieser Schieber, dieser Menschenschinder, dieser Verbrecher. (Sand statt Salvarsan!) „Taxichauffeur – sicher ein schönes Brot, auskömmlicher Verdienst …““ (Wie er höhnt, dieser bösartige Affe!) „… aber doch sicher nicht so auskömmlich, daß du mir morgen mein Geld zurückgeben könntest. Du erinnerst dich doch, du sagtest, wenn es gut geht, schon morgen?! So gut geht Taxifahren doch nicht?““
„Mein lieber Zecke““, sagt Wolfgang und steht auf. „Du möchtest mich ein bißchen quälen, was? Aber so wichtig ist mir das Geld nun doch wieder nicht –““
Er zittert beinahe vor Zorn.
„Aber Pagel –!““ ruft Zecke und ist ganz erschrocken. „Ich dich quälen –?! Wie komme ich denn dazu? Sieh mal, du hast mich doch ausdrücklich nicht um ein Geschenk gebeten – dann hättest du die paar Scheine längst. Du willst doch ein Darlehen, hast Angaben wegen der Rückzahlung gemacht – ich frage also danach, erkundige mich, wie du dir das denkst – und du schimpfst?!! Ich verstehe das nicht.““
„Ich kann““, sagt Pagel, „das vorhin nur so hingesagt haben. In Wirklichkeit könnte ich dir das Geld nur in Wochenraten zurückzahlen, etwa zwei Millionen wöchentlich …““
„Spielt keine Rolle, alter Junge!““ ruft von Zecke fröhlich. „Spielt gar keine Rolle unter uns alten Freunden, nicht wahr? Die Hauptsache ist doch, daß du das Geld nicht wieder verspielst, nicht wahr, Pagel?““
Die beiden sehen sich an.
„Es hat keinen Zweck, Pagel““, sagt Zecke dann eilig und leise, „daß du schreist. Ich werde so oft angeschrien, es stört mich gar nicht. Wenn du tätlich werden willst, mußt du es sehr schnell tun – sieh mal, jetzt habe ich schon auf den Klingelknopf gedrückt – ach ja, Reimers, dieser Herr wünscht zu gehen. Sie zeigen ihm den Weg, ja? Auf Wiedersehen, Pagel, alter Freund, und wenn du einmal ein Bild von deinem Herrn Vater verkaufen möchtest, ich bin für dich immer zu sprechen, immer … Nanu, bist du verrückt geworden?!““ unterbricht Zecke sich plötzlich.
Denn Pagel hat zu lachen angefangen, leicht und völlig vergnügt lacht er.
„Gott, was bist du für ein wunderbares Schwein geworden, Zecke!““ ruft Pagel lachend. „Das muß dich doch verdammt geschmerzt haben, was ich von den Varieténutten gesagt habe, daß du daraufhin all deinen Dreck von dir gibst. – Er hat nämlich früher mit Varieténutten gehandelt, Ihr Chef““, sagt er zu dem Manne hinter sich. (Eine Kreuzung von Mann und Herr.) „Er will’s nicht mehr wissen, aber es tut ihm noch weh, wenn man davon spricht. Aber, Zecke““, sagt Pagel plötzlich ganz fachmännisch ernst, „ich neige jetzt doch dazu, daß der Arm von diesem Leuchterengel ergänzt ist, und zwar schlecht. Ich würde es so machen …““
Und ehe Zecke und sein Mann ihn noch haben hindern können, ist der Engel ohne Arm. Von Zecke schreit, als fühle er den Schmerz der Amputation. Der Mann Reimers will auf Pagel eindringen, aber der ist, trotz mangelhafter Ernährung, noch ein kräftiger junger Mann. Mit einer Hand wehrt er den Mann ab, in der andern hält er den amputierten Arm mit der Lichttülle. „Diese grobe Fälschung möchte ich zum Andenken an dich behalten, alter Freund Zecke““, sagt Wolfgang vergnügt. „Weißt du: das Licht erlosch – und so. Auf Wiedersehen und ein gedeihliches Mittagessen allerseits.““
Pagel geht ab, vergnügt und zufrieden, denn wenn von Zecke sich wirklich einmal freuen will, daß er ihm kein Geld gegeben hat, wird er an den Arm des Leuchterengels denken müssen, der in der Pagelschen Tasche steckt. Und der Schmerz wird überwiegen.
Unangefochten erreicht Pagel das Tor der Zeckeschen Villa. Als er es aufzieht, steht ein Mädchen davor, ein Mädchen mit einem drängenden Fox an der Leine, mit sehr rotem Gesicht.
„Gott, stehen Sie noch immer da, Fräulein?!““ ruft er entsetzt. „An Sie hatte ich gar nicht mehr gedacht.““
„Hören Sie!““ sagt sie, und ihr Zorn hat durch das Warten in der Sonne nichts von seiner Hitze verloren. „Hören Sie!““ sagt sie und hält ihm die Scheine hin. „Wenn Sie denken, daß ich so eine bin, danke, pfui Deibel! Nehmen Sie Ihr Geld!““
„Und noch dazu so wenig!““ sagt Pagel, völlig unbekümmert. „Nicht einmal ein Paar Seidenstrümpfe können Sie sich dafür kaufen … Nein““, sagt er rasch. „Ich will Sie nicht mehr auf den Arm nehmen, hören Sie mal zu, ich möchte Sie sogar um Rat fragen …““
Sie steht da und starrt ihn an, die Scheine in der einen, die Leine mit dem zerrenden Fox in der andern Hand, völlig verblüfft über seinen veränderten Ton. „Hören Sie –!““ sagt sie noch einmal, aber die Drohung ist nur schwach.
„Gehen wir hier lang?““ schlägt Pagel vor. „Also los! Seien Sie nicht albern, kommen Sie ein Stück mit, Lina, Trina, Stina. Ich kann Ihnen hier auf offener Straße doch nichts tun, und verrückt bin ich auch nicht …““
„Ich habe keine Zeit““, sagt sie. „Ich müßte längst zu Hause sein. Die gnädige Frau …““
„Erzählen Sie der Gnädigen, Schnaps ist ausgerissen, und hören Sie jetzt zu. Ich war da eben drin bei dem feinen Kerl in der Villa, Schulkamerad von mir, wollte mir Geld pumpen …““
„Und da stecken Sie Ihr Geld meinem Hund …““
„Seien Sie keine Gans, Miezi!““
„Liesbeth!““
„Hören Sie zu, Liesbeth! Natürlich habe ich nichts gekriegt – weil Sie mit meinem Geld vor der Türe standen! Man kriegt nämlich kein Geld, solange man noch was hat, und darum hatte ich es Ihrem Hund in das Halsband gesteckt. Kapiert –?““
Aber bei ihr geht es erheblich langsamer. „Da sind Sie mir also gar nicht schon eine Woche lang nachgelaufen, und einen Brief haben Sie auch nicht reingesteckt? Ich dachte, der Hund hätte ihn verloren …““
„Nee, nee, Liesbeth““, grinst Pagel zwar frech, aber jämmerlich ist ihm doch zumute. „Kein Brief – und mit dem Geld wollte ich Ihnen auch nicht Ihre Reinheit abkaufen. Aber die Frage, die Sie mir nun beantworten sollen, ist die: Was soll ich jetzt tun? Keinen Pfennig mehr. Eine Bude am Alex, für die die Miete nicht bezahlt ist. Meine Kleine sitzt als Pfand drin, nur mit meinem Sommerpaletot bekleidet. Alle Sachen habe ich verkauft, um hierherzukommen.““
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