„Ich bin sicher, dass du niemanden um Erlaubnis fragen musst, wenn du dich mit einer Frau unterhalten möchtest“, antwortete sie.
„Das ist Nico“, mischte Felix sich ein, um weitere Peinlichkeiten zu vermeiden. „Tobias` Cousin. Und jetzt verschwinde!“
„Wie kommt es, dass ich dich noch nie gesehen habe?“, ignorierte Larissa Felix weiterhin und zog ihre ausgestreckte Hand zurück.
„Ich studiere nicht mehr“, entgegnete er, als würde das alles erklären. Sein Blick fiel auf Mareike. „Und wer bist du?“
„Ich?“ Erstaunt blickte Mareike ihn an. Sie war es nicht gewohnt, neben Larissa überhaupt aufzufallen. „Ich bin Mareike, Larissas Freundin.“
Nico reichte ihr die Hand und sagte: „Freut mich, euch beide kennenzulernen.“
Larissa schnaubte. „Meine Hand wolltest du nicht.“
Nico wandte sich wieder Larissa zu. „Mareike hat Felix nicht abserviert, soweit ich weiß.“
„Ich verstehe“, entgegnete Larissa und seufzte. „Männerloyalität. Felix hat nicht zu mir gepasst“, erklärte sie. „Er war wie ein Hund, der alles getan hat, was ich von ihm wollte. So etwas langweilt eine Frau schnell.“
„Ganz zufällig bin ich anwesend“, empörte sich Felix.
„Ein Mann muss mich fordern“, redete sie weiter, als hätte Felix nichts gesagt. „Schließlich bekommt er auch was dafür.“
„Was bekommt er denn dafür?“, fragte Nico nach.
Verständnislos sah Larissa ihn an. „Ist das nicht offensichtlich? Mich natürlich.“
„Ach so.“ Nicos Augen funkelten sie amüsiert an. „Und das ist die ganze Mühe wert?“
Wieder warf sie ihm einen verständnislosen Blick zu. „Selbstverständlich. Oder bist du blind?“
„Im Moment bin ich hungrig. Kommst du mit, Felix?“
Mit einem breiten Grinsen im Gesicht ging Felix an Larissa vorbei und folgte Nico.
Larissa starrte ihnen sprachlos hinterher. „Was war das denn?“ Sie blickte Mareike fragend an.
„Das war ein umwerfender junger Mann, der dich für ein Stück gegrilltes Fleisch hat stehen lassen.“
Larissa warf ihrer Freundin einen ärgerlichen Seitenblick zu. „So zusammengefasst klingt das schrecklich. Aber er wird schon wiederkommen. Das tun sie schließlich alle.“
„Dein Ego möchte ich haben“, seufzte Mareike.
„Und?“, hakte Felix neugierig nach. „Wie findest du sie?“
Nico lud sich ein Steak auf den Teller und schlenderte zu den Salaten. „Sie ist bildhübsch.“
Als sie vor ihm gestanden hatte, waren ihm als erstes ihre Augen aufgefallen. Meergrün. Ihr Lächeln war umwerfend. Ihr gesamtes Auftreten strahlte Selbstsicherheit aus. Und die pure Arroganz.
Felix verdrehte die Augen. „Erzähl mir was Neues.“
Nico schwieg einen Moment. Dann blickte er Felix an und sagte: „Lass uns etwas essen.“
„Soll das die Antwort auf meine Frage sein?“
„Welche Frage?“
„Wirst du sie verführen oder nicht?“
„Wir werden sehen.“ Nico nahm seinen Teller und ließ Felix stehen.
Larissa war in ein Gespräch mit Jakob, einem Freund ihres Bruders, vertieft, als plötzlich ein Glas Sekt in ihrem Gesichtsfeld erschien.
„Trink etwas mit mir, Lara“, vernahm sie eine dunkle Stimme direkt neben sich. Sie wandte sich um, schob ihre Sonnenbrille ein Stück nach unten und blickte Nico über den Rand hinweg an. „Mein Name ist Larissa. Und ich unterhalte mich gerade.“
Nico zuckte mit den Schultern. „Dann eben nicht.“
Zum zweiten Mal an diesem Tag sah es aus, als würde er sie einfach stehen zu lassen. Bevor sie darüber nachdenken konnte, legte Larissa ihre Hand auf seinen Arm. „Aber ich trinke gerne Sekt.“
Nico wandte sich ihr wieder zu und reichte ihr das Glas erneut, das sie diesmal ergriff. Sie warf ihm einen verführerischen Blick zu, während sie langsam ihre Sonnenbrille wieder nach oben schon. „Ich hatte gehofft, dass du wiederkommst.“
Nico betrachtete sie schweigend. Er war gut einen Kopf größer als sie. Der intensive Blick, mit dem er sie musterte, machte sie unsicher. Und das mochte sie gar nicht.
„Was starrst du mich so an? Habe ich einen Fleck im Gesicht?“
„Du bist wunderschön, Lara.“
Larissa warf den Kopf in den Nacken und lachte, um ihre Unsicherheit zu verbergen. Nico machte sie eindeutig nervöser als andere Männer das je getan hatten.
„Das habe ich schon öfter gehört. Und nochmal, mein Name ist Larissa.“
„Es gibt Dinge, die kann eine Frau nicht oft genug hören“, ignorierte er ihre Bemerkung.
„Das stimmt.“ Ihre Stimme klang wie ein Schnurren.
Nico verzog die Lippen zu einem angedeuteten Lächeln. „Ich hoffe, wir sehen uns wieder.“ Er machte Anstalten, zu gehen.
„Wo willst du denn hin? Die Party hat doch gerade erst angefangen.“
„Das stimmt. Aber ich muss morgen früh aufstehen.“
„Warum das? Es ist Sonntag.“
„Ich muss arbeiten.“
„Was arbeitest du denn?“ Sie runzelte die Stirn. Da lernte sie endlich mal einen Mann kennen, der kein Student mehr war, und dann hatte er einen Job, bei dem er so wenig Geld verdiente, dass er am Wochenende einen weiteren Job ausüben musste. Verdammt! Irgendwie hatte sie einfach kein Glück mit den Männern.
Er schüttelte den Kopf. „Ich möchte dich nicht langweilen. Genieß die Party, Lara!“ Damit ging er endgültig.
„Mein Name ist Larissa!“, rief sie ihm ärgerlich hinterher. „Ignorant“, murmelte sie.
„Wer war das denn?“ Ihr Bruder trat neben sie und blickte Nico hinterher.
„Jemand, der anscheinend nicht versteht, was ich sage!“
„Hört, hört. Ein Mann, der nicht an den Lippen meiner Schwester hängt.“
„Und sie bereits das zweite Mal hat stehen lassen“, mischte sich Mareike ein, die hinter ihr auftauchte.
„Wer hat euch denn gefragt?“ Larissa ließ die zwei stehen.
„Schön, dass du noch gekommen bist“, sagte Mareike an Samuel gewandt.
Er legte den Arm um ihre Schulter und zog sie kameradschaftlich an sich. „Klar. Ich liebe Studentenpartys.“
Mareike, deren Herz so laut schlug, das sie sich sicher war, er würde es hören, gab sich betont gelassen. „Im Gegensatz zu Larissa. Sie wäre lieber auf einer Dinner Party.“
„So kennen wir sie.“
„Wie können Geschwister nur so unterschiedlich sein?“
Samuel lachte auf. „Eigentlich ist Larissa gar nicht so, wie sie sich in der Öffentlichkeit gibt. Da wir beide das genau wissen, kann sie froh sein, uns zu haben.“ Er gab ihr einen Kuss auf die Wange. „Und jetzt folge mir zum Buffet, holde Maid. Ich verhungere gerade.“
„Guten Morgen, Hübscher“, begrüßte Paula Nico als er das Büro betrat. „Ich hoffe, du hattest einen schönen Samstag. Der Sonntag wird nämlich anstrengend. Hier ist die Hölle los.“
Nico zog die etwa sechzigjährige Frau in eine sanfte Umarmung und entgegnete: „Mit einer Tasse von deinem extra für mich aufgebrühten Kaffee kann mir gar nichts passieren.“
„Charmeur“, murmelte Paula und boxte ihm spielerisch gegen den Arm, bevor sie ihm den bereits eingeschenkten Kaffee reichte.
Nico strich sich mit der freien Hand durch die Haare. Er war zu früh dran, hatte nicht wirklich gut geschlafen. Immer wieder sah er grüne Augen und rote Haare vor sich. Irgendwann hatte er dann aufgegeben und war zum Confianza gegangen. Das Confianza war eine Auffangstation für Straßenkids. Obwohl niemand vom Personal es je als Auffangstation bezeichnet hätte. Es war eine dreistöckige Villa mitten in Wiesbaden, die die Streetworker von einem unbekannten Gönner geerbt hatten. Im Keller waren die Büros fürs Personal. Im Erdgeschoss hatte man den Speiseraum, die Küche, ein Spielzimmer mit Billardtisch, Dartscheibe, Flipperautomaten und Tischkicker und insgesamt vier Toiletten mit teilweise Duschen eingerichtet. Die anderen drei Etagen bestanden aus Einzel oder Doppelzimmer, in denen die Kids Zuflucht finden konnten. Den Dachboden hatten sie ausgebaut und mit Matratzen ausgelegt. Insgesamt konnten sie fünfzig, wenn sie zusammenrückten auch sechzig Jugendliche aufnehmen. Das reichte zwar bei weitem nicht, war aber immerhin ein Anfang. Die einzige Regel: keine Waffen, keine harten Drogen. Alkohol in Maßen war erlaubt. Man konnte nicht erwarten, dass die Jugendlichen auf alles verzichteten, nur, um einen Schlafplatz zu haben. Da waren sie realistisch. Aber bei Kokain, Heroin und Schlimmerem hörte der Spaß auf.
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