„Nein, ich suche nichts. Ich habe mir nur das Haus angesehen, weil ich zur Hausverwaltung Christel & Teresa gehöre und mich nur mal umsehen wollte“, erklärte Vera der Frau mit dem kritischen Blick, der eigentlich gar nicht zum übrigen Erscheinungsbild der Frau passte. Über den blauen Bikini hatte sie eine lockere Bluse gezogen. Eine angespannte Urlauberin mit einem kritischen Blick!
„Ach so. Dann sind Sie Christel oder Teresa? Ich habe mit der Hausverwaltung noch nichts zu tun gehabt. Das hat immer mein Mann erledigt. Sie müssen schon entschuldigen, dass wir Sie nicht erkannt haben.“
„Sie können mich auch nicht kennen. Ich bin von Christel und Teresa beauftragt, ab Mai die Hausbetreuung zu übernehmen. Mein Name ist Vera van Berg. Ich hoffe, mein Kommen war für Sie jetzt nicht unpassend.“
Vera bemühte sich, besonders höflich zu sein, und streckte der Frau ihre Hand entgegen.
„Ist die Frau kein Dieb, Mami?“, fragte das Mädchen.
„Nein, Liebes. Sie müssen wissen, bei uns wurde vor ein paar Tagen eingebrochen. Jetzt leben wir ein wenig in Furcht. Es ist ein seltsames Gefühl zu wissen, dass Fremde im Haus waren, als wir schliefen“, erläuterte die Frau die Worte ihrer Tochter.
„Oh. Bei Ihnen wurde eingebrochen? Ist Wertvolles entwendet worden?“
„Die Portemonnaies. Bargeld haben wir im Urlaub immer wenig dabei. Meinen Schmuck nehme ich nie mit in den Urlaub. Aber dummerweise hatte ich meinen Pass und Führerschein im Portemonnaie. Die sind nun auch verschwunden. Das ist natürlich unangenehm“, sagte die Frau.
„Mein Brustbeutel ist auch weg“, sagte die Kleine.
Vera sah, dass die beiden der Einbruch sehr bekümmerte. Sie hatte schon gehört, dass es Diebesbanden gab, die in Häuser einbrachen.
„Waren Sie bei der Polizei?“
„Ja, die waren hier und haben ein Protokoll aufgenommen. Aber wie sollen die denn die Diebe finden? Solche Bagatelldelikte werden auch in Deutschland von der Polizei nicht sehr ernst genommen. Das wird hier auch nicht anders sein“, sagte die Frau.
„Ich habe gehört, dass die Diebe manchmal die persönlichen Dokumente zurückgeben, weil sie nur Interesse an Geld haben. Vielleicht wird das in Ihrem Fall auch so sein“, versuchte Vera zu trösten.
„Wir reisen in einer Woche schon ab. Da bleibt nicht viel Zeit. Und ehrlich gesagt, bin ich auch froh, wenn ich dieses Haus wieder verlassen kann. Es ist zwar sehr schön. Aber wissen Sie, dass Unbekannte einfach einbrechen und deine Sachen durchstöbern können, das macht einen doch sehr unsicher. Man fühlt sich irgendwie im Intimsten verletzt“, sagte die Frau noch einmal.
„Wissen Sie, wie die Diebe hereingekommen sind?“, fragte Vera.
„Kann ich Ihnen zeigen.“
Vera ging mit den beiden Urlauberinnen ins Haus, das etwas bescheidener als das Vier-Zimmer-Haus in Rocha Brava, aber sehr gemütlich war. Die Frau ging zu einer Schiebetür aus Glas und erklärte, wie die Diebe durch diese Tür hereingekommen sein mussten. Vera schaute sich die Schiebetür an und fand, dass sie sehr leicht war. Sie vermochte sich gut vorzustellen, dass man diese Tür leicht von außen öffnen konnte.
„Vielleicht muss die Tür verstärkt werden. Aber ich kenne mich mit solchen Dingen auch nicht aus“, sagte sie. „In jedem Fall werde ich den Diebstahl in unserem Büro melden, falls Sie das noch nicht getan haben. Vielleicht kann man was machen.“
„Für die nachfolgenden Urlauber wäre das sicherlich gut“, meinte die Frau ein wenig verzagt.
Vera wünschte noch ein paar schöne Urlaubstage, riet, sich von diesen Schurken nicht alles verderben zu lassen, und verabschiedete sich.
Das Haus 9 war in derselben Straße, so dass sie nicht lange suchen musste. Auch diese Begegnung mit Mahlströms motivierte sie nicht, noch weiter den Kontakt mit anderen Gästen zu suchen. Sie konnte so gut nachempfinden, dass ein Diebstahl die Urlaubsstimmung belasten konnte. Wie bei den weiteren Häusern zuvor in Rocha Brava stieg Vera nicht mehr aus, sondern nahm das Haus 9 nur kurz von der Straße aus in Augenschein.
Mittlerweile war es Mittag, und das Büro der Hausverwaltung sicherlich in der Mittagspause.
In Portugal war die Mittagspause zwar nicht so lang wie im benachbarten Spanien, wo man sie bis 17 oder gar 18 Uhr ausdehnte. Dafür legten die Portugiesen mittags Wert auf eine warme Mahlzeit. Überall gab es Restaurants, in denen die Arbeiter ihr Prato do Dia einnahmen, ein recht preiswertes Mittagsmenü. Vera beschloss, solch ein Restaurant aufzusuchen.
Sie brauchte eine Pause, um ihre Gedanken zu ordnen. Obwohl sie noch nicht viel geleistet hatte, war sie voller Eindrücke. Dem luxuriösen Leben der Müllers stand der Diebstahl im Haus 7 gegenüber. Hier tägliches Genussleben, dort gedrückte Stimmung. Bei zehn Häusern, belegt mit Gästen, konnte Vera erahnen, wie vielfältig ihre Zukunft mit den verschiedenen Urlaubern demnächst sein würde. Anders, als Monika gemeint hatte, waren es nicht nur Menschen, die auch zu ihrem Bekanntenkreis hätten gehören können, sondern es war eine bunte Mischung des Alltags, von mittlerem Geldbeutel bis hin zu superreich.
Nach dem Mittagessen fuhr sie zur Hausverwaltung. Christel und Teresa saßen beide an den Computern, als Vera eintrat.
„Schon wieder da? Das ging aber schnell“, meinte Teresa.
„Ich habe mir bisher nur die Häuser im östlichen Bereich angesehen. Die anderen mache ich später. Denn ich glaube, ich müsste zunächst noch mehr wissen, bevor ich möglicherweise auf Gäste treffe“, erklärte Vera ihr frühes Erscheinen.
Sie fragte nach dem Tresor und berichtete von dem Einbruch bei Mahlströms. So hieß die Familie im Haus 7 laut Liste. Christel zeigte ihr den Tresor und begann, die Einarbeitung fortzusetzen.
„Wäre es nicht besser, jedes Haus hätte einen Tresor“, dachte Vera laut.
Christel sah sie skeptisch an, und Vera hatte das Gefühl, eine über-flüssige Bemerkung gemacht zu haben. Das konnte sie doch nicht schon wieder für indiskret gehalten haben, dachte Vera.
„Ob Sie es glauben oder nicht. Vor Jahren hatten viele Häuser einen Tresor“, fing Christel an zu erzählen. „Allerdings auch nur für kurze Zeit. Das war damals so: Eine Firma hatte mit guten Angeboten viele Hausbesitzer zum Kauf eines Tresors animiert. Die wurden etwa gleichzeitig in die Häuser eingebaut. Unter den Männern, die die Tresore eingebaut haben, gab es ein paar Spitzbuben. Die haben einer Diebesbande Schließkombinationen und Duplikate von den Schlüsseln übergeben. Was meinen Sie, was dann passierte? Über Nacht wurden alle Häuser mit den neuen Tresoren ausgeraubt. Viele Hausbesitzer haben also die Tresore wieder ausgebaut und sind zu Omas Verstecken im Kleiderschrank zwischen den Handtüchern oder wo auch immer zurückgekehrt. Weil eben nicht alle Häuser einen Tresor haben, bieten wir den Gästen unseren Tresor im Büro an. Gegen Gebühr, versteht sich. So, nun wollen wir aber weitermachen.“
Vera erhielt von jedem Haus Haustürschlüssel und einen Merkzettel über die Punkte, die sie beim Empfang der Gäste in jedem Fall ansprechen sollte, eine Liste über die für die jeweiligen Häuser zuständigen Putzfrauen, Gärtner und Poolservice, einen Merkzettel über Punkte, die sie am Tag der Abreise zu klären hatte, und Telefonnummern der Notärzte, Polizei, wichtiger Handwerker. Nach zwei Stunden schloss Christel mit der Frage, ob sie alles verstanden hätte. Vera nickte zögerlich.
„Ich habe mir auch ein paar Notizen gemacht. Aber sicherlich werde ich immer wieder Fragen haben.“
„Das ist klar. Ich schlage vor, den ersten Empfang der Gäste machen Sie mit Teresa zusammen. Das ist anschaulicher. Die erste Belegung ist - lassen Sie mich auf die Listen schauen - die erste Belegung ist am Samstag im Haus 10, also im westlichen Bereich. Seien Sie also dann um 9.30 Uhr hier. Dann fahren Sie mit Teresa zum Haus 10.“
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