Die Brücken zur Freiheit - 1864
Die Karte zum Buch gibt es auch unter: http://schreiberundsammler.de/autoren/christine-m-brella/
1 InhaltsverzeichnisI Winter2 Nick – 13. Dezember 18633 Annie – 13. Dezember 18634 Nick – 13. Dezember 18635 Annie – 13. Dezember 18636 Nick – 13. Dezember 18637 Annie – 17. Dezember 18638 Nick – 17. Dezember 18639 Annie – 20. Dezember 186310 Nick – 20. Dezember 186311 Annie – 20. Dezember 186312 Nick – 21. Dezember 186313 Annie – 21. Dezember 186314 Nick – 25. Dezember 186315 Annie – 25. Dezember 186316 Nick – 28. Dezember 186317 Annie – 28. Dezember 186318 Nick – 31. Dezember 1863II Frühling19 Nick – 10. März 186420 Annie – 11. März 186421 Nick – 04. April 186422 Annie – 04. April 186423 Nick – 04. April 186424 Annie – 15. April 186425 Nick – 25. April 186426 Annie – 25. April 186427 Nick – 25. April 186428 Annie – 25. April 186429 Nick – 26. April 186430 Annie – 26. April 186431 Nick – 11. Mai 186432 Annie – 11. Mai 186433 Nick – 11. Mai 186434 Annie – 15. Mai 186435 Nick – 30. Mai 1864III Sommer36 Nick – 02. Juni 186437 Annie – 04. Juni 186438 Nick – 07. Juni 186439 Annie – 08. Juni 186440 Nick – 08. Juni 186441 Annie – 08. Juni 186442 Nick – 08. Juni 186443 Annie – 08. Juni 186444 Nick – 08. Juni 186445 Annie – 09. Juni 186446 Nick – 09. Juni 186447 Annie – 12. Juni 186448 Nick – 12. Juni 186449 Annie – 14. Juni 186450 Nick – 14. Juni 186451 Annie – 16. Juni 186452 Nick – 16. Juni 186453 Annie – 18. Juni 186454 Nick – 22. Juni 186455 Annie – 22. Juni 186456 Nick – 22. Juni 1864IV Herbst57 Annies Tagebuch – 10. September 186458 Mrs. Lewis – 10. September 1864V Appendix59 Karte: USA 186460 Nachwort61 Über das Buch62 Über die Autorin63 Leseempfehlung – mehr von Christine M. Brella64 Leseempfehlung – Historischer Roman65 Impressum
Erstarren – Warten – Träumen
2 Nick – 13. Dezember 1863
S chneidend blies der Wind über die texanische Grassteppe. Gerade erst hatte sich die Sonne fahl erhoben. Die frostüberzogenen Halme funkelten friedlich – trügerisch friedlich. Ich ballte meine eiskalten Finger zur Faust, kauerte mich tiefer in meinen Mantel und verschmolz wie ein echter Indianer mit dem Gestrüpp neben mir. Ich war Uncas, der letzte Mohikaner. Kein Hirsch, kein Eichhörnchen, nicht einmal eine Fliege würden meinem scharfen Auge entgehen.
Nach einer halben Stunde in dieser Position spürte ich meine Beine kaum mehr. Meine Ohren brannten und mein Magen grummelte. Seit Monaten waren unsere Vorräte knapp. Vorsichtig lockerte ich meine Schultern, ließ aber die Senke vor mir keine Sekunde aus den Augen. Falls nötig, würde ich hier noch bis zum Mittag ausharren, auch wenn ich damit eine Backpfeife von meiner Ma riskierte. Sie mochte es nicht, wenn ich mich draußen herumtrieb. War ich allerdings erfolgreich, würde ich mit einem vorwurfsvollen Blick davonkommen.
Tat sich da unten was? Meine Finger tasteten nach den bereitgelegten Kieseln. Mit einem Handgriff, den ich so lange geübt hatte, bis er mir in Fleisch und Blut übergegangen war, lud ich meine Steinschleuder. Vor Jahren hatte ich mir zusammen mit meinen Geschwistern Pfeil und Bogen gebaut. Im Gegensatz zu diesem Kinderspielzeug war die Schleuder eine tödliche Waffe.
Zwei fellige, rötlich braune Ohren tauchten hinter einem Felsbrocken auf und verschwanden sofort wieder. Die Jagd hatte begonnen. Tatsächlich wurde es unten plötzlich lebendig. Ruhig bleiben! Das Wild durfte nicht misstrauisch werden.
Ich zählte fünf Kaninchen, die sich aus ihrem Bau gewagt hatten. In aller Ruhe nagten sie an gefrorenen Grashalmen; hoppelten dann und wann hin und her; immer auf der Suche nach einem Stück Grün. Ein Langohr hüpfte auf mich zu. Jetzt war es etwa zehn Fuß entfernt. Langsam bog ich den Arm mit der Schleuder nach hinten und visierte es an. Alarmiert richtete es sich auf. Sein Kopf schoss in alle Richtungen. Das Näschen zuckte. Ich hielt den Atem an; wagte nicht, mich zu bewegen. Nach einigen langen Sekunden senkte das Tier die Vorderläufe auf den Boden und wandte sich wieder seiner Morgenmahlzeit zu. In dem Moment ließ ich den Riemen der Schleuder nach vorne peitschen. Das Kaninchen purzelte getroffen zur Seite und blieb mit einer blutigen Wunde liegen. Ich stieß ein wildes Kriegsgeheul aus, sprang auf und eilte zu meiner Beute. Deren überlebende Geschwister huschten verschreckt in alle Winde davon.
Ich bückte mich und hob das magere Fellbündel auf. Nicht gerade viel Fleisch, um sechs hungrige Mäuler zu stopfen.
Hoffentlich gewannen meine Brüder bald den Bürgerkrieg gegen die arroganten Nordstaatler! Lange würden wir hier draußen nicht mehr durchhalten. Die altbekannte Angst zog mir den Magen zusammen. Es wurde immer schwerer, der Verantwortung gerecht zu werden, die mir James vor drei Jahren übertragen hatte. Dabei war das doch meine Chance, ihm endlich zu beweisen, dass er auf mich zählen konnte!
»Nicky«, hatte er mich beschworen, »wenn wir weg sind, musst du für die Familie sorgen. Du kannst leidlich mit den Rindern umgehen, und wie man jagt, habe ich dir ja auch gezeigt. Ich will einfach nur, dass die Ranch so bleibt wie sie ist, bis wir wiederkommen.«
Wenn es doch nur bald soweit wäre! Mir wurde zwar schlecht, wenn ich mir vorstellte, wie er auf den Hof ritt und entdeckte, wie es um uns stand. Aber das war besser, viel besser, als wenn er nicht kam. Bis er und Andrew zurückkehrten, mussten wir uns irgendwie durchkämpfen. Später würde ich noch mal losziehen und meine Schlingen kontrollieren. Hoffentlich hatte ich damit mehr Erfolg.
Ich wandte mich zum Gehen. Da fiel mein Blick auf eine dunkle Vertiefung in einem Flecken makellos weißen Schnees. Eine Fährte, die ich nicht sofort zuordnen konnte, obwohl ich so was bei jeder Gelegenheit übte. Neugierig bückte ich mich. Eindeutig ein Abdruck von einem kleinen, nackten Menschenfuß. Rot gefärbt von Blut. Mein Herz zog sich zusammen. Unsere nächsten Nachbarn lebten einen halben Tagesritt entfernt. Kannte ich das Kind?
Ich sah mich rasch um, konnte aber keine Gefahr ausmachen. Keine Verfolger, keine wilden Tiere. Außer dem Wind war kein Laut zu hören. Mit angespannten Sinnen setzte ich mich in Bewegung und, folgte den blutigen Abdrücken. Den Blick auf den Boden gerichtet, kämpfte ich mich durch das brusthohe, mit Reif überzogene Dornengestrüpp. Sprang über einen gefrorenen Bachlauf. Erklomm einen steilen Hügel. Rutschte aus und riss mir die Finger auf. Egal! Weiter! Kam ich noch rechtzeitig?
Schlussendlich wäre ich um ein Haar über sie gestolpert. Sie lag reglos auf dem hartgefrorenen Boden, zusammengerollt wie das Eichhörnchenbaby, das ich im letzten Frühjahr gefunden und aufgepäppelt hatte. Beinahe wäre es ein friedliches Bild gewesen, hätte nicht überall Blut an ihr geklebt, getrocknetes an ihrem viel zu dünnen Hemd, frisches an ihren aufgerissenen Fußsohlen. Ich kniete mich zu dem Mädchen hinunter und berührte sacht ihre kohlschwarze Stirn. Es war das erste Mal, dass ich einem Sklaven so nahe war.
Ihre Haut fühlte sich seltsamerweise nicht anders an als meine, abgesehen davon, dass sie unter meinen kühlen Fingern glühte. Erleichterung durchströmte mich. Es war noch nicht zu spät.
»Heiliges Kanonenrohr«, murmelte ich. »Wem gehörst du denn?«
Was sollte ich mit ihr anfangen? Meine Gedanken überschlugen sich. Sollten wir einer entlaufenen Sklavin Unterschlupf bieten? Damit machten wir uns zur Zielscheibe für ihren Besitzer. Konnte ich sie hier liegen lassen? Nein! Das war weder mutig noch ehrenhaft. Es bedeutete ihren sicheren Tod. Hier würde heute keine zweite Menschenseele mehr vorbeistolpern. Schon eher eine Wolfsmeute.
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