„Später vielleicht“, sagte Vera, der die Charmeoffensive des Athleten zu weit ging. „Ich muss noch weitere Häuser besuchen. Wir werden uns ohnehin in regelmäßigen Abständen sehen.“
„Dann darf ich Sie aber zur Tür begleiten“, beharrte Reiner und ging mit Vera zur Empfangshalle.
Als er die Haustür öffnete, schien ihm noch etwas einzufallen. Denn er hielt Vera an der Schulter fest.
„Bevor Sie gehen, hätte ich noch eine Frage. Christel hat, glaube ich, einmal erwähnt, dass es im Büro einen sicheren Tresor gibt, den auch die Gäste gegen eine kleine Gebühr benutzen dürfen. Stimmt das?“
Vera wurde verlegen. Denn sie wusste nichts von einem Tresor. So weit war die Einarbeitung noch nicht gediehen.
„Oh, tut mir Leid. Ich kann Ihnen die Frage nicht beantworten. Mein offizieller Anstellungstermin ist erst am 1. Mai, so dass ich noch nicht voll eingearbeitet wurde. Herr Müller, ich werde mich erkundigen und Sie dann benachrichtigen. Ist das in Ordnung?“, fragte Vera, ein wenig zaghaft.
„Das ist vollkommen in Ordnung. Eilt auch nicht. Ich dachte nur, es wäre gut, den Schmuck meiner Frau bei Ihnen zu deponieren, wenn wir einmal länger weg sind. Wenn Sie mir das nächste Mal Bescheid sagen, reicht das vollkommen. Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag und natürlich viel Spaß. Aber wenn alle so nett sind wie ich, nicht wahr, werden Sie nur Freude haben.“
Vera bekam zum Abschied noch zwei Küsschen auf die Wange und ging zu ihrem Auto.
Bei den anderen Häusern in Rocha Brava hielt sie nur kurz an, ohne auszusteigen. Diese erste Begegnung mit Gästen reichte ihr. Schließlich war sie noch nicht im Dienst und musste noch kein geschäftsmäßig freundliches Gespräch mit den Gästen führen. Die Freundlichkeit und das Aparte ihrer Person konnte sie getrost noch ein wenig zurückhalten. So nett dieser Müller auch anzuschauen war, vielleicht auch war, seine plumpe Anmache war ihr zuwider.
Sie fuhr durch die restlichen Straßen der Siedlung und stellte fest, dass für Abwechslung gesorgt war. Tennisplätze. Swimmingpool, ja sogar ein Restaurant. Die Gäste brauchten das Areal im Urlaub nicht zu verlassen, wenn sie Unterhaltung suchten und kein Interesse an der Umgebung hatten.
Am Ausgang von Rocha Brava gab es ein kleines Café. Vera hielt an, um sich bei einem Milchkaffee die Listen noch einmal anzuschauen. Ab Mai waren alle Häuser belegt, so dass sie am 1. Mai mit einem turbulenten Anreisetag rechnen konnte. Die Müllers in Rocha Brava waren schon da und blieben noch. Um die brauchte sie sich also nicht zu kümmern. Dann gab es einen Wechsel im Haus 3, und Haus 5 wurde erstmalig belegt. Im Algarve Clube Atlantico war keine Anreise, sondern erst eine Woche darauf. Sie hatte also zwei Anreisen in Rocha Brava. Im westlichen Bereich war es ähnlich. Haus 2 und 4 waren belegt, Haus 6 bekam eine Neubelegung, ebenso die Häuser 8 und 10. Insgesamt hatte Vera also fünf Anreisen am Samstag zu bewältigen. Das würde sie schon schaffen, versicherte Vera sich, als ihr Telefon klingelte. Sie suchte das Telefon in ihrer Handtasche und wunderte sich, dass es überhaupt klingelte. Wie konnte jemand ihre neue Nummer wissen?
„Van Berg.“
„Vera. Hier ist Robert. Störe ich?“
„Robert, woher haben Sie die Nummer. Die ist noch so frisch, dass ich sie kaum kenne“, antwortete Vera erstaunt.
„Von Teresa. Ich habe Sie gestern vermisst. Wir waren doch an der Steilküste verabredet“, sagte Robert.
„Tut mir Leid. Ich war in Portimâo wegen der Handynummer. Da habe ich die Zeit vergessen, und schnell war es Abend. Sind Sie mir böse?“
„Ich kann Ihnen doch nicht böse sein, weil Sie mich sitzen lassen haben. Das ist immer noch Ihre Entscheidung.“
„Es war nicht meine bewusste Entscheidung, Robert. Ich hab es einfach vergessen.“
Vera hatte den Eindruck, dass Robert wirklich enttäuscht war. Darum ergänzte sie:
„Sagen Sie, wie kann ich es wieder gut machen?“
„Das hört sich doch schon viel besser an“, sagte er und lachte.
Na, bei dem kann man aber schnell die Laune verbessern, dachte Vera. In ihrer Ehe hatten Missstimmungen immer länger angedauert. Insbesondere das lange Schweigen fiel ihr wieder ein. Beim Telefonieren hatte ihr Mann auch des öfteren den Telefonhörer aufgeknallt, wenn ihm Veras Meinung nicht behagte.
„Schön, dass Sie anrufen. Also, was kann ich für Sie tun?“, fragte Vera aufmunternd.
„Ihnen scheint es ja gut zu gehen. Teresa sagte mir, dass Sie sich gerade die Häuser ansehen. Das scheint vergnüglich zu sein.“
„Zumindest ist es interessant. Man kann extravagante Menschen kennen lernen. Gerade eben zum Beispiel war ich in einem Haus, das schon belegt war. Sie glauben gar nicht.....“.
Vera unterbrach ihren Redeschwall. Sie erinnerte sich, dass sie schon einmal zur Diskretion ermahnt worden war.
„Was glaube ich nicht, Vera?“
„Ach, gar nichts. War nicht so wichtig. Sie haben mir immer noch nicht gesagt, wie ich mein Versäumnis wieder gut machen kann. Oder muss ich nicht sühnen?“.
Vera versuchte, das Gespräch von ihrer Arbeit wegzulenken.
„Ich hätte da eine Idee“, sagte Robert. „Segeln Sie gerne? Wenn ja, dann möchte ich Sie gerne zu einem Segeltörn einladen.“
„Sie haben ein Segelboot? Das ist ja toll. Ich wollte mir die Steilküste immer schon gerne vom Meer aus ansehen.“
„Wie wäre es mit Morgen? Ich hole Sie ab, und wir fahren zusammen zur Marina.“
„Wo liegt Ihr Boot denn?“, fragte Vera, der es alles ein wenig zu schnell ging.
„In der neuen Marina von Portimâo. Na, wie ist es? Morgen um 10 Uhr?“
„Morgen schon. Ich weiß nicht, was Christel und Teresa mit mir planen.“
„Das wird schon klar gehen. Ich werde ein gutes Wort für Sie einlegen. Ich muss ein wenig zur Eile drängen, weil ich nicht weiß, wie lange ich das Boot zur Verfügung habe. Ein Bekannter von mir hat sich angekündigt. Er will auf dem Boot übernachten. Und ich habe dummerweise zugesagt. Also morgen um 10 Uhr?“
„Na, gut. Morgen um 10. Ich erwarte Sie. Wissen Sie überhaupt, wo ich wohne?“
Natürlich hatte er keine Adresse. Sich zu verabreden, aber den Treffpunkt nicht zu kennen! Das wäre Torsten van Berg nicht passiert dachte Vera, als sie das Telefonat beendete. Die beiden Männer waren sehr verschieden. Während Torsten der Inbegriff von Disziplin, Genauigkeit, Fleiß und Pünktlichkeit war, lebte Robert in den Tag hinein. Er musste eine große Erbschaft gemacht haben, wenn er sich auch noch ein Segelboot leisten konnte. Sie versuchte, Roberts Alter zu schätzen. Er sah jünger aus als sie. Wahrscheinlich war er Mitte vierzig. Torsten hingegen war ein paar Jahre älter als sie.
Auf dem Weg zum Algarve Clube Atlantico wurde die Bebauung immer spärlicher. Das Meer rückte näher, und man fuhr durch das derbe, aber karge Grün der Steilküstenlandschaft. Links wies ein Fliesenbild zum Algarve Clube Atlantico, und Vera bog ein.
Haus 7 und 9 befanden sich in dieser Urbanisation. Vera fuhr langsam durch die Siedlung. Immer wieder musste sie mühsam wenden, weil sie sich in einer Sackgasse befand. Die Wendehammer waren viel zu klein. Die Sackgassen sorgten sicherlich für eine ruhige Siedlung, aber Ortsunkundige verwirrten sie. Vor dem Haus 7 hielt Vera an und stieg aus. Es war bewohnt. Laut Liste machte hier eine vierköpfige deutsche Familie Urlaub. Vom Bürgersteig aus schaute sich Vera die Seiten des Hauses an. Es war auch ein großes Haus, und der Garten war überladen grün.
„Mami! Der Dieb ist wieder da!“
Eine schrille Kinderstimme war aus dem Garten zu hören. Vera schaute sich erschreckt um. Welcher Dieb?
„Guten Tag. Suchen Sie etwas?“
Eine Frau mit einem kleinen Mädchen an der Hand, das nur zögerlich folgte, kam auf Vera zu.
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