„Natürlich. Aber er stand halt unter Schock.“
Die Polizeibeamten nahmen das Handy als Beweismittel mit und erklärten, ich bekäme es nach Beweisaufnahme zurück. Dann verabschiedeten sie sich ausgesprochen freundlich.
„Jo, jetzt haben wir uns ein supertolles Frühstück verdient.“
Sein Lächeln ließ mich schwach werden.
„Brötchen sind schon fertig.“
Ich lächelte zurück und stürmte in die Küche. „Erste!“
Das Frühstück war erste Klasse, wie an jedem Morgen, wenn Jo es zubereitete. Zwischen zwei Bissen sagte ich: „Warum habe ich eigentlich immer Recht? Ich weiß schon, warum ich immer so misstrauisch bin.“
Jos Hundeblick sorgte dafür, dass ich mich fast verschluckte.
„Jo, das ist nicht fair. Dem Blick kann man einfach nicht widerstehen. Außerdem hattest Du sehr vertrauenswürdige Fürsprecher.“ Ich deutete auf meine Pflanzen.
Lachend verbeugte er sich vor ihnen.
„Ich weiß, ich darf mit Dir reden, aber es ist schon noch ungewohnt, zumal ich im Beisein von anderen schweigen muss.“
„Du weckst meine Neugier. Seit wann schweigst Du schon?“
„Das werde ich Dir wohl sagen dürfen. Lass mich kurz nachdenken, Maryeta war krank, da war ich fünfzehn. Und das Gebet sprach ich damals. Seit dem schweige ich.“
„Ist das nicht manchmal schwer gewesen? In der Schule und bei den Eltern?“
Er nickte: „Besonders am Anfang, als meine Eltern noch nicht wussten, warum ich plötzlich schwieg. Bis Maryeta es ihnen erklärte. Dann setzten sie sich in der Schule und überall dafür ein, dass ich alles aufschreiben durfte, was ich hätte sagen sollen und wollen. Dadurch konnte ich mein Abitur dann auch machen.“ Und etwas nachdenklich fuhr er fort: „Wenn die Tiere nicht mit mir gesprochen hätten, hätte ich nicht einmal meinen Stimmbruch mitbekommen. Und ich hätte vermutlich auch inzwischen nicht einmal mehr gewusst, wie meine Stimme klingt. Es war eine lange Zeit. Aber die Gesundheit meiner Schwester ist es mir wert.“
Nachdenklich und schweigend frühstückten wir zu Ende.
Danach räumten wir den Tisch ab und ich holte das Minischwert auf den Küchentisch.
„Dann wollen wir mal schauen, ob wir einen Hinweis finden.“
Wieder betrachtete ich das Schwert genau. Sein Schliff war einzigartig. Der Griff gab mir keine Informationen her und die Gravuren in der Klinge konnte ich nicht erkennen. Es schien ein Hinweis zu sein, aber ich verstand ihn nicht.
„Jo, guck Du mal.“ Ich hielt ihm das Schwert hin.
„Hm, das sieht aus wie eine Art Bilderrätsel. Aber es ist zu klein, ich brauche eine Lupe. Wir hätten die Gravur vor der Schrumpfung abzeichnen sollen.“
Er seufzte. Natürlich, hätte ich mir ja denken können, grummelte ich innerlich. Doch ich stand lächelnd auf und holte eine Lupe aus dem Arbeitszimmer.
Dann hingen unsere Köpfe über dem Schwert.
„Das sieht aus wie alte Runen,“ überlegte ich. Leider konnte ich sie nicht übersetzen. „Jo, wer kann uns das übersetzen? Den Museumsdirektor, frage ich nicht. Der hat mich zu sehr geärgert.“
Jo wirkte nachdenklich, sagte aber nichts. Also holte ich meinen Laptop und versuchte, im Internet jemanden zu finden, der uns helfen würde.
Noch während ich surfte, offenbarte Jo mir: „Wenn Du mir etwas Zeit gibst, mache ich das schon. Aber es ist so lange her. Ich muss erst all meine – Vokabeln – wiederfinden.“
Unwillkürlich grinste ich. Jo überraschte mich immer wieder aufs Neue. Auch das hätte ich ahnen können.
„Hast Du alte Sprachen studiert?“
„So ähnlich. Warte mal, also in jedem Fall ist es kein direkter Wegweiser. Es ist ein Rätsel. Diese Rune hier bedeutet soviel wie Wasser und diese hier Stein. Aber diese hier,“ er zeigte auf eine Rune, „ist mir unbekannt. Die Rune danach deutet auf einen Berg oder eine Höhle hin. Aber wo?“ Mehr zu sich selbst fügte er hinzu: „Ich muss mit Onkelchen reden.“
„Das mit dem Reden ist so eine Sache,“ lachte ich.
Doch er nahm das Schwert und zog mich zur Tür.
„Du redest, ich zeige. Wir fahren zu meinem Onkel.“
Ich hielt ihn zurück. „Bevor ich irgendwo mit Dir hinfahre: Wo fahren wir hin? Wie fahren wir dorthin? Und sollten wir Deinen Onkel wirklich da mit hineinziehen?“
Abrupt blieb Jo stehen und musterte mich plötzlich verlegen.
„Entschuldige. Onkelchen wohnt circa einhundert Kilometer nördlich von hier. Wir nehmen die Bahn. Onkelchen ist sehr bewandert in alten Sprachen. Er wird uns helfen.“
Ich schüttelte den Kopf. „Jo, wir sollten die Runen abschreiben und nicht das ganze Schwert mitnehmen. Wenn wir bestohlen werden oder der Zoll in der Bahn eine Stichprobenkontrolle macht, sind wir das Schwert los, und wir wären gescheitert, bevor wir richtig angefangen haben.“ Und nachdenklich fügte ich hinzu: „Auch wenn ich der Meinung bin, sonst kein Auto zu brauchen, könnte uns ein Auto für unsere Zeit der Suche sehr nützlich sein.“
Er gab mir recht. „Ich kann, nein Du müsstest für mich Onkelchen fragen, ob er uns einen Wagen leiht.“
„Soweit so gut, dann lass uns die Runen abzeichnen.“
Kurze Zeit darauf liefen wir gemeinsam zum Bahnhof.
Auf dem Weg dorthin fragten uns die Bäume nahezu Löcher in den Bauch: „Was habt Ihr vor? Wie geht es weiter? Können wir auch etwas tun?“
Ich bemühte mich, nicht außer Atem zu geraten, während ich lief und antwortete. Doch ich glaubte, helfen konnten sie uns im Moment nicht.
Im Zug setzten wir uns zusammen in eine Ecke und überlegten weiter, ob uns der Hinweis etwas sagen könnte.
Ein kleines Mädchen kam zu uns und fragte: „Das sind aber komische Buchstaben. Lernt Ihr auch gerade schreiben? Dann müsst Ihr aber noch sehr üben. Dieses B ist nicht schön, und was soll das für ein Buchstabe sein?“
Entsetzt zog die Mutter das Mädchen weg.
„Das macht man doch nicht,“ schimpfte sie.
Mir war jedoch eine Idee gekommen. „Das ist nicht schlimm, gute Frau. Dürfte Ihre Tochter mir verraten, was für Buchstaben sie in den Zeichen sieht?“
Etwas verwirrt nickte die junge Mutter und stupste ihre Tochter zu uns. Begeistert erklärte uns die Kleine, was sie sah.
„Also, das da sieht aus wie gekrakeltes B. Das da sieht aus wie ein M und das da wie ein R. Und das da, das finde ich besonders lustig. Was soll das sein?“ Sie deutete auf eine Art umgekippte Sanduhr. „Das wissen wir leider noch nicht. Deshalb fahren wir zu jemandem, der diese Schrift lesen kann. Weißt Du, dass ist eine ganz alte Schrift, und wir verstehen sie auch nicht. Ich hatte gehofft, Deine Phantasie könnte uns helfen.“
Das Mädchen wirkte enttäuscht. „Schade, dass Du mir nicht sagen kannst, was da steht. Aber ich wünsche Euch Glück.“ Sie lächelte und rannte zurück zu ihrer Mutter.
Einige Zeit später saßen wir bei Jos Onkel und tranken genüsslich einen Tee.
„Also hat Jo es tatsächlich geschafft, eine Frau zufinden, die mit seinem Schweigen klarkommt?“ Onkel Klaus musterte mich begeistert.
„Nein, ganz so verhält es sich nicht,“ lächelte ich. „Er hat mich zwar gefunden, aber eher, weil ich ihm helfen soll, die für ihn bestimmte Aufgabe zu lösen.“
Onkelchen grinste. „So kann man es auch nennen. Aber sei mir nicht böse, Du würdest hervorragend in unsere Familie passen.“
Interessanter Gedanke, aber ich hielt es für besser, diesen Gedanken bis auf weiteres nicht zu verfolgen.
Also versuchte ich zur Sache zu kommen.
„Wir benötigen Deine Hilfe, Jo vermittelte mir, dass Du Dich in alten Sprachen auskennst, und das hier,“ ich holte unseren Zettel hervor, „können wir nicht allein übersetzen. Wir benötigen aber die Bedeutung, um weiter zu kommen.“
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