Sradoganer können nur schwer allein sein. Partner, auch mehrere, waren für sie ein absolutes Muss. Der Redeschwall würde so in einem fort weitergehen, wenn Knud nicht erwidert hätte:
„Bitte Xsorchegar, nicht so schnell und alles auf einmal. Ich bin vor ungefähr einem halben Tag nach einer für terranische Verhältnisse extrem anstrengenden und gefährlichen Flucht zurückgekommen und - ja, ich habe jemanden gefunden.”
„Wo denn das? Auf Terra?” Xsorchegar starrte ihn aus den gelben, raubkatzenartigen Augen intensiv an.
„Ja, ich habe mein Glück gefunden.”
„Du weißt ja hoffentlich, dass so eine neue Bekanntschaft vom Föderationsrat nicht gern gesehen wird. Bewohner sogenannter primitiver Welten vertragen häufig den Kulturschock nicht und können irreparable psychische Schäden erleiden. Pass ja gut auf ihn oder sie...”
„Ihn”, verbesserte Knud Xsochegar,
„...auf”, beendete der Sradogoner seinen Satz.
„Ich erinnere mich: Du stehst ja auf Männer.”
„Und um deine dritte Frage zu beantworten: Ja”, fuhr Knud fort, „ich begebe mich jetzt ebenfalls zu dem von mir anberaumten Treffen der Führungsoffiziere. Lass uns doch zusammen dorthin weitergehen.”
„Und was ist mit deinem Liebsten?”
„Der schläft und lernt gerade unsere Sprache. Aber keine Sorge, ich habe dem Computer einen Teleportationsbefehl erteilt, damit ich, wenn er wach wird, sofort an seiner Seite bin. Deshalb betrachte es nicht als Unhöflichkeit, wenn ich dann plötzlich aus der Mitte der Tagung verschwinde.”
„Sehr gute Planung von dir, wie immer. Ich hoffe, er erholt sich noch eine Weile, damit du uns allen von den Erlebnissen auf dieser seltsam zerrissenen Welt berichten kannst. Denn für sämtliche anderen Rassen, die im Regelfall über eine planetenweite Zentralregierung verfügen, ist diese extreme politische Zersplitterung überhaupt nicht nachvollziehbar.”
Der Gang, den sie entlangschritten, endete vor einer Lifttür.
„Brückenkonferenzraum”, forderte Knud.
Die Tür öffnete sich und gab den Blick auf die lavabedeckte, gelb glühende Oberfläche eines jungfräulichen Planeten frei. In der Ferne war eine grelle, in weißlich-bläulichem Licht strahlende Explosion hinter einer kilometerhohen Feuerwand auszumachen. Knud, der von dieser Aufnahme fasziniert war, merkte nicht, dass sich augenblicklich die Kabine mit hoher Geschwindigkeit in Bewegung setzte. Kaum 30 Sekunden später stoppte der Lift.
Die Kabinentür öffnete sich zu einem eindrucksvollen runden Saal, der einen Durchmesser von etwa 75 Metern hatte. Dessen Mitte wurde durch einen kolossalen, silbermetallisch schimmernden, hochpolierten, runden Tisch beherrscht. Suspensorensessel standen in gleichmäßigen Abständen um ihn herum. Im Umkreis ermöglichten in regelmäßigen Abständen symmetrisch angeordnete, 6 Meter hohe und 10 Meter breite, imposante Panoramascheiben, die durch zwei Meter breite Stützstreben voneinander getrennt wurden, einen faszinierenden Rundumblick auf den sternenübersäten, tiefschwarzen Weltraum. Der Raum über ihnen, der die eigentliche Kommandobrücke beherbergte, wurde durch eine dodekagonale Säulenanordnung, die den Raum in gleichförmige Segmente unterteilte, abgestützt. In diesen ungefähr drei Meter mächtigen Gebilden befanden sich Aufzüge, Versorgungsleitungen für Luft, Wasser und Energie, Fluchtwege für den Notfall und Hygienefazilitäten. Im Inneren des Säulenkranzes befand sich der eigentliche Sitzungsbereich, um den es sich bereits 20 Offiziere bequem gemacht hatten und auf den Beginn der Konferenz warteten.
Knud begrüßte jeden namentlich und setzte sich dann neben Xsochegar. In diesem Moment betraten der Admiral und der erste Offizier den Saal, nickten den Anwesenden höflich zu und ließen sich gegenüber Knud in zwei Sesseln nieder.
„Ich nehme an”, so begann letzterer unvermittelt, „dass jeder der hier Anwesenden darüber informiert wurde, dass ich vor nunmehr 11 Stunden von Sol III zurückgekehrt bin. Zunächst bitte ich um Entschuldigung, wenn ich während des nun folgenden Vortrages fortteleportiert werden sollte. Aber ich habe jemanden auf dieser Welt in den letzten Monaten unserer Mission kennen gelernt und mit an Bord dieses Schiffes gebracht, um den ich mich kümmern muss.”
Ein allgemeines erstauntes Gemurmel war zu vernehmen.
„Ich kenne die Risiken für Bewohner primitiver Planeten, wenn sie in unsere Zivilisation mitgenommen werden. Aber ich stehe zu meiner Entscheidung. Wenn es schief gehen sollte, bin ich bereit, mich für mein Handeln vor dem Föderationsrat zu rechtfertigen.”
„Sire, wir kennen Euch bereits seit vielen Jahren so gut, dass wir davon ausgehen, dass Ihr in dieser Angelegenheit aus ehrenwerten Motiven gehandelt habt”, entgegnete Youness. „Wir denken, dass Ihr mit Eurem künftigen Lebenspartner verantwortlich umgehen und ihn behutsam und rücksichtsvoll auf das neue Leben vorbereiten werdet. Aber dies ist letztendlich auch Eure Privatsache.”
Nach einer Pause, wobei er die zustimmenden Blicke der anderen Teilnehmer registrierte, fuhr er fort:
„Bitte, berichten Sie uns nun über die eigentliche Mission, die Ihr und alle anderen Kundschafter auf diesem Planeten durchgeführt habt und die Eurer Leitung bis jetzt noch untersteht.”
„Sie werden sich vielleicht gefragt haben, welcher historische Anlass in der Föderationsgeschichte dazu geführt hat, diese gefahrvolle Mission auf Terra zu starten. Es hat sich zudem möglicherweise die Meinung festgesetzt, dass diese Welt es nicht wert sei, näher untersucht zu werden, obwohl sie sich möglicherweise an der Schwelle der kompletten Selbstauslöschung befindet. Aber diesem Gedankengang kann ich angesichts der aktuellen Entwicklungen absolut nicht zustimmen.”
Nach diesen Worten machte Knud erst einmal eine kurze Pause, als müsste er seine Gedanken erneut ordnen. Die Konferenzteilnehmer warfen sich irritierte Blicke zu oder zeigten ihre Überraschung durch die für ihre Spezies typische Körpersprache.
Knud fuhr aufgewühlt fort: „Der Grund für unser Engagement liegt in einem Ereignis, das etwa 80 galaktische Standardjahre zurückliegt. Die Föderation war zu diesem Zeitpunkt durch die so genannte Core-Explosion an ihre wirtschaftlichen, politischen und logistischen Kapazitätsgrenzen gelangt. Die Katastrophe selbst beruhte auf einer gravitationsbedingten Instabilität einiger Tausend Roter Riesensterne im Zentrum der Milchstraße. Das zentrale, etwa 10 Millionen Sonnenmassen umfassende Schwarze Loch hatte durch seine ungeheure Schwerkraft einige Hundert dieser stellaren Objekte auf immer engere Spiralbahnen gezwungen. Dabei kam es zu Kollisionen, wobei die für Supernovaexplosionen und Gammabursts erforderlich kritische Masse gleich um ein Mehrfaches überschritten wurde.
Als Resultat dieses verheerenden Ereignisses wurde eine dermaßen heftige Schockfront aufgebaut, dass viele weitere Sterne nahe dem Milchstraßenzentrum ebenfalls instabil wurden und in Kataklysmen detonierten. Zusätzlich erzeugte das Schwarze Loch aus der in den Ereignishorizont hereinstürzenden Materie zwei Jets, die von seinen magnetischen Polen aus mit mehreren 10 000 Kilometern pro Sekunde ins umgebende All schossen und eine weitere Kettenreaktion explodierender Sterne erzeugte. Dieses Ereignis drohte außerdem tausende von Zivilisationen, die sich im Bereich von ungefähr 250 Lichtjahren um das Zentrum befanden, im Laufe der Zeit zu vernichten. Als man das Ausmaß dieser Katastrophe erkannte, wurden alle verfügbaren politischen und gesellschaftlichen Kräfte der Föderation in der damaligen Zeit darauf gebündelt, die rund 4 000 verschiedenen Rassen, denen insgesamt 50 Billionen Lebewesen angehörten, in den folgenden sechs Jahren aus der Kernregion der Milchstraße zu retten.
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