»Also könnte Cengiz bei mir übernachten; wir könnten nächtelang unanständige Dinge tun und niemand würde uns stören?« Ein kesses Grinsen formt sich auf ihrem Gesicht.
»Genau. Aber nur solange du deinen Eltern und deinen Brüdern nicht deine neue Adresse verrätst«, scherze ich.
Ich öffne die Mappe mit dem Arbeitsvertrag, die Claudia von Degenhausen mir mitgegeben hat und überfliege ihn noch einmal. Nachdenklich tippe ich mit dem Kulli auf dem Papier herum.
»Du solltest dir einen besseren Namen aussuchen. Ayse und Semra sind out«, bemerkt meine Freundin.
»Dann schlag mir einen passenden Namen vor«, bitte ich sie. Über den aktuellen Trend weiblicher türkischer Vornamen bin ich derzeit nicht im Bilde.
» Der perfekte türkische Name für dich ist Melek!«, meint sie mit überzeugter Stimme.
»Warum gerade Melek? Klingt ja wie ein Männername.«
»Quatsch. Melek bedeutet Engel«, erläutert sie. »Passt zu dir, wie Arsch auf Eimer!«
Ich bleibe skeptisch, doch Yasi lässt sich nicht beirren.
»Ich finde Melek super. Außerdem musst du dich mit diesem Namen nicht komplett umgewöhnen. Sieh’s mal so, du kannst dich immer noch Mel nennen.«
Da hat sie auch wieder Recht.
»Wenn du meinst. Dann heiße ich eben ab heute Melek. In beruflicher Hinsicht.« Ganz überzeugt bin ich davon nicht. »Und wie heiße ich weiter?«, erkundige ich mich bei Yasi.
»Ähm…Melek Yildiz«, sprüht sie freudestrahlend hervor.
»Yildiz?... Genau wie du?«
»Ja. Warum die Sache unnötig kompliziert machen? Wenn ich bei dir einziehe, dann steht da schließlich Yildiz an der Wohnungstür. So kommen wenigstens keine Verwirrungen auf. Nachher schickt uns noch jemand die Ausländerbehörde auf den Hals, weil plötzlich tausend verschiedene türkische Familiennamen auf deinem Schild stehen.«
»Das fehlt noch«, ächze ich, nehme den Kulli wieder zur Hand und trage zaghaft den Namen Melek Yildiz in einer freien Zeile des Vertrags ein. Bei meinem Geburtsdatum und meiner Adresse bleibe ich lieber bei der Wahrheit.
Yasemins Mittagspause neigt sich dem Ende zu. Sie schaut auf die Uhr und leert ihr Latte Macchiato Glas in einem Zug.
»Mach’s gut, Süße. Lass uns heute Abend weiterreden. Insbesondere sollten wir uns über diesen schäbigen grünen Sessel unterhalten, den du fälschlicherweise als Mobiliar bezeichnest.« Missbilligend rümpft sie ihre kecke Nase und setzt in ihrer gewohnt befehlshaberischen Tonart fort: »Du entsorgst ihn besser gleich, sonst überlege ich mir das mit meinem Einzug nochmal. Verstanden!?« Sie pustet mir ein Luftküsschen zu, dann verschwindet sie.
Ich bestelle ein Glas Cola und lasse es mir nicht nehmen, nochmals ausgiebig meinen Arbeitsvertrag zu studieren. Gleichzeitig frage ich mich, wie ich wohl auf andere Menschen wirken mag, als sittsame Kopftuchträgerin. Komische Vorstellung. Und was zieht man da überhaupt an?
»Na Süße, so ganz allein?« Ein blonder Bursche nähert sich meinem Tisch. Diese Art Surfertyp, mit Waschbrettbauch und einem Selbstbewusstsein von hier bis zum Mond. Ich registriere sofort, dass er versucht, bei mir anzudocken. Gleich sitzt er auf dem Tisch!
Wütend über die lästige Unterbrechung, strafe ich ihn mit abschätzigen Blicken.
»Häh…? Isch nix verstä - hen...«, sage ich mit fester Stimme, in der Hoffnung der befremdende Akzent schreckt ihn ab.
»Oh…ähm…«, stottert Blondie. »Ich dachte, ich könnte…äh, dir ein bisschen Gesellschaft leisten.« Ungeniert glotzt er auf meine Brust. Ich trage ein einfaches weißes, aber sehr eng anliegendes Tanktop. Schließlich herrschen fast 30 Grad im Schatten.
»Hast du heute Abend schon was vor? Ich hätte da einen Vorschlag. Ich wette, der könnte dir gefallen.« Sein ordinäres Grinsen ist zum Kotzen.
»Niex da…!«, schimpfe ich empört. Jetzt komme ich mit meinem Akzent - Konglomerat aus polnisch, ukrainisch, türkisch und sonst was, so richtig in Fahrt: »Du besser hauen ab. Sonst holl isch meine Brrrüder. Die polier’n dir Frrresse!«
»Schon gut«, sagt er, begleitet von einer besänftigenden Geste. Dann zieht er ab, gafft aber immer wieder in meine Richtung, bis ich aus seinem Blickfeld verschwunden bin. So was Unverschämtes. Da fällt mir nichts mehr ein!
Jetzt bin ich mir sicher. Ja, ich werde es machen. Ich werde ein frommes, muslimisches Kindermädchen, mit Kopftuch und langen verhüllenden Röcken. Männer werden mir endlich wieder ohne Überschreitung einer gewissen Schamgrenze begegnen.
Hätte ich als Melek Yildiz in voller Montur hier gesessen, wäre mir eine derart dreiste Anmache mit Sicherheit erspart geblieben.
***
Abends klingelt Yasi bei mir Sturm.
Kaum habe ich die Tür geöffnet, drückt sie mir einen Döner in die Hand.
»Danke, ich hab schon gegessen.«
»Egal. Döner geht immer, gewöhn’ dich schon mal dran!«
Widerstrebend öffne ich die Alufolie und nehme die gefüllte Brottasche genau unter die Lupe.
»Igitt, Schafskäse!«, rufe ich wenig galant. Mal ganz im Ernst, Schafskäse ist doch wohl der ekeligste Käse, den es gibt. Mit Ausnahme von Limburger, der noch widerlicher stinkt, als Schafskäse schmeckt. Und überhaupt, was soll daran lecker sein? Dieser herbe Geschmack verursacht eher das Gefühl, als säße man in einem Schafstall, der dringend mal ausgemistet werden müsste.
»Du weißt doch, dass ich keinen Schafkäse mag, Yasi«, nörgle ich.
»Alle Türken mögen Schafskäse, Mel. Jetzt hör’ auf zu meckern und hau rein.«
Mir fällt eine Reisetasche ins Auge, die Yasemin vorhin in der Diele abgestellt hat, bevor sie ins Wohnzimmer ging.
»Was ist das?«
»Das sind nur ein paar Kopftücher und Sachen von meiner Cousine Birgül.« Yasi macht eine wegwerfende Handbewegung. »Sie wollte alles in die Altkleidersammlung geben.«
»Und deiner Meinung nach soll ich sie mir, für meine Verkleidung, zu Nutze machen?«
»Ganz Genau. Aber ich muss dich warnen. Die Klamotten sind kein bisschen figurbetonend, weil meine Cousine sie getragen hat, als sie schwanger war.« Sie zerrt die Tasche den Flur entlang ins Wohnzimmer. »Sie sah aus wie eine unförmige Birne«, sagt sie kichernd, öffnet den Reißverschluss und fördert die Altkleidersammlung ihrer Cousine zu Tage. Beim ersten Anblick der bunten, durcheinander gewürfelten Schwangerschaftskleidung bleibt mir die Spucke weg. Yasi zieht einen endlos langen Rock mit grellem Muster heraus und hält ihn mir an.
»Ui, très chic«, scherzt sie. »Mit diesem hübsch bestickten Seidenkopftuch und der knallroten Tunika werden die Leute glauben, deine Arbeitgeber hätten dich direkt aus Anatolien einfliegen lassen.«
Ernüchtert starre ich auf den farbenfrohen Klamottenberg, den Yasi nun auf meinem Teppich stapelt. Einige Teile haben die besten Zeiten schon hinter sich. So scheußlich habe ich mir die Sachen ehrlich gesagt nicht vorgestellt. Die reinste Zumutung ist das. Wie soll ich denn bitte meinem zwanghaften und kategorischen Kombinieren von Kleidungsstücken nachkommen, ohne dabei als Amokläufer zu enden?
»Deine Cousine leidet aber an ordentlicher Geschmacksverkalkung.«
»Zieh es doch mal an«, fordert Yasi mich auf, diesmal in erheblich ernsterem Ton. Ich wühle in den Sachen und entscheide mich widerwillig für eine orangefarbene Tunika. Dazu ein blassblauer Rock, der beinahe den Boden berührt. Außerdem ist er mir viel zu weit. Yasi bindet mir das Kopftuch, sodass es einen Großteil meiner Stirn bedeckt, meine Haare, meine Ohren, den Hals und die kompletten Schultern. Der Knoten im Nacken drückt ziemlich unangenehm. Ich erkenne mein Gesicht im Spiegel kaum wieder. Es wirkt streng und meine tiefdunklen Augen stechen auf einmal viel mehr hervor als sonst.
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