Christel schien es zu lieben, alles durchzuorganisieren. Wie ein Orchester dirigierte sie das kleine Team. Teresa fügte sich ebenso wie Vera.
„Ich hab doch von dem Einbruch erzählt. Da sollten wir was veranlassen“, sagte Vera. „Die Verandatür, durch die die Diebe eingestiegen sind, ist wirklich leicht von außen zu öffnen. Das Material ist zu dünn. Ich denke, zur Diebstahlsicherung sollte da mal etwas gemacht werden.“
Christel schaute Vera energisch und ärgerlich an.
„Vera! Das sind nicht unsere Häuser. Wir vermitteln sie nur an Gäste und erhalten den guten Zustand der Häuser. Wenn investiert werden muss, dann sind die Hauseigentümer dafür zuständig. Nicht wir. Das Haus 7 ist in Ordnung. Es gab nie Klagen von Gästen. Bloß weil jetzt mal ein Einbruch passiert ist, sollten wir die Eigentümer nicht beunruhigen. Auch in Deutschland wird eingebrochen. Damit muss man immer rechnen. Kann immer passieren. Also vergessen Sie den Einbruch!“
Christel sagte alles in einem so energischen Ton, dass Vera nicht weiter insistieren wollte. Zufrieden gestellt hatte sie die Auskunft von Christel allerdings nicht. Sie informierte die beiden noch kurz über ihren geplanten Segelausflug und verabschiedete sich.
Am nächsten Morgen um 10 Uhr stand Robert vor der Tür. Schon nach einem Tag Gästebetreuung freute sich Vera, etwas Anderes machen zu können.
„Muss ich was mitnehmen wie Wasser, Brot, Obst oder so?“ fragte sie Robert.
„Gar nichts. Ich habe uns einen Picknickkorb gepackt. Da ist genug drin“, antwortete er.
Das hätte Torsten van Berg nie gemacht, dachte Vera. Der war es gewohnt gewesen, dass ihm alles serviert wurde. Unverheiratete Männer haben doch ihre Vorzüge.
Mit dem roten Kastenwagen fuhren sie nach Portimâo.
„Wo sind die Hunde mit den Hotelnamen?“
„Dorint, Pestana und Vila Vita sind zu Hause. Ich habe einen kleinen eingezäunten Garten mit vielen schattigen Plätzen. Da fühlen die drei sich ganz wohl. Allerdings waren wir heute morgen schon laufen. Ich jogge jeden Morgen, und die Hunde begleiten mich. Dann halten sie auch eine längere Zeit alleine durch“, antwortete Robert.
Die Marina in Portimâo war außerhalb der Stadt, von ockerfarbenen Reihenhäusern umrahmt, vor denen Robert sein Auto abstellte. Er überreichte Vera einen der zwei Picknickkörbe, weil er eine Hand für die elektronische Chipkarte frei haben musste, mit der er das Tor zu den Stegen öffnete.
„Manchmal braucht man ein wenig Geduld, um in die Marina zu kommen. Das Schloss ist zwar Hightech, aber dennoch klemmt es in der Regel“, erläuterte Robert.
In der Tat öffnete sich das Tor nicht reibungslos. Das elektronische Auge reagierte zwar auf die Chipkarte, aber das Tor blieb verschlossen. Nach mehrmaligen Versuchen und kräftigem Ziehen und Ruckeln gab es den Widerstand auf.
Vera folgte Robert in die Marina. Vor ihnen lagen prächtige Motor- und Segelyachten. Sie strahlte, als sie diese weiße Pracht vor sich liegen sah und empfand sofort ein Gefühl von Freiheit, jener Freiheit, nach der sie sich auf der Steilküste gesehnt hatte, als diese Boote ausgelassen im Wind spielten. Doch sie fühlte sich auch erschlagen von dem Luxus, den diese Yachten in der Vielzahl vermittelten. Vera kannte kleine Yachthäfen in Deutschland, in denen sie mit bekannten Ehepaaren hin und wieder die Wochenenden verbracht hatten. Sie ähnelten mehr einem Campingplatz denn einem Hafen. Überall auf den Schiffen waren Menschen, die grillten, tranken und Karten spielten. Befreundete Familien trafen sich dort am Wochenende zu einem fröhlichen Beisammensein.
Dagegen war diese Marina ein stiller Ort. Die Schiffe waren menschenleer und wiegten sich einsam im leichten Wellengang. Das Sonnenlicht ließ ihr Weiß noch greller strahlen, und das alles vor der blauen Kulisse des Meeres. Es war eine seltsame Atmosphäre, die sich hier ausbreitete. Vera konnte sich nicht erinnern, dem Zusammentreffen von Reichtum und Einsamkeit jemals so nah gewesen zu sein.
Sie folgte Robert. Die Holzstege gaben bei jedem Schritt nach, weil sie auf Pontons im Wasser schwammen.
„Das ist mein Segelboot“, sagte Robert und hielt an.
„Ich würde das schon Segelyacht nennen“, meinte Vera.
„Wenn Sie sich umschauen, dann sehen Sie ganz andere Segelyachten. Meine ist dagegen sehr bescheiden. Kommen Sie! Ich helfe Ihnen.“
Mit einem großen Schritt bestieg er das Schiff, nahm Vera den Korb ab und streckte ihr seine Hand entgegen.
„Danke. Ich kann das schon alleine“, meinte Vera.
Während Vera auf das Schiff kletterte, ging Robert die Kajüte öffnen.
„Kommen Sie herein, in die gute Stube“, sagte er.
Doch sie hielt inne und schaute den Mast hoch. Robert kam zu ihr.
„Das sind 14 m“, sagte er.
„Das Boot hat nur einen Mast?“, fragte Vera.
„Ja, es ist eine Slup. Das, was Sie meinen, die Boote mit zwei Masten nennt man Ketsch“, erläuterte Robert. „Kommen Sie! Ich zeige Ihnen die Kajüte.“
Vera folgte Robert und ging ein paar Stufen tiefer ins Innere des Schiffes. Sie staunte. Das Schiff wirkte wie eine kleine Wohnung. Der Raum war holzverkleidet und hatte links und rechts gepolsterte Sitzmöbel. Sogar eine kleine Küche und eine kleine Duschecke gab es.
„Wie viele Personen können hier schlafen?“, fragte Vera.
„Vorne in der Doppelkoje zwei. Dann kann man diese Sitzgarnitur zu zwei Kojen umbauen, und hier unter dem Cockpit an Steuerbord ist noch eine Koje, auch Hundekoje genannt. Also fünf Leute.“
„Das ist wie eine kleine Wohnung, wie ein Wohnwagen“, sagte Vera. „Ich war noch nie im Inneren einer Segelyacht. Es gefällt mir sehr.“
„Nun, wir wollen hier heute nicht wohnen, sondern hinaus aufs Meer. Wenn Sie wollen, können Sie zuschauen, wie ich das Schiff seeklar mache“, sagte Robert und verließ die Kajüte.
Vera beobachtete ihn, wie er das Großsegel von der Persenning befreite.
„So schön die Sonne ist“, meinte er. „Das UV-Licht ist der schlimmste Feind des Segels. Darum tut man gut daran, es immer zu verpacken. Sie müssen also ein bisschen Geduld haben, bis ich alles klar habe.“
„Ich find alles sehr interessant.“
Vera ging nach vorn zum Bug und stellte sich genau in die Spitze. Wie auf der Titanic, dachte sie und lächelte.
„Wie heißt das Schiff eigentlich?“, rief sie.
„Seestern.“
Robert hatte mittlerweile das Großsegel klar gemacht, kam zu ihr nach vorne und befestigte links und rechts Leinen an dem noch aufgewickelten Vordersegel, um diese wieder zurück zum Heck zu führen.
„Kommen Sie. Wir lassen den Motor an.“
„Ich dachte, wir wollten segeln“, sagte Vera.
„Aber erst müssen wir aus der Marina fahren.“
Ein Dieselmotor, dachte Vera, als der Motor lief. Robert verließ das Schiff und machte die Leinen los. Nur eine vorne am Bug ließ er am Klampenfuß befestigt.
„Jetzt können Sie helfen“, sagte er zu Vera. „Ich setze gleich rückwärts. Wenn ich „Leinen los“ rufe, dann ziehen Sie an dieser Leine, so dass das Schiff den letzten Halt mit dem Steg verliert. Klar?“
Vera nickte und nahm die Leine in die Hand. Sie war nervös, weil sie befürchtete, etwas falsch zu machen. Doch es klappte. Als das Schiff rückwärts fuhr, befolgte sie das Kommando „Leinen los“, und sie bewegten sich langsam aus der Marina hinaus.
Auf der Arade war einiger Schiffsverkehr. Während sie hinausfuhren, kamen Fischerboote herein. Auch einige Yachten fuhren ihnen entgegen. Alle winkten freudig, als sie einander begegneten. Vera saß auf den Holzplanken vorne am Bug, und der frische, aber schon warme Wind blies ihr ins Gesicht. Rechts sah sie oben eine Burg, und vor ihr lag das Tor zum offenen Meer, gekennzeichnet durch eine große grüne und eine rote Tonne.
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