1 ...8 9 10 12 13 14 ...22 Die Tür ging auf. Endlich kamen auch Kai und Ben nach Hause. Beide grinsten bis über beide Ohren. „Seht mal was wir euch noch mitgebracht haben", sagte Ben. Es waren sechs bunte Frühstücksschalen, jede in einer anderen Farbe. „Die können wir als Teller nutzen. Was anderes gab es leider nicht mehr", fügte Kai hinzu.
„Auf jeden Fall besser als die kleinen Sperrholzbretter", lachte ich.
Kai verteilte die Frühstücksschalen. „Ach ja hier, das brauchen wir auch noch.“, Ben griff nach hinten unter seinen Pullover und holte eine Suppenkelle hervor.
Die Stimmung war wirklich auf einem ungeahnten Höhepunkt angelangt. Es hatte fast etwas von den Grillpartys, an denen ich früher immer teilgenommen hatte. Fast schon unbeschwert und frei.
Während Silke jedem von uns etwas Suppe in die Schalen füllte, konnte ich es nicht mehr aushalten. „Was hast du denn nun entdeckt, Schatz?“, fragte ich ungeduldig.
„Lass uns erst mal Essen, danach erzähl ich euch alles.“, erwiderte Kai. Wieso musste er es immer so spannend machen? Ich wartete nun doch schon lange genug auf die ersehnten Auskünfte. Doch Kai ließ sich nicht erweichen und bestand darauf zuerst zu essen.
Gemeinsam saßen wir am Tisch, jeder von uns hatte ein Funkeln in den Augen. Nie hatte mir ein Konservenprodukt so gut geschmeckt wie in diesem Augenblick. Die heiße Suppe lief meinen Hals hinunter, wärmte mich von innen und spendete mir neue Energie. Neue Hoffnung. Dies war wahrlich ein Zeichen dafür, dass es nun endlich bergauf gehen würde. Wir ließen keinen Rest übrig, schleckten sogar die Schalen aus - nur um den Genuss unseres ersten richtigen Essens seit Jahren, noch so lang wie möglich auskosten zu können.
Satt und zufrieden räumten wir die Schalen weg. Endlich begann Kai zu erzählen. Wir anderen hörten andächtig zu, verschwendeten nicht einen Gedanken daran Kai zu unterbrechen.
„Als Jonas und ich auf der Suche nach Werkzeug und anderen nützlichen Dingen waren, ging ich in dem großen Haus, ganz links von hier aus gesehen, in den Keller, in der Hoffnung dort etwas Brauchbares zu finden. Als ich dort versehentlich ein paar Kisten umstieß, wurde eine Tür sichtbar, sie war groß und schwer. Zu schwer als dass ich sie alleine aufstemmen konnte. Gerade als ich nach Jonas rufen wollte, damit er mir half, sah ich unter dem Müll der umgestürzten Kisten einen Schlüssel liegen. Er passte und die Tür ließ sich leichter öffnen, als ich zunächst gedacht hatte. Ich ging in den Raum, der sich mir eröffnete. Es war ein versteckter Panik-Raum oder so etwas in der Art, vollgestopft mit Konserven und Wasserflaschen. Da können wir noch locker von Leben, bis wir alles für die Flucht zusammen haben. Ich ging weiter in den Raum hinein. Da waren noch Schlafsäcke, und am anderen Ende des Raumes eine weitere Tür. Dahinter war ein Tunnel, der Richtung Wald führt, würde ich sagen. Ich ging, soweit ich konnte. Bis das Warnsignal ertönte, waren es leider nur ein paar Schritte, aber der Tunnel schien noch viel weiter raus zu gehen. Raus aus dem sicheren Bereich . Raus in die Freiheit. Als ich wieder zurück in den Keller ging rief ich nach Jonas um ihm meine Entdeckung zu zeigen. Dabei sind wir zu dem Entschluss gekommen, dass wir durch diesen Tunnel fliehen werden.“, Kai beendete seine Erzählung.
Nach all der Zeit hatte ich nicht mehr geglaubt, dass das Schicksal mir wohl gesonnen sein könnte, doch all das hörte sich an, als wäre dieser Ausweg genau für uns bestimmt gewesen. Als ob es sagen würde: wenn nicht jetzt wann dann!
„Das klingt sehr gut, wenn der Tunnel irgendwo im Wald endet, können wir im Schutz des Waldes weiter in die Stadt laufen", sagte ich.
„Genau so haben wir uns das auch gedacht. Wir bräuchten nur jemanden der sich hier in den Wäldern auskennt", stellte Jonas fest.
„Anna und ich kennen uns hier gut aus. Wir haben unsere Kindheit hier in dem Dorf verbracht. Von daher gibt es kein Problem", sagte ich gleich mit schnellen Worten.
„Wie sollen wir hier verschwinden? Ich meine alle gemeinsam oder in Gruppen?“, fragte Ben.
„Am besten wäre es in Gruppen, dann fällt es weniger auf, aber darüber sollten wir uns später Gedanken machen, wir haben schließlich erst eine Leiche", antwortete ich Ben.
Wir saßen alle noch ein klein wenig zusammen und sinnierten über unseren Fluchtplan, bis die Müdigkeit uns übermannte. Selig und voller Vorfreude auf das Kommende schlief ich in Kais Armen ein.
Der Wiederaufbau war immer noch nicht ganz abgeschlossen. Zu meinem persönlichen Bedauern musste ich mit Dominik arbeiten. Wieder belästigte er mich mit der Tatsache, dass der Große ein gewisses Interesse an mir hatte. Und ich fragte mich, wann er endlich damit aufhören würde mir nahe zu legen ein wenig freundlich zu dem Außerirdischen zu sein. Doch das Thema, welches er danach anschlug, war noch unangenehmer. „Bei euch hat es gestern Abend aber lecker gerochen, wo habt ihr denn jetzt noch etwas zu Essen gefunden?“, fragte er mit einem verächtlichen Grinsen.
„Da war noch eine Dose in dem Haus da drüben.“, da ich nicht mehr leugnen konnte, dass es bei uns etwas anderes zu Essen gab als üblich, konnte ich wenigstens seine Fährte ablenken, indem ich auf ein anderes Haus am anderen Ende des Waldes zeigte. Sofort rieb ich mir den Bauch. „Die war aber schon abgelaufen. War wohl noch aus dem Zweiten Weltkrieg oder so. Mir war danach richtig übel.“
Sein Blick war unergründlich. Ich konnte nicht annähernd daraus lesen, ob er mir glaubte oder nicht. Aber immerhin hatte ich es versucht. Immer wieder löcherte er mich mit fragen, immer in der Hoffnung ich könnte mich verraten. Doch ich hielt mich so kurz wie möglich und an meine Geschichte.
Als endlich der Feierabendton erklang, holte ich mir meine Nahrungsration und ging ohne jeglichen Umweg zur Baracke. Anna wollte gerade zwei Dosen Ravioli in den Topf kippen, als ich rein kam. „Nein!“, rief ich ihr zu.
„Warum nicht?“, fragte sie perplex.
Jetzt kamen auch die anderen. „Wie? Gibt’s heute nichts zu essen?“, fragte Ben.
„Wir sollten von heute an kalt Essen", sagte ich kurz und begann den anderen von Dominiks Neugier zu berichten.
„Ach, der Arsch kann von mir aus als Nächstes verrecken.“, Kai klang richtig wütend, als er das sagte. Ich konnte den Grund mir denken. Dominik war hinterhältig und könnte uns noch richtig gefährlich werden. Wir mussten unbedingt darauf achten, dass er sich von uns fernhielt.
Es vergingen einige lange Tage ohne einen einzigen Toten. Nicht dass uns der Tod unserer Kameraden nicht Leid getan hätte. Wir trauerten um jeden Einzelnen, der uns auf diese Weise verlassen musste. Aber wir waren auch dankbar, denn mit jedem Verstorbenen würde unsere Flucht näher rücken. Der Gedanke daran, kam mir irgendwie krank und egoistisch vor. Moral und Ethik ließen ein schlechtes Gewissen in mir aufwallen. Wie üblich gewann das Teufelchen auf meiner rechten Schulter, welches mir nur allzu leicht einreden konnte, das ich zu allererst nach meinem Leben schauen sollte. Auch wenn das Engelchen von links immer wieder in meine Gedankenwelt einbrach.
Silke hatte Recht behalten. Durch die menschlichen Verluste, die wir durch den Sturm erlitten hatten, mussten wir noch härter und schneller arbeiten. Der einzige Trost, an jedem der so harten Tage war, dass wir am Abend etwas anderes zu Essen hatten als den ständigen Fisch. Diese andere Ernährung, auch wenn wir sie kalt essen mussten, machte sich bei mir gleich bemerkbar. Ich spürte regelrecht, wie meine Kräfte wieder anstiegen.
Genau diese konnte ich auch gebrauchen als Greta mich eines Abends, kurz vor Feierabend, beiseite nahm und mich um Hilfe bat. Ich sollte mit ihr zusammen einen Wagen zum Raumschiff der Mächtigen schieben. Der Wagen war schwer, es war eine riesige Kiste darauf, sehr gut verschlossen. Ich hätte gerne gewusst, was darin war. „Entschuldige, die ist für dich sicher auch noch zu schwer", keuchte Greta, als sie sah, dass auch ich nach Luft schnappen musste. „Kein Problem, wir schaffen das schon.“, meine Worte kamen mir nur abgehackt über die Lippen. Ich hätte gerne noch eine dritte Person um Hilfe gebeten, aber ausgerechnet jetzt war niemand mehr in der Nähe. Es wäre kein Problem gewesen, den Wagen alleine zu den Mächtigen zu bringen, wenn es hier einen geteerten Weg gegeben hätte. Aber wir mussten diesen Karren über das matschige, unebene Feld schieben, um zum Raumschiff zu gelangen. Wir brauchten gefühlt ungefähr eine Stunde für das, eigentlich, kurze Stück. Die Dämmerung musste über dem Wolkenfeld begonnen haben, denn es war schon sehr dunkel. Ich dachte an die anderen, die jetzt bereits am Tisch saßen und sich unser Dosenfutter schmecken ließen. Aber jetzt hatten wir es endlich geschafft. Wir waren im Raumschiff.
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