Pagel hat umgedreht und schlendert wieder die Straße hinunter. Er geht rechts, dann links, wieder rechts, hin und her – aber es erweist sich als schwierig, das Geld in Alkohol umzusetzen. In dieser piekfeinen Villengegend scheint es weder Läden noch Kneipen zu geben. Natürlich, solchen Leuten wird alles ins Haus gebracht, Wein und Schnaps halten sie kellerweise.
Pagel findet nur einen Zeitungsmann, aber in Zeitungen mag er das Geld nicht anlegen. Nein, danke, mit so was hat er nichts zu tun. Wenn er schon die Schlagzeile liest: „Aufhebung der Grenzsperre zum besetzten Gebiet““ – geht ihn nichts an, macht, was ihr wollt, Scheibe ist es doch!
Als nächstes trifft er eine Blumenfrau, sie steht an einer Autobushaltestelle und hökert mit Rosen. Der Gedanke, Herrn von Zecke, der einen ganzen Garten voller Rosen hat, mit einem Pofel von Rosenstrauß unter die Nase zu gehen, ist so schön, daß Pagel beinahe kauft. Aber dann zuckt er die Achseln und geht weiter. Er ist nicht ganz sicher, daß Zecke seinen Pumpversuch nur leicht und humoristisch nimmt.
Aber raus aus der Tasche muß das Geld – soviel ist sicher. Am liebsten würde Pagel es einem Bettler schenken, das bringt immer Glück. Aber es gibt hier in Dahlem nicht einmal Bettler. Die setzen sich lieber an den Alexanderplatz zu den armen Leuten. Die haben immer noch eher mal ein bißchen Geld über.
Eine Weile ging Wolfgang dann hinter einer älteren, dürren Dame her, die in ihrem grau aussehenden Jäckchen mit verschossenem lila Aufschlag und irgendeinem Gebammel von schwarzen Schmelzperlen ihm den Eindruck einer „verschämten Armen““ machte. Aber dann verzichtete er darauf, ihr das Geld in die Hand zu drücken. Denn von allerschlechtester Vorbedeutung wäre es gewesen, das Geld nicht gleich auf Anhieb loszuwerden, sondern es erst einmal wieder zurückzubekommen.
Schließlich geriet Pagel auf den Hund. Stillvergnügt saß er auf einer Bank und pfiff und schmeichelte einen stromernden, weißen, braungefleckten Fox an sich heran. Das Tier war von einer phantastischen Lebenslust erfüllt, es bellte den Schmeichler trotzig, herausfordernd an, war dann plötzlich liebevoll, legte den Kopf prüfend auf die Seite und wackelte mit dem Schwanzstummel. Beinahe hatte Wolf ihn fest, da jagte er schon wieder, fröhlich aufbellend, drüben in den Anlagen, während man ein Dienstmädchen mit geschwungener Leine, verzweifelt „Schnaps! Schnaps!““ rufend, ihm nacheilen sah.
Vor die Wahl zwischen dem geruhig rauchenden Mann und dem aufgeregten Mädchen gestellt, entschied sich der Fox für den Mann. Er stieß mit der Schnauze auffordernd gegen Pagels Bein, und in seinen Augen stand die klare Bitte, ein neues Spiel zu beginnen. Grade hatte Wolf ihm die Scheine fest unter das Halsband geschoben, da kam schon das Mädchen, erhitzt und empört, und stieß atemlos hervor: „Lassen Sie unsern Hund los!““
„Ach, Fräulein““, sagte Wolfgang. „Für Schnaps sind wir Männer nun mal alle: – Und …““, setzte er hinzu, denn in dem frisch gewaschenen Kleid steckte ein erfreuliches Mädchen, „und für die Liebe.““
„Ach Sie!““ sagte das Mädchen, und ihr verärgertes Gesicht verwandelte sich so plötzlich, daß auch Wolfgang lächeln mußte. „Sie ahnen ja nicht““, sagt sie und versuchte, den tänzelnden und jaulenden Fox an die Leine zu hängen, „was ich für Ärger mit dem Hund habe. Und immer sprechen einen Herren an. – Was ist denn das?““ fragte sie erstaunt, denn sie hatte das Papier unter dem Halsband gefühlt.
„Ein Brief““, sagte Pagel im Abgehen. „Ein Brief für Sie. Sie müssen ja gemerkt haben, ich gehe Ihnen schon eine Woche lang jeden Morgen nach. Aber lesen Sie ihn erst nachher, wenn Sie allein sind, es steht alles drin. Auf Wiedersehen!““
Und er ging eilig um die Ecke, denn ihr Gesicht glänzte ihm zu hell, als daß er die Entdeckung der Wahrheit noch hätte miterleben mögen. Wieder um eine Ecke, und jetzt konnte er wohl langsamer gehen, jetzt war er vor ihr sicher. Auch schwitzte er schon wieder; eigentlich hatte er die ganze Zeit geschwitzt, seit er auf der Podbielskiallee ausgestiegen war. So langsam er auch gegangen war. Und plötzlich überkam es ihn, daß es nicht der Sonnenbrand war, der ihm so warm machte, nicht nur der Sonnenbrand. Nein, nein, es war etwas anderes, noch etwas anderes: er war aufgeregt, er hatte Angst!
Mit einem Ruck blieb er stehen und sah um sich. Schweigend standen in der Mittagsglut die Villen zwischen den Schirmen der Kiefern. Irgendwo summte ein Staubsauger. Alles, was er bis jetzt getan hatte, um das Drücken auf den Klingelknopf zu verzögern, war ihm von der Angst eingegeben worden. Und es hatte noch viel früher angefangen: er hätte keine Lucky strike gekauft, sondern ein Frühstück für sie beide – hätte er keine Angst gehabt. Ohne die Angst hätte er auch die Sachen dem Onkel nicht gelassen.
„Ja““, sagte er und ging langsam weiter, „es treibt auf das Ende zu.““ Er sah ihrer beider Lage plötzlich, wie sie wirklich war: in Schulden, ohne jede Aussicht für den nächsten Tag, Petra fast nackt in der stinkenden Höhle, ihn hier im Viertel der Reichen mit seinem abgeschabten, feldgrauen Rock, nicht einmal das Fahrgeld in der Tasche.
Ich muß ihn überreden, uns Geld zu geben, dachte er. Und wenn es auch nur ganz wenig ist.
Aber es war Idiotie, es war völliger Wahnsinn, von Zecke ein Darlehen zu erwarten! Nichts von dem, was ihm über Zecke bekannt war, berechtigte zu der Erwartung, daß er Geld verlieh – mit einem Minimum an Aussicht, es wiederzubekommen. Aber was dann, wenn er nein sagte –? (Und er würde natürlich nein sagen, Wolfgang konnte sich jede Frage ruhig sparen.)
Die lange, ziemlich breite Allee, an deren Ende Zeckes Villa liegt, tut sich vor Pagel auf. Er beginnt, sie hinunterzugehen, ziemlich langsam zuerst. Dann schneller und schneller, als treibe es ihn einen Berghang hinunter, seinem Schicksal entgegen.
Er muß ja sagen, denkt Wolfgang Pagel wieder einmal, und wenn er auch noch so wenig gibt. Dann mache ich Schluß mit dem Spielen. Ich kann immer noch Taxichauffeur werden – Gottschalk hat mir seinen zweiten Wagen fest zugesagt. Dann bekommt Petra es auch leichter.
Nun ist er der Villa schon ganz nahe. Er sieht schon wieder Muschelkalk und Eisengitter, Messingschild und Klingelknopf. Von neuem zögernd, überquert er die Straße.
Aber er sagt natürlich nein. – Oh, verdammt, verdammt!!! Denn beim Umsehen sieht er am Straßenende ein Mädchen kommen; der an der Leine zerrende, kläffende Fox verrät schon, was das für ein Mädchen ist. Und zwischen Auseinandersetzung hier und Bitte dort, gejagt und Jäger, drückt er auf den Klingelknopf und atmet erst erleichtert auf, als der Türverschluß leise surrt. Ohne einen Blick auf die Heraneilende tritt er ein, zieht sorgfältig die Tür zu und atmet auf, als eine Biegung des Weges ihn zwischen deckende Büsche führt.
Zecke kann schließlich bloß nein sagen, dieser Dienstbolzen da aber unmenschlichen Krach schlagen – Wolfgang haßt Krach mit Frauen. Das wird immer gleich so uferlos.
„Also, da bist du wirklich, Pagel““, sagte Herr von Zecke. „Halb und halb hatte ich dich erwartet.““ Und als Wolfgang eine Bewegung machte: „Nicht grade heute – aber du warst fällig, nicht wahr?““
Und Zecke lächelt überlegen, Wolfgang Pagel aber ärgert sich. Ihm fällt ein, daß Zecke schon immer diese wichtigtuerische Geheimniskrämerei liebte, daß er schon immer dieses überlegene Lächeln gehabt hat und daß er, Pagel, sich schon immer darüber geärgert hat. Zecke lächelte so, wenn er sich besonders schlau vorkam.
„Na, ich meine ja bloß““, grinst Zecke also. „Schließlich sitzt du ja wirklich hier bei mir – das wirst du wohl nicht bestreiten wollen. Na, laß man. Ich weiß, was ich weiß. Trinken wir einen Schnabus, nimm ’ne Zigarette und schauen wir uns meine Bilder an, was?““
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