Bei diesen Worten deutete sie auf die Schwerteinlassungen in den Wänden.
Jo hatte sich inzwischen erhoben und seine wunderbare warme Stimme klang nun zum ersten Mal auch für mich.
„Danke Luna, ich weiß dieses Zugeständnis sehr zu schätzen. Obwohl Dagi und ich uns auch so recht gut verstanden haben, so macht es das alles jetzt viel leichter. Zumal ich unsere Aufgabe ja bis heute auch nicht kannte.“
Seine Stimme ließ mich fast dahinschmelzen, mir wurde augenblicklich etwas wärmer. Wie konnte ein Mensch eine so herrliche Stimme haben und vor anderen verborgen halten? Ich hätte so viele Fragen an Jo, aber ich wusste, ich musste sie zurückstellen. Jetzt war Luna dran. Und auch an sie hatte ich jede Menge Fragen und ich wusste, sie würde mir nicht alle beantworten.
Aber eine, die musste ich einfach jetzt sofort loswerden: „Warum durfte Jo bisher eigentlich nicht sprechen?“ Und zu Jo gewandt: „Heißt Du wirklich Jo?“
Luna lachte, „Er hat mir versprochen, erst wieder zu sprechen, wenn er mir eine Aufgabe erfüllt hat, die ich ihm stelle. Ich sehe aber ein, dass ich dieses Versprechen so nicht annehmen kann. Er bat mich vor einigen Jahren in einem Gebet, ihm zu helfen, damit seine Schwester gesund wird. Sie litt an einer seltenen Krankheit, bei der sie nur bei Mondlicht an die Luft gehen konnte. Er sagte damals in diesem Gebet, er würde erst wieder sprechen, wenn sie gesund wäre und er seine Schuld beglichen hätte.
Ich schickte ihn, nach seiner Lehrzeit in die Welt, um die Auserwählte zu suchen, die in der Lage sein würde, mit ihm gemeinsam diese Stätte zu finden und das Rosenschwert zu führen. Ob Du das kannst, sehen wir leider erst, wenn Ihr das Schwert gefunden habt. Das Rosenschwert ist das Wichtigste der Schwerter. Und nur die Auserwählte ist in der Lage, es an seinen Platz hier im Schrein zu stellen und es im Kampf zu führen. Die Auserwählte allein wird die Burg der Einigkeit auferstehen lassen und danach ihr Schicksal erfüllen.“
Ich konnte nicht anders, ich musste dazwischen quatschen: „Und wieso sollte ich das sein? Und wieso im Kampf? Warum sollte es zu einem Kampf kommen? Und in der heutigen Zeit kämpft man sowieso nicht mehr mit Schwertern. Die Supermächte werfen einfach eine Bombe auf den Feind und fertig.“
Der letzte Satz von mir klang eher verzweifelt.
Doch Luna lächelte und gab zurück: „Warte einfach ab. Wenn die Zeit reif ist, wirst Du alles wissen. Erst einmal muss ich Euch noch etwas erzählen, damit Ihr weitere Details kennt.“
Wie von Zauberhand erschienen drei Stühle aus weißem Marmor mit drei wunderbar weichen Kissen. Als wir uns setzten, stellte ich fest, dass das Kissen ganz leicht wärmte. Etwa so, als säße man auf einer Wärmflasche.
Jo grinste: „Jetzt noch einen heißen Tee oder eine heiße Schokolade, und es wird richtig gemütlich.“
Luna schnipste mit den Fingern. Ein kleiner Bistrotisch mit drei herrlich dampfenden Tassen Schokolade stand vor uns.
„Wie Euch die Krähe ja schon erzählte, sind in den fünfzehn Schlüsseln, welche die Schwerter hier sind, die Seelen meiner fünfzehn Töchter verborgen. Wobei jede Tochter eine besondere Fähigkeit hatte, die auch auf die Schwerter übertragen wurde. Dass heißt, jedes der Schwerter hat eine besondere Fähigkeit. Wenn Ihr genau hinschaut, geben die Reliefs neben den Schwerteinlassungen einen Hinweis auf die jeweilige Fähigkeit des Schwertes beziehungsweise der Tochter. Auch die Edelsteine in den Reliefs würden Euch bei der Suche helfen. Das dreizehnte Schwert ist das Dunkelste, weil dieses die Seele der Tochter beinhaltet, die sich auf die Seite der Machtgier ziehen ließ. Mit diesem Schwert müsst Ihr besonders achtsam umgehen, damit die Macht nicht von Euch Besitz ergreift.
Das fünfzehnte Schwert ist der Schlüssel zur Wiedervereinigung. Es ist das Schwert, meiner jüngsten, aber auch mächtigsten Tochter. Es ist das Schwert das alle regieren kann. Aber nur wer nicht alle regieren will, wird mit diesem Schwert wirklich zu wahrer Macht gelangen.“
Luna nippte an ihrem Kakao und fuhr fort. „Niemand weiß heute, wo diese Schwerter verborgen sind. Sie können überall sein. Und seit ich meine Mädchen in die Schwerter geschlossen habe, kann ich ihre Seelen nicht mehr ohne weiteres aufspüren. Nur die Auserwählte, die eine direkte Nachkommin der fünfzehnten Tochter und damit eine Ururenkelin von mir ist und somit all meine Fähigkeiten und Macht geerbt hat, ist in der Lage, mit ihrem Einfühlungsvermögen ihre Urgroßtanten und Urgroßmutter zu finden.“
Ich blickte sie entsetzt an.
„Keine Sorge, die Macht wächst langsam, und ich helfe Dir, sie zu beherrschen, wenn Du wirklich meine Verwandte bist.
Wenn hier alle fünfzehn Schwerter wieder vereint werden, dann kann ich gemeinsam mit der Auserwählten und ihrem Gefährten, sollte die Zeit dafür reif sein, meine fünfzehn Töchter erlösen.“
Mir wurde ganz mulmig, ich eine Nachfahrin von Luna? Nein, niemals. Ein solches Märchen in der heutigen Zeit.
„Aber, was passiert, wenn die Töchter erlöst werden?“
„Dann sind wir alle gemeinsam in der Lage, die Natur wieder zu heilen und die Menschheit vor dem Schlimmsten zu bewahren.“
Ich bezweifelte, dass die Menschheit das zu schätzen wusste. In den Nachrichten war zwar immer von gewolltem Klima- und Naturschutz die Rede, aber wüssten die Menschen ein solches Geschenk zu schätzen?
Luna schien meine Zweifel zu kennen: „Die Menschen lernen, und deshalb sind sie es wert, diese Chance zu erhalten.“
Andächtig trank sie ihre Schokolade, welche inzwischen kalt war. Mit einem Schnipsen wärmte sie unsere Tassen alle wieder auf.
Nachdem wir unseren Kakao getrunken hatten, räumte Luna die Tassen magisch beiseite und verabschiedete sich mit den Worten: „Ruft mich, wenn Ihr mich braucht. Ich werde versuchen, Euch zu helfen.“
Dann ging sie auf die Tür zu und mit jedem Schritt in diese Richtung wurde sie durchsichtiger, bis sie schließlich verschwunden war.
Nachdem wir uns einigermaßen gefasst hatten und uns die Reliefs noch einmal angeschaut hatten, machten wir uns wieder auf den Weg nach Hause. Wir schwiegen den ganzen Weg über. Jo hatte zwar die Genehmigung zu sprechen, aber irgendwie schienen wir beide unseren Gedanken nachzuhängen. Die Bäume sprachen unablässig mit uns, doch wir hörten kaum zu. Ich würde später noch einmal nachfragen, was sie uns gesagt hatten. Sie würden mir sicher nicht böse sein, schließlich hatten sie ja gerade auch mitbekommen, was unsere neue Aufgabe war.
Vor meiner Wohnung fand ich meine Sprache wieder.
„Jo, wie heißt Du nun wirklich? Und meinst Du, Du darfst mir Deine Geschichte vollständig erzählen, oder sollten wir da lieber noch einmal fragen?“
Gewohnheitsgemäß setzte er seinen Hundeblick auf und zuckte die Schultern. Ich konnte mir ein Lachen nicht verkneifen. In der Wohnung schaute ich ihn dann fragend an. Erst jetzt schien er zu begreifen, er hatte vergessen, dass er ja mit mir reden durfte. Nun musste Jo auch lachen. Seine herrliche Stimme durchströmte mich wie eine warme Welle.
„Ich denke, wir können bei Jo bleiben,“ erklärte er verschwörerisch. „Mein Name ist Johann-Thomas von Abendburg. Aber ich finde, das klingt so altmodisch.“
Sein Grinsen werde ich vermissen, dachte ich in dem Moment, sagte aber: „Wenn Du adlig bist, dann kommt Dir meine kleine Wohnung sicher schäbig und mickrig vor.“
Ich schämte mich in dem Moment fast für meine Wohnung. Er schüttelte den Kopf.
„Blödsinn, ich weiß, wie es ist, kein Geld zu haben und sich über Wasser halten zu müssen. Meine Familie ist zwar adlig, hat aber bereits viele Krisen durchleben müssen. Die Arztkosten für meine Schwester waren ziemlich hoch und auch die Firma meines Großvaters läuft im Moment nicht so recht.“ Er schaute mich an und ergänzte: „Ich bin glücklich, Dich kennen gelernt zu haben und stolz darauf, mit Dir zusammen unseren Planeten retten zu dürfen.“
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