»Wie wär’s wenn du heute lieber mit Ella spielst, anstatt mit Pauline«, raunt sie ihrer Tochter zu.
Also jetzt reicht’s aber.
»Wieso soll sie nicht mit Pauline spielen Gnädigste?«, frage ich unverfroren. »Haben Sie vor irgendwas Angst? Befürchten Sie, dass Ihre Tochter womöglich auch ein Kopftuch trägt, wenn sie heute Nachmittag nach Hause kommt?«
Victoria gafft mich ganz perplex an. Höchstwahrscheinlich hat sie nicht erwartet, dass ich der deutschen Sprache mächtig bin. Ich funkele sie mit meinen Kohleaugen an und habe beinahe den Eindruck, dass sie wirklich ein bisschen Angst vor mir hat. Also ehrlich, vermutet sie etwa eine selbst gebastelte Bombe unter meinem Rock, oder was?
Erhobenen Hauptes wendet sie sich von mir ab und betritt den Goldmarie - Gruppenraum. Sekunden später tuschelt sie mit einer Brünetten, die ihrem Kind gerade die Nase putzt. Deren verstohlene Blicke huschen postwendend zu mir herüber. Ich lasse mir nichts anmerken und trete in den Gruppenraum ein.
Die Erzieherin blickt erst erstaunt auf Pauline, dann mustert sie mich mit indigniertem Gesichtsausdruck.
Hat Klodia eigentlich niemanden über ihre neue Nanny informiert?
»Guten Morgen, ich heiße Melek Yildiz. Ich bin Paulines neue Nanny«, stelle ich mich souverän vor.
»Oh…ach so…na dann…«, stammelt die Kindergärtnerin erleichtert.
Was hat sie denn gedacht? Dass ich die beiden Millionärskinder entführt habe? Dann hätte ich sie wohl kaum zum Kindergarten gebracht, sondern logischerweise in einem geheimen Keller versteckt und einen Erpresserbrief geschickt.
»Eva Fischl«, stellt sich die Erzieherin vor und blinzelt zu Victoria rüber, die ihr wiederum apodiktische Blicke zuwirft.
Unmöglich diese Person. Ich habe das intensive Bedürfnis der arroganten Kuh die Fresse zu polieren (was ja eigentlich nicht meine Art ist). Nichts wie raus hier, bevor ich mich vergesse.
Ich verabschiede mich von Pauline, die zeigt jedoch keinerlei Interesse daran. Dann eben nicht.
Draußen atme ich erst einmal tief durch. Ich schaue erneut auf meinen Plan. Der Krabbelclub befindet sich in einem kleinen Nebengebäude des Kindergartens. Na hoffentlich regiert dort eine weniger gehässige Mentalität.
Gerald wird wach, just in dem Moment, in dem ich den Vorraum des Krabbelclubs betrete.
»Hallo, kleiner Mann. Gut geschlafen?«, flöte ich und lächle das goldige Kerlchen freundlich an. Doch das Kind reißt völlig entsetzt Mund und Augen auf und brüllt die ganze Bude zusammen. Unglücklicherweise lässt Gerald sich nicht im Geringsten von der Frau mit Kopftuch – also mir – beruhigen. Wie auch?
Sein Geschrei wird immer lauter und schriller. Es ist ohnehin verwunderlich, dass meine Arbeitgeber offensichtlich keinen Wert darauf gelegt haben, mich erst einmal auf Herz und Nieren zu prüfen. Nicht mal ein einziger Probenachmittag; stattdessen haben sie mich, genau wie ihren Nachwuchs, gnadenlos ins kalte Wasser geworfen. Nicht gerade die ökonomischste Alternative für eine erfolgreiche Basis auf dem Gebiet der exemplarischen externen Kinderbetreuung. Jetzt habe ich den Salat. Für den Kleinen bin ich eine furchterregende, fremde Tante . Noch dazu mit einem Kopftuch. Bestimmt hat er so jemanden wie mich noch nie gesehen. In der Welt in der er lebt, laufen die Leute schließlich in piekfeinster Designergarderobe herum. Tücher trägt man allenfalls als Accessoire mit Valentino - , Dior - oder Hermes - Aufdruck um den gelifteten Hals geschlungen. Selbstverständlich alles in hauchzarten Pastellfarben, die einwandfrei miteinander harmonieren. Hach ja!
Was muss ich, mit meinen farbenreich zusammengewürfelten Klamotten, nebst Kopftuch, die sich allesamt beißen, für ein verstörender Anblick für das arme Kerlchen sein?
Kein Wunder, dass er so erbärmlich schreit.
Ich nehme Gerald aus dem Wagen.
Sogleich eilen drei wie aus dem Ei gepellte Grazien, Mitte Dreißig, herbei. Ihre empörten Gesichter verraten schon alles.
»Wer sind Sie denn?«, fragt eine Blonde ziemlich unwirsch.
»Was machen Sie da mit Gerald von Degenhausen? Lassen Sie das Kind sofort runter, sonst rufen wir die Polizei!«, droht mir eine Rothaarige und stemmt ihre Hände in die Hüften.
Erschrocken stelle ich den weinenden Gerald auf die Füße. Doch der brüllt unerschöpflich weiter und legt sich einfach auf den Fußboden. Mitleidig schaue ich auf ihn herunter. Da biegt ein mir bekanntes Gesicht um die Ecke.
Schon wieder diese Spice - Girl - Kopie. Sie führt einen knautschgesichtigen Jungen in Geralds Alter an der Hand.
»Das ist ja kein Wunder…«, frotzelt die falsche Beckham , während sie an mir vorbeistöckelt. »…dass das Kind völlig verschreckt ist. Bei einer derart abnormen Verhüllung und dieser radikalen Kopfbedeckung. Man erkennt ja kaum, dass da ein Mensch drunter steckt. Und dann diese fürchterlichen Farben. Da kriegt man ja Augenschmerzen!« Ihre hochnäsige Art treibt mich beinahe zur Weißglut. Sie wendet sich an die Rothaarige: »Dörte, das ist Claudias neue Nanny.«
Ich nehme Gerald wieder auf den Arm. Mittlerweile schluchzt er nur noch herzergreifend.
Dörte blickt beschwichtigend durch die, um mich herum versammelte, Runde. »Na dann…äh…kommen Sie mal rein…«, sagt sie und betrachtet mich unsicher.
»Melek«, stelle ich mich eilig vor. »Melek Yildiz. Ich bin Türkin.«
»Und ganz nebenbei auch ein Mensch!«, will ich am liebsten in den Weiberhaufen rufen, der mich so misstrauisch angafft, als wäre ich eine ominöse Kreatur im Amphitheater.
Ich zähle sieben Mütter. Jede hat ein Kleinkind dabei. Victoria , die in Wirklichkeit Giulia Brockstett heißt, ist sozusagen das inoffizielle Leittier. Was sie sagt ist anscheinend Gesetz in der Gruppe. Alle tanzen nach ihrer Pfeife, auch wenn Dörte eigentlich die Vorsitzende dieser Spießer - Krabbelgruppe ist. Gerald hat endlich aufgehört zu weinen. Er blinzelt mich hin und wieder vorsichtig an, während er versucht, auf dem übergroßen Spielteppich Türme aus Bauklötzen zu bauen, die Giulias Pekinesenjunge aber jedes Mal wieder umwirft.
Die Mütter sitzen auf kleinen bunten Stühlchen, an kleinen bunten Tischchen, trinken Kaffee und gackern; während ich, wie bestellt und nicht abgeholt, auf dem Bauteppich kauere. Kaffee hat man mir übrigens auch nicht angeboten. Frustriert beobachte ich sie. So habe ich mir das eigentlich nicht vorgestellt.
Kurz darauf verteilt Giulia Fingerfarben und Malkittel an alle. Mich ignoriert sie jedoch einfach. Und überhaupt schenkt mir hier niemand Beachtung. Jetzt wird es mir zu blöd. Kurzerhand schnappe ich mir ebenfalls so einen Kittel und setze mich mit Gerald neben eine junge Mutter namens Sarita. Ihre Tochter heißt Mae. Sarita ist ruhiger als die anderen. Eigentlich wirkt sie sogar ziemlich zurückhaltend. Außerdem fällt ihr asiatisches Aussehen sofort ins Auge, womit sie deutlich aus dem optischen Gesamtbild der Gruppe heraussticht.
Giulia behandelt mich weiterhin, als wäre ich Luft. Sie verteilt Kartonpapier und lässt mich dabei einfach aus. Ich koche vor Wut. Sarita scheint dies zu bemerken. Verstohlen schiebt sie mir ein Blatt zu. Dankbar blicke ich in ihre dunklen Mandelaugen. Sie widmet mir ein herzliches Lächeln und konzentriert sich wieder auf ihre Malerei. Ich bin froh, als das Bild, das ich mit Gerald gemalt habe, fertig ist. Jetzt kann ich endlich gehen, denke ich erleichtert. Ich räume den Malkittel und die Farben weg und will Gerald gerade die Jacke anziehen, da sagt Dörte zu mir: »Jetzt folgt unser gemeinsamer Stuhlkreis mit den Kindern. Außerdem singen und beten wir regelmäßig.«
Auch das noch.
Ich nehme mit Gerald Platz im Stuhlkreis. Giulia sitzt mir direkt gegenüber und guckt fies. Ich hasse sie.
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