»Das werde ich verkaufen müssen, denn meine blau-grüne Periode betrachte ich ab sofort als abgeschlossen.« Dabei strich sie sich erneut über ihre Glatze und schüttelte übermütig den Kopf, so dass ihre Ohrringe, zwei Kristallzapfen, die sie aus dem neuen Kronleuchter genommen und umfunktioniert hatte, ihr an die Wangen schlugen.
Caro bewunderte Steffi dafür, dass sie so hemmungslos umsetzte, was ihr richtig erschien. Inmitten der flackernden Kerzen auf den Golddielen wurde Caro zum ersten Mal bewusst, wie unterschiedlich sie und Steffi in diesem Punkt waren. Denn sie selber war durchaus einmal bereit zu einem Kompromiss. Beispielsweise bei der Wahl des Wohnortes, dachte sie mit einem Anflug von Wehmut und vergewisserte sich mit einem Seitenblick auf Ben, dass auch diese Strategie zweifellos ihre Berechtigung hatte.
Bevor Caro etwas erwidern konnte, öffnete sich die Ladentür, und Steffi ging auf die Gruppe von Musikern zu, die die Gastgeberin mit einem anerkennenden »Wow, nicht übel« begrüßten, was sich auf die Ausstattung des Ateliers beziehen konnte, ebenso aber auf den rasierten Kopf, doch niemand vertiefte das Thema, und die Jungs von »Achterndeich« begannen sofort, ihre Instrumente im hinteren Teil des Ladens aufzubauen.
Unablässig öffnete und schloss sich nun die Tür und versetzte die Flammen der Kerzen in zittrige Tänze. Grüppchen, Pärchen, Singles trafen ein, begutachteten Steffis Atelier und ihre Glatze, teils lautstark, enthusiastisch, teils entgeistert, aber höflich. Steffi umarmte ihre Gäste einen nach dem anderen und schickte sie charmant an den Tisch, an dem eine Studentin Getränke ausschenkte und die Blumensträuße versorgte. Der Raum war bald erfüllt von Gesprächen. Caro und Ben ließen sich Prosecco einschenken und waren im Begriff, in Richtung der Musiker zu gehen, als sich Steffis Bruder ihnen in den Weg stellte.
»Oje, Caro, hab ich etwa die Mobilmachung verpasst?«, rief Matthias mit gespieltem Entsetzen, während er sie von oben bis unten musterte.
»Was interessiert dich das? Du bist doch ohnehin untauglich.« Caro wollte sich an Matthias vorbeidrängen, aber er ließ sie nicht durch und schnaubte:
»Ich muss schon sagen, Caro, du passt perfekt zu meiner kahlgeschorenen Schwester. Wie kann man denn ernsthaft in einer Panzerkombi hier erscheinen?«
»Matthias«, sagte Caro mit eisiger Stimme, »hattest du jemals das Gefühl, dass deine Meinung mich interessiert? Ich meine, falls ja, möchte ich den Eindruck hiermit nachdrücklich korrigieren.« Sie schob ihr Proseccoglas gefährlich nahe an Matthias’ Anzug heran, so dass er sie und Ben schließlich passieren ließ.
»Ihr mögt euch wohl nicht«, stellte Ben irritiert fest.
»Erraten.« Caro hoffte inständig, er möge jetzt keinen Versuch unternehmen, ihre ehrlich empfundene Abneigung durch verfehltes Verständnis für Matthias zu verwässern. Ben neigte dazu, lautere Motive für jede Verhaltensweise zu finden.
»Vielleicht ist er einfach überrascht«, sagte er nun tatsächlich.
Caro blieb stehen und drehte sich zu ihm um.
»Sag mal, hast du Wahrnehmungsstörungen?« Sie verspürte, während sie sich über Matthias empörte und ein wenig wohl auch über Ben, einen wachsenden Drang, sich auch körperlich Luft zu machen.
»Immerhin ist er extra aus München angereist«, überlegte Ben.
»Natürlich ist er das, allein schon um Steffi ihre Kollektion madig zu machen und allen seine ewigen Wahrheiten zu verkünden!«, schnaufte Caro und schleuderte ihr Proseccoglas auf den goldenen Dielenboden. Im nächsten Moment hielt sie beide Hände vor den Mund und schämte sich für ihre unbeherrschte Handlung. Nun war es doch wieder passiert, nun hatte die Wut sich doch wieder einen Weg gebahnt.
Ben nahm sie schnell in den Arm, und Caro war dankbar für seinen Beistand. Sie gingen gleichzeitig in die Knie, kauerten auf dem Dielenboden und sammelten die Glasscherben vorsichtig ein. Immerhin, beruhigte sie sich, die Abstände zwischen den Ausbrüchen waren erheblich länger geworden. Fast zwei Jahre waren vergangen, seit das schöne Chinabone-Service zu Bruch gegangen war, das eigentlich Jacob auf dem Gewissen hatte.
Caro wollte dem Vorgänger von Ben nicht einmal in Gedanken Zutritt gewähren zu ihrem neuen Lebensabschnitt, versuchte sein Gesicht zu verdrängen. Aber nun war es zu spät. Eigenartigerweise hatte Caro beim Anblick der Scherben vor ihren Füßen plötzlich alles wieder vor Augen: All das Warten auf Jacob. Das Tauziehen mit Jacob. Schließlich das Fluchen auf Jacob. Gleichzeitig war sie stolz darauf, dass es ihr damals gelungen war, ihn rechtzeitig in die Wüste zu schicken. So rechtzeitig, dass sie gar nicht mehr damit beginnen musste, ihren Kopf gegen die Wand zu schlagen, wie sie es früher zu tun pflegte, wenn eine Beziehung aus dem Ruder lief.
Jacob war ihr auf dem Weg zum »Atlantic« über den Weg gelaufen, wo Julia das Jubiläum der Event-Agentur ausrichten ließ, für die sie noch immer tätig war. Augenzwinkernd hatte sie Caro und Steffi die Einladungen zu diesem Abend übergeben:
»Damit ihr endlich ein paar betuchte Männer kennenlernt.«
Caro hatte damals zur Feier des Tages ihre Stiefel gegen ein Paar zierlicher Stiletto-Sandaletten ausgetauscht, ein interessanter Kontrast zu ihrer schwarzen Cargohose. Als sie nach vielen vergeblichen Runden durch St. Georg endlich einen Parkplatz gefunden hatte, stieg sie gereizt aus ihrem Auto, schlug die Wagentür zu und versuchte, die Radioantenne zusammenzuschieben, um sie vor übermütigen Jugendlichen in Sicherheit zu bringen. Die oberen Glieder der Antenne ließen sich noch leidlich einfahren, aber je tiefer sie das Teleskop versenkte, desto schwergängiger wurde es. Während sie vergeblich versuchte, das Rohr zu bewegen und ihre Fingernägel in der Abendsonne leuchteten, fühlte sie, wie eine rote Wut in ihr aufstieg. Als das Metall schließlich weder vor noch zurück zu schieben war, zitterte ihre Hand kurz, und mit einem leisen Schnaufen bog sie die Antenne um, so dass sie wie ein abgeknickter Strohhalm aus dem Wagendach ragte.
»Ihnen möchte ich aber nicht im Dunkeln begegnen«, hörte Caro damals eine Stimme hinter sich und fuhr herum, blickte in die lachenden Augen eines gar nicht einmal großen, aber sehr stattlich wirkenden Mannes, dessen dunkler Anzug einen leichten Bauchansatz verbarg, gerade noch das sympathische Anzeichen eines genießerischen Alltags.
»Das würde ich Ihnen auch nicht raten«, fauchte sie ihn an, während sie nebeneinander standen, Caro mit verschränkten Armen neben der abgeknickten Antenne, der fremde Mann mit einem riesigen Lilienstrauß unter Folie in der Hand.
»Wenn ich könnte, würde ich Ihnen diesen Strauß schenken, um Sie etwas zu besänftigen.« Er lächelte sie weiter an. »Leider muss ich ihn aber bei einem Jubiläum abliefern, sonst kann ich die Promotion für meine Firma in Zukunft vergessen. Aber kann ich vielleicht irgendetwas anderes für Sie tun?« Während der attraktive Mann mit den Lachfalten ein wenig belustigt auf Caro schaute, riss sie ihre Fahrertür auf, griff sich ihren Strauß Rosen sowie ihr Ledertäschchen und schnaubte:
»Wissen Sie was? Wenn ich eine Blumensorte auf den Tod nicht ausstehen kann, dann sind das Lilien.« Und damit knallte sie ihre Wagentür zu, bog die umgeknickte Antenne weg von der Fahrbahnseite über das Wagendach und stöckelte auf ihren Stilettos Richtung »Atlantic«. Sie bog in den Holzdamm ein und sah bereits den Hoteldiener in Livree vor dem Eingang auf und ab gehen, als sie die wohlklingende Stimme des Mannes mit dem Lilienstrauß hinter sich hörte.
»Wenn ich nun verspreche, Ihnen niemals Lilien zu schenken und heute Abend dafür zu sorgen, dass Sie immer ein gefülltes Glas Champagner in der Hand halten, würden Sie dann davon absehen, mich im Dunkeln zu verprügeln?« Caro konnte nicht umhin zu grinsen, während sie neben ihm die Stufen zum Eingang des »Atlantic« hinaufschritt.
Читать дальше