Dörte spielt ein mir wohlbekanntes Kinderlied auf einer Gitarre. Ich tue natürlich so, als hätte ich es noch nie gehört und singe nicht mit; was daraufhin – dank Giulias vehementer Beanstandung – unter gar keinen Umständen von der Gruppe toleriert wird. Giulia schiebt mir mit schadenfroher Miene ein Liederbuch zu.
»Wenn du weiterhin hier mitmachen willst, Melek, dann musst du unbedingt all unsere Lieder auswendig lernen. Genau wie die Gebete.«
Hätte ich dieser Frau das »Du « angeboten, würde ich mich mit Sicherheit daran erinnern.
»Damit habe ich überhaupt kein Problem, Giulia«, offenbare ich großkotzig, was ja auch die Wahrheit ist. Immerhin war ich jahrelang Kindererzieherin in einer katholischen Tagesstätte. Ich kenne fast alle Lieder und Gebete auswendig. Das muss ich der dämlichen Schnepfe aber nicht auf die Nase binden. Sie wird schon sehen, wie schnell ich lerne.
»Wir sind immerhin eine christliche Initiative«, fügt Giulia belehrend hinzu.
»Auch kein Problem für mich!« Wobei ich persönlich ja immer mehr zum Atheismus tendiere.
»Ich dachte ja nur…«, windet Giulia sich heraus. »Ihr Moslems seid ja nicht gerade tolerant.«
»Was man auch nicht gerade von eurer christlichen Initiative behaupten kann«, murmle ich finster. Innerlich brodelt es. Giulia wird kreidebleich. Herrje, müssen die mir jetzt alle solche empörten Blicke zuwerfen!?
Dieser Club ist an Impertinenz ja kaum zu überbieten. Sarita, die Asiatin, versucht zu schlichten.
»Hört dok auf ssu sstreiten. Es ssind sließlik Kinder hier«, sagt sie mit feiner Stimme und diesem typischen Akzent, dem man heutzutage gar nicht mehr so selten begegnet, beispielsweise beim alljährlichen Weihnachtsessen beim Chinamann. Oder bei der Nagelmaniküre. »Melek hat dok gessagt, dass ssie keine Problem hat. Dann ist dok alles okay.«
Sarita wirft mir ein unmerkliches Augenzwinkern zu.
Den Rest des Vormittags singen und klatschen wir friedlich weiter. Allerdings sind die Schwingungen zwischen Giulia und mir alles andere als friedlich.
Um halb zwölf ist es geschafft. Endlich raus, aus diesem Verein garstiger Etepetete - Muttis. Gerald gähnt schon wieder. Ich laufe schnurstracks zurück zur von Degenhausen - Villa.
Ein schwarzer Porsche parkt vor dem weißen Garagentor. Mit einer Hand schirme ich meine Augen vor der blendenden Mittagssonne ab. Kurz darauf steigt ein Mann aus. Ich blinzle, um ihn besser erkennen zu können. Aha, so ein Businesstyp. Anfang vierzig, adrette Frisur, nicht unattraktiv. Das muss Arndt sein. Einen Augenblick später erscheint auch Klodia.
Arndt betrachtet mich neugierig und gleichzeitig skeptisch, als ich mich ihm nähere.
»Merhaba«, begrüße ich ihn, um möglichst überzeugend in meiner Rolle rüberzukommen.
»So, so…Sie sind also Melek«, sagt er feststellend.
Ich nicke und strecke ihm die Hand zur Begrüßung entgegen. Er zögert. Dann schüttelt er sie für den Bruchteil einer Sekunde, bevor er sie fallen lässt, als hätte er sich daran verbrannt, wie an einer heißen Scheibe Toast, die gerade aus dem Toaster gesprungen ist. Verlegen starrt er auf den weißen Kiesweg. Also, wie ein Casanova kommt mir Arndt keineswegs vor. Auf mich wirkt er eher schüchtern, was aber daran liegen könnte, dass ich in dieser Aufmachung nicht gerade in Arndts Beuteschema passe. Ja, genau, das wird es sein. Dann läuft ja alles exakt nach Klodias Plan.
Klodia strahlt mich mit ihrem tadellos gebleachtem Gebiss an, als stünde sie auf dem roten Teppich, vor einer Horde Fotografen.
»Ich hoffe, Sie hatten einen schönen Vormittag, Melek.«
»Och…, ja...« Was soll ich sonst sagen? Schön war es weiß Gott nicht. Gerald nuckelt schläfrig an seinem Schnuller.
»Ich glaube, es ist Zeit für Geralds Mittagsschlaf. Ich bringe ihn besser ins Bett«, sage ich zu Klodia. »Und dann würde ich gerne meine Sachen auspacken, wenn Sie nichts dagegen haben.«
»Gut«, stimmt sie zu, und ich setze den Buggy in Bewegung.
»Nicht, dass sie fünf Mal am Tag beten muss…«, höre ich Arndt seiner Frau zuraunen, als ich gerade um die Ecke biege. Ich bleibe automatisch stehen und spitze die Ohren.
» … das wäre wirklich sehr unangebracht… Die Zeit ziehst du ihr doch sicher vom Lohn ab, oder Claudia?«
»Nein, sie betet mit Sicherheit nicht«, antwortet Claudia mit felsenfester Stimme. Sie muss es ja schließlich wissen.
»Woher willst du das wissen? Möglicherweise macht sie’s ja heimlich. Wer weiß, vielleicht animiert sie ja sogar unsere Kinder dazu mitzubeten. Ich meine…, wie die aussieht. So gläubig! Muss das Kopftuch unbedingt sein?«
»Jetzt hör endlich auf, Arndt«, knurrt Klodia. »Ich habe meine Entscheidung getroffen. Sie ist das neue Kindermädchen. Basta!«
»Claudia, ganz ehrlich..., eine muslimische Nanny einzustellen, ist ja wohl das Dümmste, was du je gemacht hast. Immerhin zieht sie sozusagen unsere Kinder groß, was eigentlich deine Aufgabe ist.«
»Ach gib’s doch zu, du hättest an jedem Kindermädchen, das nicht jung, langbeinig und blond ist, was auszusetzen«, stänkert Claudia. »Ich bin nicht blöd, mein Lieber. Und seit wann hast du eigentlich so viele Vorurteile?«
Ich höre, wie die beiden sich in Bewegung setzen. Eilig hebe ich Gerald aus dem Wagen und verschwinde mit ihm im Haus. Howard öffnet mir zuvorkommenderweise die Tür. Wenigstens einer, der mir heute wohlwollend entgegenkommt, aber dafür wird er ja bezahlt. Also zählt das nicht.
Nachdem ich eine gefühlte halbe Stunde im oberen Stockwerk umhergeirrt bin, um Geralds Zimmer zu finden, lege ich den Kleinen ins Bett. Er schläft sofort ein.
Ich begebe mich in meine Luxussuite. Der erste, wirklich erfreuliche Moment an diesem grauenhaften Vormittag.
Es ist total paradox, nun wohne ich komfortabel, wie eine Prinzessin und werde gleichzeitig behandelt wie jemand, der eine ansteckende Krankheit hat.
Конец ознакомительного фрагмента.
Текст предоставлен ООО «ЛитРес».
Прочитайте эту книгу целиком, купив полную легальную версию на ЛитРес.
Безопасно оплатить книгу можно банковской картой Visa, MasterCard, Maestro, со счета мобильного телефона, с платежного терминала, в салоне МТС или Связной, через PayPal, WebMoney, Яндекс.Деньги, QIWI Кошелек, бонусными картами или другим удобным Вам способом.