Geld und Karton wurden an die Beamten übergeben, die dann einstiegen und wegfuhren.
Gut dachte ich, dass ich die Kamera nicht gekauft habe. Nach scheinbar heftiger Auseinandersetzung setzten die Niederländer ihre Fahrt fort.
Deren Stimmung war bestimmt nicht gut.
Oh, ein Däne mit einem Landrover.
Hallo, was ist das?
Da war der Lieferwagen mit dem Straßenverkäufer. Der Typ mit dem Müllbeutel ging zum dänischen Fahrzeug.
Es begann das gleiche Spiel wie bei den Niederländern. Auch der Däne folgte dem Italiener zum Lieferwagen. Und nochmals wiederholte sich das Spiel.
Der Lieferwagen mit den Italienern fuhr abermals weg. Der Däne stieg mit der frisch erworbenen Kamera in seinen Landrover.
Auch er fuhr nur wenige Meter, schon waren die Carabinieri da. Es lief die gleiche Prozedur wie bei den Niederländern ab. Nachdem die Carabinieri weggefahren waren, fuhr der Däne an die Seite.
Ich schloss mein Wohnmobil ab und ging zu ihm.
„Hallo, guten Tag, sprechen Sie deutsch?“
„Guten Tag, ja.“
Der Däne nahm es mit relativem Humor: „Wenn man zu gierig ist, wird man bestraft. Ich habe dazu gelernt“, bemerkte er.
Also, die Kamera umgerechnet 300 DM Kaufpreis, an die Carabinieri 500 DM Strafe, dann würde auf eine Anzeige wegen Hehlerei verzichten, war die Begründung.
Geld weg, Kamera weg!
Für die Italiener war es ein gutes Geschäft!
10 Trottel am Tag machten 8000 DM, durch vier Betrüger, das sind 2000 DM pro Kopf.
Natürlich steuerfrei, alle Achtung!
Zwei Raststätten weiter, machte ich für Dina wieder eine Pause: „Hallo Signore, das absolute Angebot. Hier, probieren Sie aus, Caruso Enrico, Carreras, Callas Maria e molti altri, und viele andere, in Stereoqualität, nur zehn Deutschmark!“ hält mir der Verkäufer eine Musikkassette hin.
Ich lege die Kassette ein, er hatte nicht zu viel versprochen. Ein Zehnmarkschein wechselte den Besitzer, mein letztes deutsches Geld.
Jetzt untermalte ein Solostück von Enrico Caruso, das zweite Musikstück auf der Kassette, die Fahrt durch die italienische Landschaft. Ernüchternde Ruhe ließ mich erstaunt, mit einer plötzlichen Vorahnung, in Richtung Kassettenrekorder blicken. Im Gegensatz zu dem Dänen hatte ich nichts dazu gelernt, der Rest der Kassette war leer!
Von den 200.000 Lire waren noch knapp 60.000 Lire da. 120.000 Lire fürs Duschen hatten ein ganz schönes Loch in die Reisekasse gerissen.
Ich sollte mir noch Geld am Bankautomaten holen.
„Hanno un bancomat qui, haben Sie einen Geldautomaten hier?“
„Ja, da drüben, aber der funktioniert nicht!“
Mist, na dann an der nächsten Raststätte.
Ich brauchte ja noch Geld für die Maut in Napoli!
Gegen Abend erreichte ich die Tank-Raststätte Attigliano, auf der A1 ungefähr 40 Kilometer nördlich von Rom. Es sah gut aus hier, alles übersichtlich und relativ sauber. Hier machte ich einen Vollstopp, das hieß, Tanken, Essen, Geld holen und übernachten. Das Übernachten auf den italienischen Autobahnraststätten hatte es in sich und war zumindest gewöhnungsbedürftig.
Erst stand man ziemlich allein auf dem großen Parkplatz.
Der penible Deutsche, also auch ich, stellte sich natürlich passgenau in die farblich ausgewiesene Parkfläche für Lkw. Zur vorgerückten Stunde trudelten sie dann ein, die Camion, die Lastwagen. Da es im italienischen Sprachgebrauch und in der italienischen Empfindungswelt scheinbar das Wort Lärm nicht gibt, war alles mit einem Höllenlärm verbunden.
Es wurde gehupt, gebrüllt und wild rangiert. So gegen Mitternacht war das Parkchaos perfekt. Man konnte von einem gordischen Knoten reden.
Wer nicht am Rand des Lkw-Klumpens stand, tat seine Absicht wegzufahren durch lautes Hupen kund. Das wiederum wurde begleitet durch Wildes rangieren. Ja, und wenn nicht rangiert wurde, gaben die Kühllaster ihr Bestes. Hier in Attigliano stand ich am Rande des Parkareals.
Rechts von mir konnte keiner mehr fahren, denn ich stand direkt neben einer von der Sonne verbrannten Rabatte. Es war sehr warm, und da ich mich noch nicht akklimatisiert hatte, war die Fahrerei teilweise auch anstrengend.
Um einigermaßen gut schlafen zu können, waren die Dachhauben geöffnet, das Fenster über der Küchenzeile hochgestellt und das Gazerollo heruntergezogen.
Neben der Küchenzeile befand sich die Aufbautür. Mein Schlafplatz war der Alkoven. Dina lag bereits in ihrem Körbchen vor dem Beifahrersitz. Mit dem Einschlafen hatte ich kein Problem.
Was war das für ein Geräusch? So wisch, wisch, als wenn jemand vorsichtig mit der flachen Hand über den Tisch wischte. Wieso, wer wischt bei mir über den Tisch, grübelte ich?
Da ich mit dem Aufwachen auch kein Problem hatte, gab es bei mir keine Anlaufzeit.
Einmal wach, war ich gleich auf 100 Prozent.
Als mein Blick durch den von den Parklaternen konfus beleuchteten Wohnmobilraum in Richtung Küchenzeile ging, erkannte ich augenblicklich die Ursache des Fremdgeräusches.
Das Gazerollo des Küchenfensters war hochgeschoben und eine Hand tastete auf der Glasabdeckplatte herum. Ohne Geräusche zu machen, verließ ich den Alkoven.
Schnell ergriff ich die immer bereitstehende, benzingefüllte Plastikflasche mit dem bleistiftdicken, gebogenen Ausspritzröhrchen und dem bereitliegenden Sturmfeuerzeug.
Drück, zünd und schon verschwand die brennende Hand mit lautem Grunzen des Besitzers.
Die kleine Feuerlache auf der Glaspatte erstickte ich mit dem Handtuch. Kaum zu glauben, jetzt meldete sich auch Dina.
„Äh, du Flachpfeife, wenn du schon nicht Karte lesen kannst, halte wenigsten die Ohren auf!“
Dina ließ die Ohren hängen.
„Komm‘ doch mal her, hab‘ ich doch nicht so gemeint, du bist ja die Beste!“
Hier wollte ich auf keinen Fall den Rest der Nacht verbringen, es sollte weitergehen.
Nachdem ich mir meinen mit Gaspatronen geladenen Schreckschussrevolver in den Hosenbund geschoben hatte, horchte ich erst mal auf verdächtige Geräusche.
Nicht, dass ich beim Verlassen des Wohnmobils noch einen über den Schädel bekommen würde. Draußen war alles ruhig. Der Rundgang ums Fahrzeug und die Kontrolle des Trailers ergaben keine Auffälligkeiten. Niemand war zu sehen.
Vor uns stand zum Glück kein Fahrzeug. Ich stieg ins Wohnmobil, legte den Schreckschussrevolver auf den Sitz zwischen meine Beine und fuhr los. Also nichts mit schlafen, die Nacht war hier für mich zu Ende. Geld hatte ich auch nicht geholt.
Mittlerweile war es halb zwei Uhr nachts. Auf der Zufahrt zur Autobahn erblickte ich einen Fiat Ducato mit Fahrtrichtung zu uns. Beim Vorbeifahren erkannte ich drei Männer im Führerhaus, die zu mir herüber blickten. Irrte ich mich, oder hatte der eine die Hand verbunden?
Vorsorglich hielt ich meinen Schreckschussrevolver hoch, so, dass sie ihn sehen konnten.
Ständig guckte ich in den Rückspiegel, ob uns vielleicht ein Fiat Ducato folgte. Entspannung und Erleichterung kamen erst auf, als die Nacht dem Tag mit einem unglaublich, ja, fast kitschig anmutenden Sonnenaufgang wich.
Mensch noch mal, ich hatte immer noch kein Geld abgehoben, schoss es mir plötzlich durch den Kopf. Gut, mit dem Sprit würde ich noch eine ganze Weile auskommen. Kaffee oder Frühstück brauchte ich morgens nicht. Eine Flasche Aquaminerale löschte mir den Durst und brachte mich über den ersten Hunger.
Nachts erreichten wir die Mautstation Salerno-Fratte. Eigenartig, wir waren das einzige Fahrzeug, kaum zu glauben. Da ich keine Lira mehr in der Tasche hatte, um die Mautgebühr vom Brenner bis hierher zu bezahlen, überlegte ich mein weiteres Vorgehen. Schranken versperrten sinnvollerweise die Weiterfahrt. Öffnen würden sie sich erst nach ausreichender, geldlicher Fütterung der Automaten, die mit gierigem Einwurfschlund in der Größe eines Urinals auf Opfergaben warteten.
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