Markward schien ihre Gedanken erraten zu haben.
„Keine Sorge! Wir werden nicht allzu schnell auf sie treffen. Das Lager wurde abgebaut und wir haben gesehen, dass sie vor einer knappen Woche südwärts geritten sind. Achaz wird bereits an seinem Hofe angekommen sein, ehe ihr dorthin kommt. Wir werden keine unnötige Eile an den Tag legen!“
Freya nickte etwas erleichtert mit dem Kopf. Trotzdem wurde es ihr mit jedem Schritt, den ihr Pferd tat, immer schwerer ums Herz.
Fast schon anklagend sah sie von Zeit zu Zeit zu Kieran hinüber, der aber mit versteinerter Miene auf seinem Pferd saß und mit keiner Geste oder Augenzwinkern verriet, was in ihm wohl vorging.
Wahrscheinlich freut er sich insgeheim, dass er jetzt bei seinem Vater gut dastehen wird, dachte sie gehässig.
Damaso unterhielt sich während der Tage, die sie miteinander ritten, meistens mit Markward. Wenn Freya genauer hinhörte konnte sie das eine oder andere Wort verstehen, und sie wusste, dass Markward immer noch dabei war Damaso ihre Sprache beizubringen.
Ansonsten hielt sie sich aber zurück. Sie hatte keine große Lust auf diese Gesellschaft, die sie nun einfach fortbrachte, und zog es vor lieber allein für sich zu reiten.
Erst am sechsten oder siebten Tag ihrer Reise suchte sie unauffällig Damasos Nähe auf, als sie abends ihr Lager an einem kleinen Wäldchen aufschlagen wollten. Die anderen waren bereits von ihren Pferden abgesessen, nur Freya schien auf irgendetwas zu warten.
Also kam Damaso näher zu ihr herüber und sah sie fragend an.
„Was los? Warum du zögern? Komm, wir uns ausruhen! Wir heute genug geritten.“
„Damaso“, begann sie so leise, dass nur er sie gerade noch so verstehen konnte, „ich komme nicht mehr vom Pferd runter! Mir tut alles weh!“ Freya schämte sich ihre Schwäche zu geben zu müssen, aber es half nichts. Der lange Ritt, und das Tag für Tag, hatte ihr mehr abverlangt, als sie gedacht hatte. Und ihre Schenkel waren wundgescheuert, weil sie im Reiten doch zu ungeübt war, was sie Kieran nicht hatte glauben wollen.
Damaso lächelte sie ein wenig mitleidig an. Dann fasste er sie um ihre Taille und hob sie vorsichtig und schnell vom Pferd herunter, ohne dass die anderen es mitbekamen. Nur Kieran beobachtete es von weitem.
„Danke!“, flüsterte Freya. Sie konnte kaum laufen, so sehr taten ihr die Beine weh.
Während die Männer noch dabei waren das Lager zu errichten, hatte Freya einiges Feuerholz gesammelt, was glücklicherweise nicht allzu weit weg lag, und machte sich daran ein Feuer zu entzünden, was sonst immer einer von den anderen machte. Aber sie wollte für heute einfach nur noch genau hier sitzen bleiben und sich nicht mehr bewegen müssen. Also hatte sie kurzerhand das Regiment über das Feuer übernommen.
Als die Sonne unterging deutete Kieran in die Ferne, hinüber zu einem flachen Gebirge.
„Ab dem Gebirge des Szuh-Ha wird es nicht mehr viel geben, was uns abends als Nahrung dienen könnte. Wir sollten ab jetzt einige Vorräte sammeln.“ Markward nickte wissend.
„Ab dem Szuh-Ha werdet ihr alleine weiter reiten, dort endet unsere gemeinsame Reise. Wir haben uns schon zwei Tagesritte weiter von den Grenzmarken entfernt, als wir eigentlich sollten. Was meint ihr Kosmo, Damaso?“ Während Kosmo mit einem Kopfnicken Markwards Worte sofort bestätigte, schüttelte Damaso gleichzeitig den Kopf.
„Ich werde sie nicht alleine weiter reiten lassen. Ich bleibe auf jeden Fall bei ihr und wenn ich die ganze Welt durchqueren müsste!“
„Das habe ich mir fast gedacht, mein Freund!“, sagte Kosmo. „Pass nur auf, dass du dich da nicht in irgendetwas verrennst!“
„Selbst wenn, werde ich sie bis zum Hof von Kierans Vater begleiten!“ Damaso sah zu Freya hinüber und bemerkte nicht, wie er von Kieran angesehen wurde. Er ging zu ihr hinüber und gemeinsam machten sie sich daran das Abendessen zu zubereiten.
„Was ist da hinten? Hinter dem Gebirge?“, fragte Freya vorsichtig. Aus irgendeinem Grunde wollte sie nicht, dass Kieran es mitbekam.
„Nur Sand und staubig Luft!“, antwortete Damaso. „Kein schön Ort. Kierans Heimat.“ Sand und staubige Luft! Und dort sollte man leben können? Ohne Bäume und Flüsse war ein Leben doch gar nicht möglich! Oder täuschte Freya sich da? „Wird heiß werden. Land Wüste. Tags Sonne und Hitze, nachts eiskalt!“, erklärte Damaso wissend.
„Und was ist schuu ha ?“, bohrte sie weiter.
„Klein Fluss aus Gebirge zu Oase, wenn Land heiß, Fluss ist trocken.“ Freya sah ihn stirnrunzelnd an.
„Was ist Oase?“
„Oase kleines Fleck Land wo Wasser und Bäume!“ Damaso überlegte, wie er es ihr richtig erklären konnte, fand aber mal wieder die richtigen Worte nicht. Wo blieb nur Markward? Und warum wollte er sie schon übermorgen verlassen? Er hatte doch noch längst nicht alles lernen können!
„Traute Zweisamkeit!“ Kosmo war zu ihnen gekommen und fing sich für seine Bemerkung sofort einen bösen Blick von Damaso ein. Er mochte keinerlei Anmerkungen zum Umgang mit ihr; er wusste selber nur zu gut, dass eine Beziehung zu ihr fast schon unmöglich war. Sie war eine Nordländerin, und gewiss würde sie irgendwann dorthin zurückkehren wollen, und er war ein Halbblut, halb Südländer, halb Elb, und sein Herz gehörte den Wäldern von Aldomark und Meralda, er hatte sich von den Menschen abgewandt, weil sie ihn verstoßen hatten. Außerdem war sie viel zu jung für ihn.
Und trotzdem war er vernarrt in sie, wie er sich eingestehen musste.
Kosmo wusste nur zu gut, wann Damaso es vorzog nicht mehr auf ein Thema angesprochen zu werden. Zur Entschädigung würde er heute endlich wieder eine Pfeife nach dem Essen mit ihm rauchen. Das hatten sie seit ihrer letzten Reise nicht mehr getan. Aber schließlich war es auch Damaso, der ständig nur noch das Tanzen im Kopf gehabt hatte. Oder vielleicht doch etwas anderes – Freya? Nein, er würde jetzt nichts mehr sagen, beschloss Kosmo.
Freya hatte an diesem Abend noch weniger Appetit gehabt, als die Tage vorher. Sie hatte schon seit Tagen kaum mehr etwas gegessen.
„Du musst mehr essen, um bei Kräften zu bleiben.“, sagte Kieran zu ihr und bot ihr seine Portion des Abendessens an. Sie hatten heute ein kleines rehähnliches Tier erlegt, das genug Fleisch bot, um sie alle für zwei Tage satt zu bekommen. Freya schob seinen Teller, den er ihr hinhielt, patzig zurück.
„Nein, danke! Ich sollte vielleicht gar nichts mehr essen. Das beschleunigt wahrscheinlich die ganze Sache!“
„Darf ich dich mal unter vier Augen sprechen?“ Kieran funkelte sie böse an und stand auf. Freya blickte nicht einmal zu ihm auf. Sein Tonfall gefiel ihr nicht im mindesten. Dieses Gespräch würde wohl nur eine Standpauke für sie werden - nein, danke! Mit einem schnellen Griff hatte er ihr Handgelenk gefasst und zog sie vom Boden hoch und hinter sich her. Damaso wollte aufspringen, als er es beobachtete, wurde aber von Markward zurückgehalten.
„Es ist besser, wenn sie ihre Querelen mal endlich bereinigen können!“, meinte er nur knapp und deutete mit seinem Kopf auf dem Boden, wo Damaso zuvor gesessen hatte.
„Entspann dich“, meldete sich auch Kosmo zu Wort, „er wird ihr schon nicht den Kopf abreißen. Und wenn doch, dann hetze ich dich auf ihn!“
„Dann ist es zu spät!“, schnaubte Damaso.
„Himmel und Bäume! Ist es dir mittlerweile so ernst mit ihr?“, fragte Markward. Kosmo nickte an Damasos Stelle mit dem Kopf.
„Ja, es ist nicht zu übersehen!“
„Seit wann ist es verboten sein Herz an jemanden zu verlieren?“ Damaso stand wieder auf und ging davon. Und Markward und Kosmo blieben alleine am Feuer zurück und teilten sich die Pfeife, die Kosmo eigentlich für Damaso und sich gestopft hatte.
„Warum hasst du mich?“, fragte Kieran in einem gezwungen ruhigen Ton. „Was habe ich dir getan?“ Erst nach einigen Minuten hob Freya den Kopf. Antwortete aber immer noch nicht. Kieran schaute sie die ganze Zeit über fest an, aber die junge Frau vor ihm ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. „Das Problem ist nicht mein Vater“, begann Kieran, „sondern mein Bruder. Er hatte dich auf dem Sklavenmarkt ausgesucht und du hast dich ihm widersetzt und bist geflohen, ausgerechnet mit dem Zuchthengst meines Vaters, den mein Bruder für seine eigene Zucht erben soll. Du hast in Al-Alef den halben Sklavenmarkt aufgemischt, als er dich dann gestellt hatte. Er ist ein sehr harter Mann. Was glaubst du wird er mit dir tun, wenn er dich in die Finger bekommt? Damit das nicht passiert, habe ich mich bereit erklärt, dich zu meinem Vater zu bringen, damit er die ganze Sache bereinigen kann. Noch ist er der Herrscher, noch kann er Recht sprechen. Und glaube mir, wenn ich dir sage, dass er nur nach außen sein Gesicht wahrt. Er ist kein unbarmherziger Mensch, der jemanden nur aus Genugtuung quält. Warum also hasst du mich ?“
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