Eine Anspielung auf den Grund meines Aufenthalts.
—Das war nur Marihuana, wiegelte ich ab.
—In der Bundesrepublik Deutschland sind das Drogen. Laut Paragraph ...
—Ehrlich, ich wusste nichts von den 40 Kilo. Ich war nur in dem Wagen, weil ich per Anhalter mitgefahren bin.
Ömmes lachte seinen erstickten Zigarillohusten, —Ich wette, wenn es ein Cabrio gewesen wäre, hättest du behauptet, der hätte dich kurz vorher angefahren und du wärst hinten auf seinem Rücksitz gelandet.
—Glauben Sie mir nicht?
—Ich glaube dem Richter.
—Der hatte etwas persönlich gegen mich.
—Junge. Du hast noch dein ganzes Leben vor dir.
Den Standardspruch brachte er bestimmt schon seit 20 Jahren.
—Wenigstens einer von uns, sagte ich.
Er ignorierte meinen Kommentar, —Wir wollen dich hier nicht wiedersehen.
—Das beruht ganz auf Gegenseitigkeit.
—Dann tue auch was dafür.
—Als Erstes suche ich mir einen Nebenjob, ich muss ja unser Leben irgendwie finanzieren.
Das schien ihn zu enttäuschen, er fiel zurück in seine alte Tonlosigkeit, garniert mit einem Zucken im schlecht rasierten Mundwinkel, —Das sagt ihr alle.
—Sie suchen nicht zufällig noch eine Urlaubsvertretung?, fragte ich ihn.
Wieder stempelte er einen Vordruck, —Hier sind keine Vorbestraften erlaubt.
—Echt? Wer hätte das gedacht?
—Nicht frech werden, und er deutete mit dem Stempel in meine Richtung, als wollte er ihn mir durch die Glasscheibe auf die Stirn setzen, —Ich dachte, du wolltest dein Leben umkrempeln? Du klingst noch sehr nach Ralf, Daniel!
Themawechsel. Ab in die Offensive, —Ich bekomme noch mein Geld.
Eine Antwort blieb er mir schuldig. Vertieft in seine Routinehandlungen zeitlupte er sich durch den frühen Morgen. Wir schwiegen wie zwei Verwandte, denen bei einer Familienfeier die Gesprächsthemen ausgegangen sind.
—Hier, dein Geld, sagte er endlich.
—Ist da ein Scheck drin?
—Nein, Blattgold.
—Ein Scheck, ein Scheck, was soll ich mit einem Scheck?
Für die Auszahlung müsste ich erst einmal ein Konto eröffnen.
—Das ist bald so viel, wie ich im Monat verdiene, sagte er.
—Ich brauchte dafür aber ein Jahr.
—Hattest dafür aber auch Kost und Logis frei.
Überrascht von seinem eigenen Humor, bebte sein uniformierter Körper, als säße er auf einem Massagestuhl. Dabei drang lediglich ein asthmatisches Fiepsen aus seinem Mund.
—Dafür kann ich mir nichts kaufen.
—Gehst doch sowieso hartzen.
—Hey, nä, sagte ich.
Aber wir beide wussten es besser. Selbst mit der Beihilfe für entlassene Häftlinge wäre ich bald pleite, und ob ich bis dahin einen Job gefunden hatte, von dem ich und Clarissa halbwegs leben konnten, stand ja noch nicht einhundertprozentig fest. Vorstrafen und Jugendhaft konnte ich in meinen Bewerbungsmappen weglassen und Ausfallzeiten mit Bildungsreisen und Ähnlichem kaschieren. Demnach müsste ich sowas wie ein weitgereister Einstein sein. Sollte mich allerdings jemand zu einem Vorstellungsgespräch einladen, dann wollte der irgendwann sicher ein Führungszeugnis sehen. Da hieß es: Hosen runter.
Apropos Hosen runter, das würde es heute Abend auch heißen, ich würde Clarissa sehen, endlich, nach fast einem Jahr. Action!
Seit eineinhalb Jahren waren wir zusammen. Wir kannten uns aus der Schulzeit in Leverkusen. Damals hatte es aber noch nicht gefunkt. Bei ihr nicht. Bei mir natürlich schon. Ich war verrückt nach ihr. Gut, ich war verrückt nach allen Mädels, deren Fingerknöchel beim Gehen nicht über den Bürgersteig schleiften.
Das musste sie doch gemerkt haben, gespürt haben. Es heißt doch, die Mädels hätten so einen tollen Sinn für so was!
Deswegen fragte ich sie relativ bald, nachdem wir uns in einem Club in Köln getroffen hatten und zusammengekommen waren, in ihrer Einzimmerwohnung in Nippes, warum wir damals nicht schon in der Schule ein Paar gewesen waren. Und sie meinte, ihr wäre das zu peinlich gewesen. Angeblich nur wegen meiner Freunde, besonders Frank, dem Spanner, wie sie sagte, sie konnte ihn nicht ab, von dem Freak würde sie Gänsehaut kriegen.
Natürlich verteidigte ich meinen Kumpel, aber genauso angeblich hatte ich ja gar keine Ahnung, was das für einer sei.
Ein guter Boxer war er, das stand fest, das hatte ich jede Woche miterleben können, auf dem Schulhof oder nach der Schule. Außerdem war er im Boxverein, und nach dem eigenen K.O. bei seinem ersten Kampf stieg seine Formkurve kontinuierlich an. Wir wären ein gutes Team gewesen, ich als sein Manager, wir standen kurz davor, unser erstes Startgeld einzusacken. Aber dann hatte er sich verknallt. Wie das so ist mit den Mädels: Wenn man mit einem zusammen ist, hat man nur noch das Eine im Kopf.
Clarissa hatte mich gleich zu Anfang im Club Mett besucht. Und geschrieben hatte sie, jeden Monat, ihr letzter Brief musste leider irgendwie verloren gegangen sein. Kein Wunder, bei dem Personal hier.
Daher hatte ich ihr vor ein paar Tagen schnell noch eine Postkarte geschickt. Zum Abendessen würde ich bei ihr sein. Vorher würde mich mein unbekannter Vater vom Tor abholen, und wir würden gemeinsam Mittag essen. Er hatte mich hier vor einem halben Jahr das erste Mal angerufen und sich vorgestellt. Drei weitere Telefonate folgten.
Ich würde mich frisch machen für meinen Abend mit Clarissa, und mit einer Flasche Wein, oder besser zwei oder drei, bei ihr auftauchen, und noch mehr Kondomen.
—Was grinst du?, riss mich Ömmes aus meinem Tagtraum.
—Nix.
—Gefällt es dir hier besser, als du dachtest?
—Nein.
—Hier, der Papierkram, Quittungen, unterschreiben, da, da und da. Mach hin, ich hab gleich meine kleine Pause.
+
Ich kannte nur Menschen mit großen Pausen. Einer einzigen großen Pause. Meine Mutter, meine Stiefväter, meine Freunde und deren Eltern und Lebensabschnittspartner. Und alles, was ich von diesem gewissen Anton Vielhaber gehört hatte, klang nicht anders.
In ein paar Minuten würde ich ihn kennenlernen, zum ersten Mal persönlich, nach all den Telefonaten, gleich würde er mich abholen. Ehrensache, hatte er gesagt. Ein großer Moment.
Ich würde zum ersten Mal in meinem Leben meinem leiblichen Vater gegenüberstehen, gleich, draußen vor dem Gefängnistor. Gut, ein bisschen spät insgesamt gesehen und zugegeben nicht der beste Platz für eine erste Vater-Sohn-Begegnung, aber besser als gar keine.
Wie ähnlich wir uns wohl sahen? Konnte ich mir anhand seines Aussehens meine Zukunft vorstellen? Wie würden wir uns verstehen? Am Telefon klappte das ganz gut. Werden wir den ganzen Tag erzählen? Worüber? Ich hatte Zeit bis zum Abendessen mit Clarissa.
Das waren die Fragen, die in meinem Kopf während der letzten Wochen herumgeisterten, und auch jetzt, als ich durch die endlosen Gänge aus dem Knast geleitet wurde, fragte ich mich das alles, ohne eine Antwort erwarten zu können. Bis sich das hohe Stahltor hinter mir schloss und das Echo verhallte.
Außer mir wurde heute niemand entlassen.
Vor mir lag der verlassene Parkplatz, nirgends ein Auto, nur ein leerer Bus der KVB zehn Meter weiter, der Knast war die Endstation in vielerlei Hinsicht.
Es war der heißeste Tag in Köln, seit einer aus Langeweile angefangen hatte, die Temperaturen zu notieren. Kaum draußen drängten sich Schweißperlen auf meine Stirn, juckte der Stoff meines steifgewaschenen T-Shirts auf der Haut. Es kursierten die wildesten Gerüchte, was die hier außer Waschpulver der Gefängniswäsche beimischten.
Ich ließ meinen Seesack von der Schulter gleiten und setzte mich auf ihn.
Die Tür des Busses öffnete sich zischend.
—Was ist?, rief der schwarze Busfahrer so laut, dass er den Diesel übertönte. Auf dem Schoß lag eine Tageszeitung. Welche, konnte ich nicht erkennen.
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