»Oh ja«, entgegnete Bruder Nikolai, »darauf habe ich beim Umbau im Kloster geachtet.«
Sie gingen nach unten auf den Hof zum Bulli-Transporter, durch dessen getönten Scheiben man im Innern die Silhouetten zweier Särge ahnen konnte. Auf dem lackschwarzen Transporter stand in eleganten goldenen Lettern Jänis Ozols, Riga – Beres Parvadi, – was der Lette mit Bestattungen und Überführungen übersetzte.
Jänis fuhr in die Übergabestation des Klosters, wo im hinteren Teil das silbergraue Tor der Leichenhalle anschloss. Als der Wagen eingeparkt war, öffnete er die Heckklappe des Autos und sie schoben zwei Transport-Wagen dahinter. Jänis löste diverse Schlauchkupplungen, zog die Transport-Särge auf Rollen heraus und fuhr diese auf den Wagen zur Seite.
Im fahl-kalten Neon-Licht der kleinen Halle wirkten die schwarz gelackten, mit schmalen Goldkanten und Palmenzweigen verzierten Leichtmetall-Särge wie Luxus-Fahrstühle zur Hölle oder zum Himmel, – je nach mentaler Disposition. So jedenfalls äußerte sich Nussbaum spontan, als er die Transport-Technik begriff, – und sie mit weißer Nase, bei zuckenden Augenmuskeln, umschritt.
Die Särge waren an den Seiten mit funktionalen Beschlägen versehen. Auf einen Griff von Jänis unter den Sarg aber konnten er das Oberteil zur anderen Seite aufklappen, ohne diese Verschlüsse öffnen zu müssen. Im Sarg lagen die bestellten Bibeln, die Bruder Nikolai dankend in Empfang nahm. Beeindruckt um die Transport-Särge herumstehend, sah man ihren Gesichtern Fragezeichen an, und der bleiche Nussbaum zweifelte: »Herr Ozols, – Sie wollen, dass wir in diesen Kisten nach Riga reisen?«
»Ich nicht, – so hat es mir Hermannis aufgetragen. Das ist die sicherste Variante. Papiere sind vorbereitet und von außen wirkt der Sarg nachher wie amtlich genehmigt. Außerdem fahre ich bei solchen Aktionen immer gegen Mitternacht am Grenzübergang vor, da habe ich noch keinen Beamten erlebt, der tiefgründig prüfen wollte. Ich werde immer schnell durchgewinkt, so als ob der Leibhaftige erschienen sei, sie zur Umkehr zu mahnen und an die Endlichkeit ihres Lebens zu erinnern.
Die Ostvölker sind alle abergläubisch bis auf die Knochen, – ich übrigens auch. Deshalb fahre ich nie ohne das Perlenarmband meiner Großmutter.« Er streckte seinen farbig-floral tätowierten linken Arm aus der Jacke und verwies auf ein dickperliges mit orthodoxen Kreuzen verziertes elfenbeinernes Armband, das auf einen schwarzen Lederriemen geknüpft war. »Ein Familienstück, – Walrossbein von Seefahrern und geweiht in Riga.«
Bruder Nikolai lächelte, worauf sich Jänis Ozols selbstbewusst straffte und fortfuhr: »Es ist auch schon vorgekommen, dass die paar Dollarscheine, die ich für eine schnelle Abfertigung zu den Papieren lege, zurückgegeben wurden und sich Grenzbeamte bekreuzigten, – wobei ihnen das Sträuben der Haare schon mal die Dienstmütze anhob. Ich habe nämlich, bei solchen Anlässen, immer etwas Lidschatten unter die Augen gelegt, – und wenn ich meinen schwarzen Zylinder lüfte, die traurige Glatze zum Vorschein kommt, da müssten Sie mal das unterdrückte Entsetzen sehen. Wenn dann noch einer fragt, rede ich flüsternd von einem rätselhaften Infektionsfall, an dem die Leute in den Särgen verschieden sind, – das funktioniert immer. So ist das, alles Theater, – und uns emotional umso näher, je mehr es unsere physische Existenz betrifft. Man sieht förmlich die flache Atmung, wenn ich vorfahre und anhalte. Aber Haltung nehmen die Grenzbeamten immer ein, das muss man schon sagen, – das ist wohl der Respekt vor dem Tode, unser aller Meister.«
»Infarkt. – Aber Herr Ozols, Sie wollen doch wohl nicht sagen, dass man da drinnen stundenlang liegen kann, ohne am Infarkt zu sterben?«, schob Nussbaum mit nervös zittriger Stimme nach.
»So schlimm ist das nicht. Aber wenn es wirklich passiert, stimmt schon mal die Verpackung, – und ich mache Ihnen einen Freundschaftspreis, denn ich habe ja weniger Aufwand«, lachte Ozols.
»Solchen Humor findet man wahrscheinlich nur in ihrem Gewerbe«, erwiderte Oie lächelnd, weil er Nussbaums Beklemmungen fühlte und es auch ihm nicht geheuer war, so zu reisen. – »Aber im Ernst, wie soll das gehen?«
»Ganz einfach. Die Plätze in den Särgen werden erst etwa eine Viertelstunde vor der Grenze bezogen, – im Fahren natürlich um nicht aufzufallen. Jeder Sarg ist durch die Schlauch-Anschlüsse runter gekühlt und Sie wickeln sich beim Einstieg in eine Thermofolie. Das erfordert eine gewisse Gelenkigkeit, ist aber wichtig, damit die Wärmebild-Kameras, die die Jungs manchmal einsetzen, nicht anschlagen. Hinter der Grenze dann steigen Sie wieder raus, – aber im Notfall kann man den Sarg auch jederzeit von innen öffnen. Hier sehen Sie: Die Randleiste anklappen – das ist die Panikklinke – und schon ist die Verriegelung gelöst.«
»Luft. – Und was ist mit der Luft?«
»Die kommt über eine Maske mit Schlauchanschlüssen zum Kühlaggregat, das für diese Zeit, von mir im Cockpit, über Spezialfilter, auf Atemluft geschaltet wird, – auch wegen eventueller Kohlendioxid- Sensoren bei den Genossen. Wir haben an alles gedacht. Es ist schon oft erprobt worden und hat immer funktioniert, – bis nach Westeuropa durch den Zoll.«
»Tut mir leid Oie«, murrte Nussbaum, mit einem Bibbern in der Stimme, »da geh ich nicht rein, – in der Enge bekomme ich einen Herzkasper. Ich muss ja schon bei jedem Flug Beruhigungsmittel nehmen und habe in Fahrstühlen Schweißausbrüche. Dann bleibe ich lieber hier Nikolai, – habt ihr nicht eine Stelle als Kloster-Mathematiker?«, fragte er zerknirscht scherzend.
»Das ändert die Lage!«, stoppte der Lette. »Das ist dann zu riskant. Wenn ihnen die Nerven durchgehen, ist die ganze Technik bei den Russen und wir sind im Gulag, – so geht es nicht!«
»Wir müssen eine andere Lösung finden, – jedenfalls für Samuel«, besann sich Bruder Nikolai. »Wie heißt es so schön? Gott schenkt die Nüsse, aber er knackt sie uns nicht auch noch, – ich muss darüber nachdenken.«
Sie schoben die Särge zurück in den Bulli und begaben sich ins Refektorium zum Abendessen.
Die ganze Nacht über merkte Oie, der sonst gut schlief, wie Nussbaum sich in seinem Bett wälzte, häufig schwer atmete, undeutliche Worte brabbelte, aufwachte, umher ging, sich wieder hin legte, – und sich weiter wälzte. Oie sagte dazu nichts, obwohl er fühlte, wie Samuel mit sich kämpfte, um eine akzeptable Haltung zu haben, – am Morgen der Entscheidung. Etwas Hoffnung hatte er, denn es drängte Samuel ja auch in die Heimat, – das wurde für Oie von Tag zu Tag deutlicher spürbar.
Nach dem Frühstück in Bruder Nicolais Büro telefonierte der noch einmal und zeigte dann ein entspanntes Gesicht: »Wir haben eine Möglichkeit für dich, Samuel, – auf einem Wolgaschiff namens Sagorsk. Der Kapitän, Iwan Iwanowitsch Bogdanow, gehörte früher, als Kapitän eines U-Bootes der Baltischen Rotbannerflotte, zu uns. Seit ich hier im Kloster bin, war er oft bei mir in den letzten Jahren.
Ich habe ihn in einer seelischen Krise aufgebaut und ihm auch das alte Schubschiff vermittelt, als er ohne Arbeit war und drohte abzustürzen. Er ist jetzt selbstständiger Unternehmer und fährt auf der Wolga von Astrachan Hinauf nach Sankt Petersburg. Zurzeit ist er stromaufwärts unterwegs, um in Yaroslawl Getreide zu laden, – für Petersburg. Er würde gegen Mittag, zum Proviantieren hier im Hafen anlegen, offiziell, – natürlich nur wegen uns, wenn ihr es wollt.«
»Aber«, hakte Oie ein, »wir bleiben auf jeden Fall zusammen. Dann fahren wir beide auf dem Schiff, – auch wenn es länger dauert. Geht das?«
»Sicherlich, – nach zweien habe ich nicht gefragt, aber die Schubeinheit ist groß, da findet sich noch ein Plätzchen. Ich rufe gleich noch mal an.
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