„Du musst dich augenblicklich damit zufriedengeben, was ich bereits im Café Éric Kayser dir gegenüber erwähnt hatte: Ich bin kein Terrorist und stehe auf keiner Seite dieses Machtkampfes. Ich beobachte und analysiere lediglich. Und ich gehöre noch nicht einmal hierher.”
Mouad blickte ihn erstaunt - zugleich fragend an.
Ahmad ging jedoch auf diese letzte Bemerkung nicht weiter ein.
„Unsere Freundschaft muss sich doch erst einmal in Ruhe entwickeln. Du solltest dich zudem glücklich schätzen, dass wir beide heute durch eine schicksalhafte Fügung dem Tode entronnen sind. Ich verspreche dir: Ich werde dich peu á peu an meinem Leben teilhaben lassen. Aber zunächst müssen wir offensichtlich erst einmal lernen, unsere beiderseitigen Verhaltensweisen und Empfindlichkeiten näher zu begreifen.”
Mouad schien mit diesen Ausführungen nicht besonders glücklich zu sein, sagte aber weiter nichts. Er blickte sich suchend im Zimmer um. Ahmad schien seine Gedanken zu erraten:
„Du kannst im Bett schlafen. Ich verbringe die Nacht lieber auf dem Fußboden. Eine Gewohnheit aus dem Heim, in dem es nur Holzpritschen gab”, meinte er schmunzelnd.
Mouad nickte. Er war zu erschöpft, um Ahmad jetzt noch weitere Informationen zu entlocken.
„Willst du duschen?”, fuhr dieser fort. „Im Moment ist die Wohnung unter mir nicht vermietet. Handtücher, Seife und Haarwaschmittel findest du in einer Mauernische neben der Kabinentür. Du kannst auch einen Pyjama für die Nacht von mir haben.”
Ahmad ging zum Kleiderschrank und warf Mouad einen sorgfältig gefalteten Schlafanzug zu.
„Danke. Du bist sehr freundlich.”
Mouad kletterte die Stufen hinab und verschwand hinter der Badezimmertür. Das Geräusch fließenden Wassers war zu hören.
Nach ungefähr zehn Minuten vernahm Ahmad plötzlich eine Stimme in seinem Ohr. Er hatte die Implantate ganz vergessen, die er zu Beginn seiner Mission erhalten hatte. Seine Schwester Astrid meldete sich:
„Hallo Knud!”
Er stutzte über diesen Namen. Aber blitzartig erinnerte er sich, dass Ahmad ja nur sein Tarnname im Rahmen dieser Mission war.
„Wir haben starke Anhaltspunkte dafür, dass die politischen Spannungen in der Region rasch zunehmen werden”, klärte ihn seine Schwester über die aktuelle Lage auf und fuhr fort: „Der Iran hat seine atomaren Waffensysteme in den letzten Jahren auch dank chinesischer und sogar deutscher Hilfe erheblich modernisieren können. Jedoch hat sich westlich davon, in Richtung Irak und Syrien eine Failed Region entwickelt, die einer Expansion des schiitisch-iranischen Machtbereiches im Wege steht. Das gelang der IS umso leichter, weil beide Staaten von innen her sehr geschwächt sind - begünstigt durch jahrzehntelange innerstaatliche Machtkämpfe auf allen Ebenen. Wir wissen darüber hinaus jedoch von unseren amerikanischen Kundschaftern, dass die USA seit einigen Wochen verstärkt Truppen zusammenziehen, um der direkten Bedrohung Israels entgegen zu wirken. Israel hat intern schon seinen Mossad-Mordkommandos befohlen, führende Vertreter der Hisbollah und der libanesischen Regierung zu liquidieren, die mit dem pro-iranischen Regime in Damaskus zusammenarbeiten und heimlich die Teilmobilmachung angeordnet. Außerdem gibt es Anzeichen dafür, dass lokale Kommandos, von Nasrallah ausgesandt, die Bevölkerung aufwiegeln sollen, in dem sie so genannte ,spontane Demonstrationen des Volkszorns’ organisieren, um die IS davon abzuhalten, die politische Kontrolle im Libanon zu übernehmen.
Auch der Iran ist mit in Vierergruppen organisierten Kommandos unterwegs, die sich von den Pasdaran bzw. Sepah und den Basidsch-e Mostaz’afin rekrutieren. Sie haben das Ziel, den libanesischen Staat zu zerschlagen. Damit destabilisiert sich die Situation in der Levante weiter. Und was das Kalifat außer grausamem Terror zur Durchsetzung einer steinzeitlich-fundamentalistischen Auslegung der Korans nun langfristig genau will... Sieht inzwischen für mich danach aus, dass diese Organisation als ein Sammelbecken für alle enttäuschten, frustrierten und wütenden Moslems fungiert, die in einer fundamentalistischen Auslegung des heiligen Buches ihr Heil suchen. Auf jeden Fall wird dieses zum Teil von langer Hand vorbereitete machtpolitische Chaos der Levante mit absoluter Sicherheit den Rest geben.”
„Das heißt, es gibt schon konkrete Umsturzpläne?”, fragte Ahmad sorgenvoll.
„Ja, aber von mehreren politischen Gruppierungen. Du musst daher ab sofort ganz besonders vorsichtig sein. Es wimmelt, wie schon angedeutet, von Spitzeln.”
„Ich weiß. Das bedeutet, dass meine monatelangen Recherchen und unsere umfangreichen Vorarbeiten völlig zu Recht stattgefunden haben. Wir sind vor Wochen fast in einen solchen Menschenauflauf hineingeraten, aber von entgegenkommenden Passanten rechtzeitig gewarnt worden. Zudem haben wir gerade mit knapper Not einen Bombenanschlag auf den libanesischen Premier überlebt.”
Ein heftiges Zischen war zu hören - Astrid musste tief Luft holen - diese Nachricht erst einmal verdauen.
„Was sagst du da? Und wer, bitte, ist wir?”, fragte Astrid.
Ahmad schilderte in knappen Sätzen, was vorgefallen war.
„Deine Tat war absolut ehrenvoll und menschlich. Aber setze dich bitte künftig nicht wieder solchen Gefahren aus. Dass die politische Lage inzwischen eine derartige Brisanz erreicht hat, hast du in deinen Briefings bislang mit keinem Wort erwähnt und war womöglich auch für dich nicht absehbar.”
„Ich ahnte es damals bereits, Astrid. Aber ich wollte dich nicht beunruhigen. Deshalb habe ich dich über diese Situation auch so lange im Unklaren gelassen, um nicht den Militärs und Geheimdiensten Gelegenheit zu geben, unsere Kommunikationssignale zu entdecken oder schlimmer noch, sie irgendwann zu entschlüsseln.”
„Und was ist mit diesem wir?”, bohrte Astrid nach.
„Schwester, ich glaube, ich bin verliebt. Ich habe jemanden kennen gelernt.”
„Bist du wahnsinnig, dich in einer solchen Situation einer derartigen Gefahr auszusetzen? Du kennst ihn doch gar nicht. Außerdem gilt auch für dich die Allgemeine Charta der Föderation, die fordert, sich nicht mit Menschen einzulassen, die einen solch enormen kulturellen Rückstand gegenüber unserem Zivilisationsniveau haben.”
„Du vergisst, mit wem du sprichst”, antwortete Knud alias Ahmad streng. „Ich habe doch viel mehr Menschenkenntnis, als du dir offenbar auch nur im Entferntesten vorstellen kannst. Und ich verspüre keine Lust, auf ewig mein Eremitendasein auf dem Gebiet der zwischenmenschlichen Beziehungen fortzusetzen.”
„Entschuldige meine Einmischung, aber ich bin sehr besorgt um dich. Ich muss dir jedoch, wenn auch nur widerstrebend, Recht geben. Schau ihn dir bitte genau an. Du weißt, was von der Mission abhängt.”
Wie um sich zu rechtfertigen entgegnete Ahmad: „Ich habe mich immer für die Föderation mit all meiner Kraft und all meinen Fähigkeiten eingesetzt - werde dies solange ich lebe auch weiter tun. Aber ich möchte endlich auch einmal selbst eine derartige persönliche Erfahrung machen.”
Ahmad wechselte ganz bewusst das Thema. Er wollte nicht, dass Mouad von diesem Gespräch irgend etwas mitbekam.
„Ich habe in einer Woche, um Mitternacht, noch ein Treffen mit einem unserer Kundschafter in den Redaktionsräumen der Zeitung ,The Daily Star’. Ich hoffe, da mehr - insbesondere über die geheimen Aktivitäten der Hisbollah - zu erfahren. Aber auch die anderen Spieler in diesem nahöstlichen Machtpoker werden im Zentrum der Aussprache stehen.”
„In Ordnung. Aber pass auf, dass dein Lover von dieser hochgeheimen Zusammenkunft nichts mitbekommt.”
„Übrigens”, führte Knud ruhig und gelassen aus - gewissermaßen als ein Beruhigungsdragee für seine besorgte Schwester. „Ich rechne außerdem damit, dass ich über meinen Freund Mouad einen weiteren Zugang zur Intelligenzija dieses Landes erhalte. Sein Vater ist Professor für Physik an der Amerikanischen Universität in Beirut. Ich denke mal, dass ich ihm und dem Rest der Familie vorgestellt werde. Hoffentlich erfahre ich dann mehr über die Denkweise der üblicherweise gegenüber Fremden sehr zurückhaltend auftretenden gebildeten Kreise in diesem Land.”
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