Gunter Preuß
Julia
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Inhaltsverzeichnis
Titel Gunter Preuß Julia Dieses ebook wurde erstellt bei
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Impressum neobooks
Es war ein hochsommerlich heißer dritter Septembermorgen. Julia schlief noch. Sie hatte das Klingeln des Weckers nicht gehört. Als von der Straße her ihr Name gerufen und dreimal anhaltend schrill gepfiffen wurde, erwachte sie. Im ersten Moment glaubte sie, noch im Zelt zu liegen. Sie griff automatisch links neben sich, um ihre Mutter zu wecken; aber sie fand nur Romeo, ihren großen plüschenen Bären.
»Julia! - Julia, bist du noch da?! Antworte doch! - Juliaaa!!« Pit!, erinnerte sich Julia. Heute ist der dritte September. Erster Schultag. Du liegst in deinem Bett. Nicht im Zelt. Was so gewaltig rauscht, ist nicht die Ostsee, sondern die Stadt.
Julia sprang auf, zog eilig die Gardine zurück und beugte sich aus dem Fenster. Fünf Meter unter ihr stand Pit zwischen den zur Arbeit hastenden Menschen. Der gute alte Pit - Lederhosen, enger Seemannspulli, kräftige Gestalt, das Haar kurz und schwarz - struppig, ruhige Augen in dem etwas breiten gutmütigen Gesicht.
»Grüß dich, Pit!«
»Morgen. Julia.« Pit lächelte verlegen, als er Julia in ihrem dünnen Nachthemd sah.
»Drei Sekündchen, Pit! Bin sofort unten!«
Julia mochte Pits Schüchternheit ihr gegenüber. Sie liebte nicht die prahlerischen, oft anzüglichen Reden und Blicke der Jungen ihres Alters. Sie rannte singend in die Küche, fand neben der Flasche Milch und ihren Broten einen Zettel: Viel Glück zum Schulanfang! Mutsch
Julia musste lachen. Mutters Glückwunsch klang so, als würde für sie das erste und nicht das achte Schuljahr beginnen. Sie stellte das Radio auf volle Lautstärke, nahm einen Apfel, duschte kalt, aß dabei und dachte daran, dass Herr Rohnke, ihr Klassenlehrer, nun wieder mit Strenge und Disziplin über ihre Zeit gebieten würde. Aber es war gut so, dass nun wieder alles auf Hochtouren laufen sollte. Die Faulenzerei war ihr in den letzten Ferientagen langweilig geworden.
Julia stellte sich nackt vor den Spiegel und freute sich über ihre dunkle Bräune, die sie viel Sonnenöl und Schweiß gekostet hatte.
»Julia! Wir kommen zu spät! Juliaaa!«
Sie kämmte ruhig ihre weit über die Schultern fallenden braunen Haare, lachte über das ungeduldige Pfeifen, rundete ihren Mund und sagte: »P-i-t ...«
Schnell zog sie sich an, rannte, ihre Tasche unterm Arm, aus der Wohnung. Auf halber Treppe musste sie noch einmal umkehren. Sie hatte vergessen, die Wohnungstür abzuschließen.
»Na endlich! Los schon! Wir müssen spurten! Bei dir sagt Rohnke nichts, wenn wir zu spät kommen. Aber ich darf mir was anhören.«
Julia hatte sich die Begrüßung anders vorgestellt. Manchmal, wenn sie mit ihren Eltern abends am Strand gesessen hatte und der Mond auf den Wellen entlangglitt, hatte sie sich ausgemalt, wie Pit ihr am heutigen Morgen eine Blume überreichen würde. Als sie dann im Bett lag und der ganze Mondscheinzauber vorbei war, hatte sie darüber lächeln müssen.
Nun rannten sie die Elsbethstraße hinunter. Die Sonne hieb heiß auf sie herunter.
An der Kreuzung stauten sich die Autos. In der Ferne ertönte ein Sirenenlaut, schnell näher kommend. Eine Straßenbahn hielt kreischend. Neben ihnen schrie ein Junge. Eine Frau lachte. Die Schornsteine der Brauerei stießen wieder ihre schwarzen Abgase ins Viertel. Und für den Bruchteil einer Sekunde konnte man einen Sperling tschilpen hören.
Die große Stadt! Julia war froh, dass sie wieder hier war, und es tat ihr gut zu rennen. Sie dachte daran, was Pit eben über Herrn Rohnke gesagt hatte. Irgendwie hatte Pit nicht unrecht, wenn er sich in letzter Zeit vernachlässigt fühlte. Julia hatte manchmal das Gefühl, dass Herr Rohnke sich um Pit nicht mehr genügend kümmerte. Pits Leistungen lagen weit unter dem Klassendurchschnitt. Es war fraglich, ob er die 8. Klasse schaffen würde.
In letzter Zeit hatte Julia öfter über Pit nachdenken müssen. Warum war er so verschlossen und schwer zugänglich. Sie sagte sich aber schnell: Alles würde wie immer gut gehen. Auch mit Pit. Herr Rohnke hatte es immer geschafft.
Für Julia und die 8b war Herr Rohnke so etwas wie ein Hexenmeister, der nicht nur traumhaft sicher mit Zahlen und Worten umgehen konnte und im Sportunterricht ein As war, der auch, wenn die Klasse etwas angestellt hatte, alles wieder in Ordnung brachte.
Am Ende der Elsbethstraße, entfernt vom Lärm der Hauptstraße, liegt die Schiller-Oberschule, ein großes putzbröckliges Gebäude. Zur Straße hin stehen vor dem Fenster drei mächtige Kastanien, die den jüngeren Kindern als Klettergerüst und den Sperlingen als Versammlungsort dienen. Zur anderen Seite des Gebäudes dehnt sich der grasbewachsene Schulhof, in dessen Mitte sich ein Fahnenmast wie ein gutmütig drohender Zeigefinger erhebt.
An den Schulhof grenzt die Kleingartenanlage »Heuweg«, Die nahe gelegenen Gärten werden von den Schülern der Schiller-Oberschule fleißig und unentgeltlich abgeerntet. Daraufhin greifen alle Jahre wieder die Kleingärtner zu Feder und Papier und beschicken die Direktion der Schule und die zuständige Polizeistelle mit Beschwerdebriefen und Anzeigen.
Als Julia und Pit atemlos das Schulgebäude erreichten, hingen noch ein paar verspätete Kletterer in den Kastanien. Jemand rief: »Der Pit und die Jule, die komm' zu spät zur Schule!«
Pit war stehengeblieben. Er schaute gegen das Licht in die Kronen der Bäume.
»Nun komm schon!« drängelte jetzt Julia. »So was hört man doch gar nicht.«
Pit hatte seinen kleinen Bruder Olaf erkannt, der in der Spitze eines Baumes wippte.
Pit wölbte die Hände vor dem Mund und rief: »Olaf Komm sofort herunter!«
Die Antwort war ein Hagel von Kastanien. »Lass ihn doch sitzen!«, rief Julia ärgerlich. »Es wäre das erste Mal, dass er auf dich hört.«
Pit schaute hilflos zu Julia, dann zu seinem Bruder.
»Von mir aus klettere zu ihm hoch und lege ihn trocken!«
Julia lief wütend in die Schule und erreichte noch vor Herrn Rohnke das Klassenzimmer.
Sie ärgerte sich über Pit, wie immer, wenn er sich ihren Wünschen widersetzte.
Die 8b begrüßte Julia mit »Hallo!«
Liebscher schien gerade eine Episode aus seinen Ferienerlebnissen zum Besten gegeben zu haben.
Ellens Blicke hingen noch bewundernd an Liebschers schmalen Händen, die durch ihre beschwörende Gestik seinen Erzählungen große Lebendigkeit verliehen. Schon seit dem Kindergarten war Ellen Julias Freundin. Ellen hatte immer etwas zum Schwärmen gebraucht. Erst war es ein luxuriöser Puppenwagen gewesen, dann ein roter Luftroller, ein Sportrad, später dann war es ein Jugendbild des französischen Filmschauspielers Alain Delon, und nun war es seit einem Jahr Liebscher. Ellen hatte Julia gestanden, dass sie in Liebscher »völlig weg« war. Ellen glaubte, dass ihr neuer Schwarm ihr großes Geheimnis war, dabei wusste die ganze Klasse davon, aber niemand witzelte darüber. Pele hatte es einmal versucht, da hatte Liebscher ihn in einen seiner Judogriffe genommen, einen Armhebel. Pele hatte vor Schmerz aufgeschrien und um Entschuldigung gebeten.
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