„Und so, ist gut. Du weißt wohl gar nicht, wie aufdringlich du sein kannst. Hast ihn nicht nur angerufen, sondern ihm auch in den Hotels aufgelauert, ihn regelrecht, ja, ich benutze das Wort, ihn regelrecht belästigt. Stalking nennt man das!“, hatte ihr Mann, außer sich vor Wut, gebrüllt.
„Ich wollte ihn sprechen. Das stimmt. Aber das ist doch kein Verbrechen, wenn eine Frau einen Mann in der Hotellobby anspricht“, hatte sie sich verteidigt.
„Ansprechen nennst du das? Die Polizei sagte, du seiest ihm um den Hals gefallen. Als er sich wehrte, hättest du laut geschrieen.“
„Er wurde grob. Das muss ich mir doch nicht gefallen lassen.“
„Er wurde grob? Wenn jemand grob war, dann doch wohl du! Ihm gegenüber, aber auch mir gegenüber. Was fällt dir ein, solche Szenen in Hotellobbys aufzuführen? Was sollen die Menschen denn von dir denken, von unserer Ehe und damit auch von mir?“
Ihr Mann hatte sich so erregt, wie lange nicht mehr.
„Die Menschen sollen denken, was wahr ist. Dass du keine Zeit für mich hast, dass du mit deiner Firma verheiratet bist, dass du vielleicht sogar ein Verhältnis mit deiner Sekretärin hast. Was sollen sie sonst denken?“
„Jetzt reicht`s“.
Das waren seine letzten Worte gewesen.
Jetzt saß Vera allein in einem Apartment in der Algarve und suchte nach Arbeit. Sie brachte ihr Geschirr in die Küchenzeile und stapelte es zu den anderen schmutzigen Tassen und Tellern. Wenn sie eine Geschirrspülmaschine hätte wie in Deutschland, dann wäre dieser kleine Berg an schmutzigem Geschirr in der Maschine verstaut und unsichtbar. So allerdings blieb ihr der Anblick nicht erspart. Sie überlegte kurz, alles abzuspülen, entschied sich dann aber, nur ein Weinglas zu säubern. Vera öffnete eine Rotweinflasche, nahm sich die „Entdecken Sie Algarve“ und las die übrigen Artikel. Die Kleinanzeigen mied sie an diesem Abend. Als sie die Flasche geleert hatte, ging sie ins Bett.
Wie immer wurde sie am nächsten Morgen von der Sonne geweckt, die bis zur Mittagszeit durch die Fenster schien. Gegen Nachmittag lag ihr Apartment im Schatten, wodurch es abends in dem Raum sehr kühl wurde. Unter der Dusche überlegte sie, wie sie den Tag verbringen sollte. Ihr fiel die Stellenanzeige ein und nahm sich vor, heute die Bewerbung zu schreiben.
Wie viele Portugiesen hatte sie sich angewöhnt, ihr Frühstück in einem Café einzunehmen. Sie nahm sich das Briefpapier und den Stift und hoffte, ihr würde am frühen Morgen genug einfallen, um die Bewerbungszeilen zu schreiben.
Morgens mied sie die Cafés, in denen die Touristen verkehrten, und wählte bescheidene portugiesische Cafés. Hier war der Kaffee billiger und besser und die Atmosphäre alltäglich. Fern der touristischen Aufgeregtheit.
Nachdem sie ihren Milchkaffee mit Brötchen bestellt hatte, entfaltete sie das Briefpapier.
Zunächst die Adresse: Vera van Berg, Rua Barranco, Carvoeiro. Ein Telefon hatte sie nicht, noch nicht einmal eine portugiesische Handy-Nummer. Sie bereute, dass sie sich darum noch nicht gekümmert hatte.
Sehr geehrte Damen und Herren,
darf ich mich Ihnen kurz vorstellen. Ich heiße Vera van Berg....
Sie stockte. Sollte sie den Namen im Brief noch einmal erwähnen? Schließlich stand er schon oben im Absender. Noch nie in ihrem Leben hatte sie eine Bewerbung geschrieben. Ihr wäre es viel lieber gewesen, ohne einen schriftlichen Vorlauf in ein Büro zu gehen und sich vorzustellen. Aber wo wohnte diese Chiffre?
Vera legte den Stift zur Seite und fing an, sich ihrem Frühstück zu widmen.
„Na, schreiben Sie einen Brief an Ihre Lieben, die zu Hause bleiben mussten?“
Vera schaute auf, um zu sehen, welche männliche, ihr irgendwie vertraute Stimme sie ansprach. Es war Robert. Als sich ihre Blicke trafen, lachte er.
„Störe ich oder darf ich mich zu Ihnen setzen?“, fragte er.
„Nein, Sie stören nicht. Ich weiß ohnehin nicht, was ich schreiben soll“, antwortete Vera und wies ihm mit einer kleinen Geste einen Stuhl an.
Robert setzte sich. Er hatte sich seinen Kaffee von der Theke mitgebracht und nahm einen kräftigen Schluck, während er Vera anschaute.
„Dass ich sie nun auch am Morgen treffe, finde ich putzig. Wir haben wohl ähnliche Gewohnheiten“, meinte Vera und hoffte, dass er sie nicht weiter so anschauen möge.
„Frühstücken Sie etwa auch immer hier?“, fragte Robert und lockerte seinen Blick.
„Fast jeden Morgen.“
„Wenn Sie Ihren Brief weiterschreiben möchten, kann ich mich auch an den Nebentisch setzen.“
Und dann würde er sie von da aus anschauen, dachte Vera.
„Das brächte nur was, wenn Sie kurzsichtig wären“, sagte sie.
„Bin ich aber nicht“, antwortete Robert und lächelte.
„Ich will mich heute mit niemanden streiten, sondern nur freundlich sein. Darum in aller Freundlichkeit: Starren Sie mich nicht so an. Das nervt.“
Veras Tonfall war schärfer geworden, als sie gewollt hatte. Doch ihn schien das nicht zu stören.
„Wie lange sind Sie schon hier?“ fragte er stattdessen.
„Seit einer Viertelstunde.“
„Ich meine, hier in Portugal.“
„Warum interessiert Sie das? Etwa vierzehn Tage.“
„Dann machen Sie etwas falsch. Nach vierzehn Tagen müsste der Urlaub doch schon gewirkt haben. Sie haben den Alltagsstress immer noch nicht hinter sich gelassen. Ich könnte zu ihrer Entspannung beitragen, wenn Sie wollen“, sagte Robert und lächelte weiter.
Vera fiel es schwer, ihrem Vorsatz, den ganzen Tag freundlich zu sein, weiterhin gerecht zu werden. Sie hasste es, wie er sich ihr näherte.
„Ich mache keinen Urlaub“, sagte sie. „Insofern habe ich ein Recht auf meinen Alltagsstress.“
„Arbeiten Sie hier in der Algarve?“
„Und was machen Sie so? Haben Sie genügend Aufträge in ihrer Detektei?“, fragte sie zurück.
„Ich bin kein Detektiv. Nur neugierig. Ich bin freier Journalist. Allerdings mehr frei als Journalist“, sagte Robert lachend.
„Und davon lässt es sich gut leben?“, hakte Vera nach.
„Wollen Sie meine Kontoauszüge sehen? Da müssten Sie mich allerdings in meine Wohnung begleiten“, antwortete Robert.
„Nein, will ich nicht sehen. Aber wenn Sie mir einen Tipp geben könnten, wie man mit Nichtstun über die Runden kommen kann. Dafür wäre ich Ihnen sehr verbunden. Ich würde mich anschließen.“
„Das wird nicht gehen“, sagte Robert. „Meine Eltern sind schon tot, und somit kann das Erbe nicht noch einmal vergeben werden.“
Vera schwieg. Sie empfand sich selbst als zu aufdringlich und wusste nicht, wie sie das Gespräch nun fortführen sollte. Auch Robert schwieg. Ihr war es wieder einmal gelungen, ein Gespräch in die Sackgasse zu führen.
„Ich glaube, es ist besser, wenn ich jetzt zahle“, meinte sie und ergänzte nach kurzem Zögern: „Ich wollte nicht neugierig sein. Entschuldigen Sie. Aber Sie waren mir auch zu neugierig.“
„Dann muss ich mich wohl jetzt entschuldigen. Dabei wollte ich Ihnen nur behilflich sein. Ich finde Sie nämlich sehr freundlich, ja irgendwie auch apart“, antwortete Robert.
Vera stutzte: „Was haben Sie da gesagt? Sie finden mich apart und freundlich? Das ist ja fantastisch!“
Sie sprang auf, beugte sich über den Tisch und gab Robert einen Kuss auf die Stirn.
Robert sah sie überrascht an und schwieg. Vera setzte sich wieder.
„Jetzt muss ich wohl was erklären“, sagte Vera und erzählte von der Stellenanzeige und ihrem Versuch, sich zu bewerben.
Als sie ihre Geschichte beendet hatte, lachte Robert laut los.
„Zufälle gibt es!“, sagte Robert „Wissen Sie was, jetzt spendiere ich uns einen Brandy. Das muss einfach begossen werden.“
Vera sah ihn verunsichert an und beobachtete, wie Robert zur Theke ging und mit zwei Macieira, einem portugiesischen Weinbrand, zurückkam.
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