1 ...8 9 10 12 13 14 ...22 Auch seinen Studien wandte er sich scheinbar nur mit mäßigem Interesse zu. Er war des öfteren während der Vorlesungen abwesend und hinterließ auch bei den Übungsseminaren keinen besonders guten Eindruck. Immer wieder machte Ahmad Fehler, schien schlecht vorbereitet zu sein und hatte offensichtlich Mühe, sich zu konzentrieren.
Dabei fiel Ahmad auf, dass der sonst gegenüber ihm so desinteressiert wirkende Mouad ihn bei seinen unvollkommenen Ausführungen scharf beobachtete und einmal leicht fragend den Kopf zu schütteln schien, so als wollte er sagen: ,Ich glaube dir diese Show sowieso nicht, die du hier abziehst.’
Im Rahmen seiner Aufgabe, die Ahmad zu erfüllen hatte, begann er den Libanon zu bereisen und sich die touristischen Highlights des Libanon anzusehen, so zum Beispiel
die römischen Tempelruinen von Baalbeck,
die mittelalterliche Altstadt von Tripoli sowie die
Überreste verschiedener Kreuzfahrerburgen.
Dabei interessierte sich Ahmad vor Allem für die Lebenswirklichkeit der Bevölkerung:
Die Armut der Geflohenen aus Syrien, dem Irak und sogar dem Iran,
die religiösen Spannungen zwischen Schiiten, Sunniten und Alawiten,
der Hass zwischen Anhängern der Familie Assad und den übrigen Muslimen und Christen,
die große Zahl von Flüchtlingskindern, die ohne ihre Eltern aufwuchsen, das Einsickern von religiösen Eiferern und Kämpfern insbesondere in das Bekaa-Tal. Er beobachtete auch, wie dieser Staat mehr und mehr infiltriert wurde. Ahmad war sich inzwischen absolut sicher, dass die sich abzeichnende Entwicklung auch in der Levante in einer Katastrophe enden würde...
In den folgenden Monaten nahm die politische Gewalt im Libanon immer weiter zu. Die von der Hisbollah dominierte Bewegung des 14. März rief immer wieder zu spontanen Demonstrationen gegen die pro westliche und vor allen Dingen anti-syrische Bewegung des 8. März auf. Auch mehrten sich inzwischen - für jedermann sichtbar - die Hinweise, dass die fortschrittlich-toleranten Kräfte im Lande geschwächt - oder sogar endgültig beseitigt werden sollten.
Es verging zum Ende des Fastenmonats Ramadan keine Woche, in der nicht irgendwo im Libanon politische Gegner durch fingierte Unfälle oder Sabotagegifte verletzt oder ermordet wurden, nicht aus irgendwelchen Häusern auf Passanten geschossen wurde oder sich Fanatiker der IS selbst in die Luft jagten, um möglichst viele, bis über 100 Menschen um sich herum ins Verderben zu reißen. All dies ereignete sich zudem bevorzugt in den Stadtvierteln in Beirut, die von pro-westlich eingestellten Libanesen bewohnt waren.
Der Dozent der journalistischen Fakultät, Herr Dr. Schulte, schien doch mehr Standhaftigkeit angesichts der stets brenzlicher werdenden innenpolitischen Lage im Libanon an den Tag zu legen als Ahmad und Mouad zuvor erwartet hatten. Aber gleichzeitig ließ sich der Eindruck nicht vermeiden, dass ihm die Gesundheit und die Sicherheit der Studenten vollkommen gleichgültig waren. Rücksichtslos drängte er darauf, dass die zukünftigen Absolventen in aktuellen brisanten Situationen und politischen Brennpunkten ihre ersten Erfahrungen sammeln sollten. Er legte deshalb bei den wöchentlich stattfindenden Einsätzen großen Wert auf immer wieder neu zusammengesetzte Zweiergruppen, damit die angehenden Journalisten lernten, wie mit stets wechselnden, unvorhersehbaren Situationen umzugehen wäre. Denn jedem der Berufsanwärter musste das Risiko deutlich vor Augen sein, wenn sie zukünftige Arbeitseinsätze in dieser Weltregion zu absolvieren hatten: Häufig würde dies nur unter Einsatz des eigenen Lebens gelingen.
Es war somit reiner Zufall, als Ahmad und Mouad per Losverfahren durch Herrn Dr. Schulte zu einem politisch bedeutsamen Meeting abgestellt wurden. Sie durften an einer Sitzung des Parlaments unter Leitung des Ministerpräsidenten teilnehmen. Dabei würde sich sogar möglicherweise die Gelegenheit ergeben - so argumentierte zumindest ihr Dozent - diesem Politiker auch einige kritische Fragen zur künftigen Entwicklung des Libanons zu stellen.
Ahmad teilte dessen Zuversicht, dass ein persönliches Treffen zustande käme, absolut nicht. Nach seiner Auffassung gab es überhaupt keine Indizien dafür, in dieser so aufgeheizten, politischen Lage studentische Grünschnäbel in das Zentrum der Macht vorzulassen. Wie oft hatten sich - gerade in jüngster Vergangenheit - junge Fanatiker in die Luft gejagt, um Politiker und ihr direktes Umfeld auszuschalten. Und offizielle Dokumente von der Uni, die von einem dortigen Dozenten ausgestellt worden waren, interessierten Bodyguards und Sicherheitsbeamte auch im normalen Alltag normalerweise überhaupt nicht. Denn das Fälschen derartiger Papiere war für die meisten Kriminellen ein Kinderspiel.
,Dieser Dr. Schulte ist doch ziemlich blauäugig und verantwortungslos, wenn er uns Erstsemesterstudenten einfach so in Kleingruppen losschickt, ohne uns genau darüber aufzuklären, welche Vorsichtsmaßnahmen wir ergreifen müssen, um unversehrt aus diesen möglicherweise brandgefährlichen Situationen herauszukommen.’
Ahmad schauderte bei dem Gedanken, dass dank dieser Leichtsinnigkeit manche der neuen Studenten Opfer der ständig weiter eskalierenden Gewaltspirale werden könnten.
Er dachte zurück an die Nachricht vom Ableben der beiden Kommilitonen - damals in der Vorlesung an der AUB.
,Mich jedenfalls hat die Nachricht vom Tod der beiden Männer ganz schön mitgenommen’, gestand er sich ein. ,Und Mouad offensichtlich auch, sonst würde er sich nicht in der Folgezeit so kopflos aufgeführt haben.’
Die beiden jungen Journalismusanwärter trotteten an einem strahlend schönen, sonnendurchfluteten Morgen von der AUB in Richtung des Serails, dem Sitz des Premiers. Mouad umschloss krampfhaft eine veraltete Videokamera, die lediglich über eine gerade noch brauchbar zu nennende Qualität zur Datenarchivierung verfügte.
Auf dem Weg durch das Downtown-Viertel Solidare passierten sie die edlen Auslagen am Designhotel ,Le Gray’.
Sie wechselten jedoch kein Wort miteinander. Mouad wirkte verschlossen und niedergeschlagen, als würde eine zentnerschwere Last auf ihm liegen. Ahmad war immer noch damit beschäftigt, sich zu überlegen, ob es angesichts der politischen Spannungen so eine gute Idee von ihrem Dozenten gewesen war, sie in die Nähe des Machtzentrums dieses Landes zu lotsen oder ob es nicht besser gewesen wäre, den Auftrag rundweg abzulehnen.
Aber er beschloss, sich einem näherliegenden Problemfeld zuzuwenden: Denn inzwischen reichte es ihm mit diesem merkwürdigen Verhalten von Mouad. Er wollte endlich Klarheit haben. Brauchte er Hilfe? Oder wurde er von irgendwem ganz massiv unter Druck gesetzt?
„Mouad, was ist los? Warum sprichst du nicht mehr mit mir und behandelst mich seit geraumer Zeit dermaßen abweisend? - Dich bedrückt doch irgend etwas, das sieht man dir doch an. Ich will dich nicht bedrängen, aber wenn du willst, können wir gern darüber reden.”
Mouad blickte nervös um sich, so als ob er Angst hatte, von irgendwem beobachtet zu werden.
Wieder hatte Mouad seine Tarnung aktiviert - Schirmmütze und undurchdringliche Mimik. Mit leiser Stimme stieß er hervor: „Ich habe Ärger mit meinen Kollegen. Sie haben unsere Kontaktaufnahme beobachtet und drohen mir jetzt, dies meinem Vater zu erzählen. Auch wenn er nicht ganz so streng ist wie die meisten Familienoberhäupter in meinem Land, so möchte ich diese Auseinandersetzung nicht zum jetzigen Zeitpunkt haben. Und jetzt lass mich mit diesem Thema gefälligst in Ruhe!”
Den letzten Satz hatte er so eisig und energisch hervorgebracht, dass Ahmad vorerst davon absah, ihn weiter zu bedrängen.
Sie bogen unter den üblichen gesichtslosen, vielgeschossigen, balkonkastenverzierten Hochhäusern um eine Straßenecke und befanden sich endlich gegenüber dem im neugotischen Baustil errichteten Sitz des Premierministers. In olivfarbene Tarnanzüge gekleidete Sicherheitskräfte, die mit Maschinengewehren bewaffnet waren, standen vor dem Palais und scheuchten Passanten mit rüden Worten auf die Straßenseite, auf der sich die beiden Studenten befanden.
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