Frau Doktor und Herr Stadtdirektor. Behängt und geschmückt. Der Kleiderketten-Magnat trinkt zuviel und seine Frau flaniert mit Champagner und erstarrtem Lächeln an Tibor vorbei und beurteilt die Männer im Saal. Ausserdem, betont distanziert, ein eher avantgardistisches Publikum in schwarzem Tuch. Weisse Gesichter, filigrane Männer mit spöttisch herab hängenden Mundwinkeln. Die Münder der Frauen starren wie blutrote Wunden aus bleichgepuderten Flächen. Die Frau eines Fertighaus Milliardärs ergreift die Flucht vor dem betrunkenen Maler, der, bedrohlich mit den Armen gestikulierend, auf sie zukommt. Eine Theateraufführung. Aber sie ist ein Teil des Schauspiels. Tibor ist ihr Freund, der allmählich seine Genialität versäuft. Schnell stellt sich Zsófia neben ihn und legt ihm die Hand auf die Schulter. Sein wutverzerrtes Gesicht entspannt sich, als er sie erkennt und unter dem grauen Bart beginnen sich die wulstigen Lippen zu einem Lächeln zu verziehen.
"Ach Täubchen, bin ich froh, dich zu sehen. Dachte, du bist noch auf deiner Insel." Tibor streichelt ihr schwerfällig über das Gesicht. “So ein feines Mädchen. So ein Töchterchen hat dieser feige Verräter nicht verdient.” Zsófia erwacht aus ihrer Starre und starrt ihn verblüfft an. Der schwergewichtige Maler nickt düster. “Täubchen, ich habe sie nicht vergessen, die Ratten damals, die das sinkenden Schiff verliessen.”
Zsófia hält Tibor am Arm. "Wovon sprichst du?” Aber Tibor hört nicht mehr zu, schwer lässt er sich auf einen der Clubsessel fallen und schliesst die Augen. Zsófia streichelt mechanisch seine Schulter, während ihr Blick über die Anwesenden wandert. Der Kulturjournalist einer landesweiten Tageszeitung betrinkt sich hastig, weil er nicht glücklich ist. Zsófia hört, wie er seiner Praktikantin erklärt, dass die grossen Landesmuseen kaum noch öffentliche Gelder bekommen und das die Meisterwerke deshalb für immer in den Tresoren der Superreichen verschwinden. In einer anderen Ecke nehmen die Bosse der miteinander konkurrierenden Finanzblätter den korrupten Immobilienmagnaten Heide in Beschlag. Beide versuchen auf ihre Art, Eindruck zu schinden - es gilt, einen grösseren Werbeetat heraus zu handeln. Der elegante - Designer gekleidete Anatol in seiner ganzen Einmeter Fünfundneunzig Pracht und der kleine, immerzu grinsende Mick, der eigentlich schon seit Jahren pleite sein müsste. Jetzt schlägt Franziskus, Skandalreporter von Mick ihre Richtung ein.
"Was für eine gelungene, kleine Festivität." Franziskus lächelt süsslich und nippt an seinem Kräutertee. Er trinkt niemals etwas anderes.
Zsófia nickt. "Ja, könnte mir kaum etwas besseres für einen Freitag-Abend wünschen." Sie blickt auf Tibor, der wie ein mächtiger See-Elefant über dem Samtkanapee hängt und zwischen dem Bedürfnis einzunicken und der Wodkaflasche hin und her schwankt. "Was gibt es Neues auf der Szene? Du weisst doch immer alles?"
Franziskus versucht zu überspielen, dass er sich geschmeichelt fühlt. "Alles so entsetzlich langweilig. - Der da", er weist auf Tibor, "ist noch das einzig Lebendige hier."
"Er zahlt einen hohen Preis." Zsófia schweigt betreten. Hat sie zuviel gesagt? Doch ihre Sorge ist unbegründet. Franziskus hat ihr gar nicht zugehört. Er blickt düster ins Leere und macht eine dramatische Handbewegung in den Raum. "Ich würde am liebsten abhauen von hier. Auswandern. Eine Weltreise."
"Franziskus, du kannst doch gar nicht ohne das Spektakel um dich herum."
"Meinst du?" Er lacht sie mit einem herausfordernden Funkeln in den Augen an. "Und du? Warum machst du das hier?"
Zsófia lächelt abwehrend und zuckt im Reflex die Schultern. "Ich bin genau da, wo ich immer sein wollte." Sie wartet, das er, wie üblich, etwas Scharfzüngiges zum Besten gibt, aber Franziskus schaut sie nur an und wartet. Das macht sie nervös. Aus diesem Grunde erklärt sie sich hastig. “Die Arbeit ist spannend. Und mit den Werbekampagnen kann ich unsere Arbeit für gemeinnützige Organisationen verwirklichen.”
"Ts, ts, eine Idealistin, schau an, schau an.", Franziskus ist amüsiert. "Und glaubst du, das gelingt dir, indem du dich zur gemeinnützigen Schickeria gesellst und dich mit Kanapees und Sekt vollstopfst?"`
"Gefällt dir die Feier etwa nicht?"
Franziskus schnippt ungeduldig mit dem Finger: "Du weisst genau, was ich meine. - Du bist doch auch bloss hier, um neue Kunden für eure Werbeagentur aufzutun. Was hat das denn bitte schön mit Charity und dem Wohle der Bedürftigen zu tun? Kleine Pfützen der Wohltätigkeit und im Grunde kriechst du einer korrupten Maschine in den Arsch die diese Bedürftigkeit überhaupt erst erschaffen hat."
Die Bemerkung trifft sie. Das ist es, was sie seit geraumer Zeit bedrückt. Dennoch zuckt sie scheinbar gleichgültig die Schultern. "Was erwartest du? Auf den Berg gehen und meditieren schafft weder Arbeitsplätze noch Umsatz. Es ist ein hartes Geschäft."
"Aber es gefällt dir, nicht wahr?", Franziskus lächelt ölig, "Streichelt das Ego."
Zsófia strafft die Schultern und verfällt wieder in ihr maskenhaftes Lächeln. "Das bringen diese Feste gewöhnlich so mit sich. Du bist doch auch nicht bloss zum Teetrinken hier."
Franziskus wird plötzlich ernst. Lauernd sieht er sie an. "Was steckt wohl hinter deiner geschäftstüchtigen Fassade. Wie bist du eigentlich wirklich?"
Zsófia ist verblüfft. Sie versteht seine Frage nicht. Franziskus verschränkt die Arme vor der Brust. "Die stets perfekte Zsófia. Du bist ein ganz kalter Fisch was?"
Sie ist betroffen.Wirkt sie so auf andere? Kalt? Zsófia ringt nach einer Antwort als sie Körpermassen von hinten umschlingen. Sie zuckt zusammen und versteift sich. Schweres Aftershave vermengt mit Schweissgeruch steigt in ihre Nase. Schon hört sie eine bekannte Stimme Anzüglichkeiten in ihr Ohr säuseln. Es ist der Vorsitzende ihrer Betriebsbank. Sie zeigt keine Abwehr, erschlafft in der Umklammerung. Automatisch bleckt sie die Zähne zu einem Lächeln, schlängelt sich schliesslich mit einem Scherz aus seinen massigen Armen.
"So ein schöner Hintern" , hört sie ihn murmeln, aber auch das nimmt sie lächelnd hin.
"Hallo Heinrich, wie gefällt dir die Ausstellung?"
"Zsófia, hast du die kleine Praktikantin gesehen? Ist sie alleine hier?"
Sie behält ihr maskenhaftes Lächeln, "deine Frau hat dich im Auge."
"Ich meine doch nur.", Der dickliche Mann ist nicht verlegen. Zsófia ist angewidert, aber sie zeigt es nicht. Der Mann ist mächtig. “Und ich bin trainiert ein liebes Mädchen zu sein.” Ihr Angewidert sein richtet sich nun gegen sich selbst. Zsófia fühlt ein Stechen im Kopf. Die vielen Menschen, der Lärm, die Luft so trocken.
Sie wendet sich zur Terrassentür, die hinaus auf die Clubanlage führt. Es ist ein warmer Abend und die Sonne geht gerade hinter den Hügeln unter. Zsófia sinkt auf eine der Parkbänke. Rosenbüsche verbreiten einen betörenden Duft. Der Rosenduft weckt Erinnerungen. Sie fühlt sich zurückversetzt nach Griechenland. Zsófia lehnt sich stöhnend zurück und reibt sich die Stirn. Sie hat Kopfschmerzen. Will nicht zurückdenken. Aber es bricht auf. Nach all den Jahren. Die Lichtwesen fallen ihr ein. - Ihre Angst, wahnsinnig zu werden. Auch jetzt hat sie Angst. War da nicht eine Warnung gewesen?
“Du lachst viel, aber Du bist einsam und traurig. Die, die sagten, dass Deine Wahrheit Lüge ist. Warum hast Du Ihnen geglaubt? Ein schwarzer Vogel kreist über Dir. Er kam in Gestalt eines Menschen, doch nun bist du selbst es, die den schwarzen Vogel nährt. Zsófia erinnere dich. Wenn es Dir nicht gelingt, dich zu befreien, wirst Du immer unglücklich bleiben.”
Der schwarze Vogel!
Sie greift sich an den Hals und ringt nach Atem. Ein Blitz zuckt genau über ihr und ein krachendes Donnern lässt sie aufspringen. Erschreckt blickt sie zum Himmel und tastet sich mühsam zurück zu der Parkbank. Sucht nach ihrem Schlüssel, den sie dort niedergelegt hatte. Ihre Hände tasten suchend über das Holz und finden etwas samtiges und als sie es vorsichtig befingert, merkt sie, das es an einem Lederband hängt. Gedankenverloren lässt sie es auf ihre Handtasche sinken. Regentropfen fallen vom Himmel. Schnell wird der Regen heftiger, dringt in ihr dünnes Abendkleid. Sie springt auf und läuft in Richtung des beleuchteten Clubhauses. Sieht die Leute im Inneren mit ihren Festkleidern lachen und trinken. Sie kann dort nicht mehr hinein gehen. Atemlos läuft sie um das Gebäude herum zum vorderen Bereich. Die Auffahrt entlang zum Ausgang. Sie läuft und läuft, während ihr der Regen über das erhitzte Gesicht rinnt.
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