„Mir bleibt offensichtlich gar nichts anderes übrig.”
„Los, jetzt erstmal rein mit dir. Danach besprechen wir alles Weitere. In der Zwischenzeit hole ich dir deine Kleidung.”
Seine Gedanken rasten, als er in der Zelle stand.
,Was soll das alles?’
,Wo bin ich hier eigentlich?’
-
,Auf jeden Fall nicht in einem arabischen oder amerikanischen Gefängnis!’
So viel stand für ihn schon mal definitiv fest. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass irgendein Staat so einen Luxus für Straftäter aufwenden würde.
Er spürte sofort die belebende und erfrischende Wirkung der feinzerstäubten Flüssigkeit. Ein leichtes Kribbeln durchfuhr ihn, als der Ultraschall die oberste Hautschicht in intensive Vibrationen versetzte.
Es war wirklich erstaunlich: Kein Wassertropfen benetzte die Wände, alle Flüssigkeit floss dem in der Mitte des Bodens eingelassenen Siphon zu. Als er mit den Fingern die Wände entlangfuhr, merkte er, dass die Hände ohne Widerstand die Oberfläche entlangglitten - ein schon sehr eigenartiges und verwirrendes Gefühl. Schließlich schreckte ihn der Computer aus seinen Gedanken auf.
„Ihre Duschzeit ist beendet. Möchten Sie noch eine Duftnote erhalten?”, meldete sich die künstliche Stimme, wobei die Tonlage so gewählt war, dass man nicht unterscheiden konnte, ob ein Mann oder eine Frau sprach.
„Limone, bitte.”
Ein hauchfeiner Nebel umhüllte ihn mit einem dezenten, wunderbaren Wohlgeruch.
Die Tür öffnete sich. Seine Mutter reichte ihm einen sorgfältig gefalteten und angenehm riechenden Kleidungsstapel. Rasch zog er sich an und streifte sich eine Jeanshose und ein kariertes Hemd über; Kleidung, die er auch auf der Erde sehr gern getragen hatte.
„Komm, wir schauen jetzt erst einmal nach deinem Vater.”
Sie gingen den Flur, den sie vorhin bereits betreten hatten, etwa 20 Meter weiter nach rechts hinab. Auch hier fehlte das übliche, sterile Weiß der Gänge irdischer Krankenhäuser: Er erblickte fremdartige Lebensformen, die in Form einer irdischen Diashow überlebensgroß an den Wänden projiziert wurden. Diese verhielten sich auch hier wie überdimensionale, irdische TFT-Monitore, nur dass sie eine Auflösung besaßen, die weit besser war als die des menschlichen Auges. Die Darstellungen wirkten so photorealistisch, dass er überlegte, ob dies reale Aufnahmen waren. Ein unsicheres, fremdartiges Gefühl kam in Elias auf - eine Ahnung, die in letzter Konsequenz so unglaublich fantastisch war, dass er seinem Gehirn verbot, weitere Überlegungen in dieser Richtung anzustellen.
Schließlich standen sie vor einer Tür und begehrten Einlass.
„Herein”, rief eine vertraute Stimme.
Sie betraten einen lichtdurchfluteten Raum, an dessen gegenüberliegender Seite sich eine gläserne Schiebetür befand, die erneut einen Blick in undurchdringliches Grün gewährte. Rechts davor stand eine Mischung aus Tisch und Bett. Auf ihr lag sein Vater. Unter der Liegefläche waren hinter einem Touchscreen zahllose Anzeigen, Graphen und virtuelle Schalter zu erkennen, dessen Funktionen und Darstellungen ihm unbekannt waren. Beide Beine des Professors und der größte Teil seines Bauch- und Brustraums waren in einer kastenförmigen Apparatur verborgen.
Wahid war wach und drehte ihnen den Kopf zu. Seine Augen strahlten, als er seinen Sohn endlich wieder zu Gesicht bekam.
„Vater”, rief Elias aus und stürmte gerührt und freudestrahlend auf ihn zu. Er versuchte ihn zu umarmen, was jedoch nur ansatzweise gelang, da sich Wahid aufgrund der Behinderung durch die medizinischen Geräte ihm nicht weit genug zuwenden konnte.
„Nicht so stürmisch, junger Mann”, meinte er schmunzelnd, dabei sichtlich bewegt.
Minutenlang umarmten sich Vater und Sohn. Beide konnten es einfach nicht fassen, einander lebend wiederzusehen.
„Wie geht es dir?”, fragte Elias nach einer Weile nachdenklich seinen Vater. Er war, auch nach den Worten seiner Mutter, absolut davon überzeugt, dass Wahid nun für alle Zeiten an einen Rollstuhl gefesselt sein würde. Auch wenn er nicht Medizin studiert hatte, so war er sich doch dessen bewusst, dass die erlittenen lebensbedrohlichen Verletzungen Wahid für immer zu einem Krüppel gemacht haben mussten.
„Wie sieht es mit meinen Beinen und meinem restlichen Körper aus?”, wollte Wahid schließlich von Mary wissen. Ein leichtes Vibrieren in seiner Stimme verriet seiner Frau, dass er äußerst nervös war. Elias sah Mary sehr verunsichert, ja sogar verängstigt an. Fatimas Hand zitterte, während sie auf Marys Reaktion wartete.
Die so Angesprochene machte sich an der Steuerungskonsole zu schaffen, führte sogar mehrmals Gespräche, die jedoch im Flüsterton geführt wurden, so dass sie keine neuen Erkenntnisse daraus gewinnen konnten.
Endlich wandte sich Mary ihnen zu. Ihre Körpersprache verströmte Beruhigung.
„Sie werden wieder vollständig genesen”, antwortete diese. „Sie brauchen keine Angst mehr zu haben.”
„Das kann nicht sein. Bitte sagen Sie uns doch die Wahrheit!”, warf Fatima ungläubig ein und schüttelte energisch den Kopf. „Ich habe mich lange genug mit medizinischen Grundlagen beschäftigt und weiß daher, dass sein rechtes Bein amputiert werden muss - und das andere, das mit Granatsplittern durchsiebt war, vermutlich auch. Und ob er das ursprüngliche Atemvolumen seiner Lunge wieder zurückerhält, erscheint mir doch mehr als fraglich.”
Ehe Mary darauf etwas erwidern konnte, meldete sich die sanfte Computerstimme zu Wort:
„Der Patient Wahid Bribire ist zu 100 Prozent wiederhergestellt. Er darf aufstehen und seine regenerierten Extremitäten normal belasten. Sportliche Aktivitäten und schwere Arbeit bitte erst frühestens in drei Wochen aufnehmen, bis sich das neue Lungengewebe hinreichend gekräftigt hat. Und mindestens zehn Stunden pro Tag zur weiteren körperlichen Rekonvaleszenz schlafen.”
Mit diesen Worten öffnete sich der Regenerationsmechanismus und wurde anschließend langsam in den Unterbau der Liege eingefahren. Sie blickten ungläubig auf die beiden zartrosafarbenen, unversehrten und narbenfreien Gliedmaßen, die das Gerät freigegeben hatte.
Seine Frau untersuchte zudem seinen Oberkörper. Aber sie fand nicht die geringsten Hinweise auf die erlittene Schussverletzung.
„Das... das kann doch alles nicht wahr sein!”, entfuhr es Fatima. „Einfach... einfach absolut unmöglich. Seine Beine, sein ganzer Körper, alles war doch vollkommen ruiniert! Mary, was geht hier vor sich?”
„Ich merke schon aus all euren Fragen, dass ihr vor Neugierde platzt. Ich könnte diese zwar beantworten, aber Jemand hat mich gebeten, nur das Allernotwendigste zu verraten. Und ich gedenke, mich daran zu halten.”
„Aber kannst du uns denn nicht den kleinsten Hinweis geben?”, begehrte Fatima erneut zu wissen.
„Nein.”
Mary schüttelte energisch den Kopf und sagte dann zu Fatima:
„Bereite deinen Mann auf ein längeres, ausführliches Gespräch vor. Wenn ihr euch beeilt, werdet ihr in ungefähr einer halben Stunde alles erfahren, was ihr wissen wollt und obendrein - so hoffe ich zumindest - noch zu einer köstlichen Mahlzeit eingeladen.”
Der Professor richtete sich auf, setzte behutsam seine Füße auf den Boden. Belastete sie... und ging schließlich mit wachsendem Vertrauen auf die Stabilität seiner wiederhergestellten Extremitäten mit seiner Frau vorsichtig, dann immer rascher den Gang entlang, der aus dem Krankenzimmer führte.
Er konnte es einfach nicht fassen.
Mary und Elias warteten auf dem Gang. Eine Tür öffnete sich: Der Professor war endlich angekleidet: Sandfarbenes Hemd und olivgrüner Freizeithose mit aufgesetzten Taschen, damit er seinen ganzen Krimskrams, den er immer mit sich herumschleppte, (Stifte, Zettel, oder wichtige Artikel aus wissenschaftlichen Zeitschriften) stets griffbereit hatte. Auch er brannte vor Wissbegier. Seine Frau stand überglücklich neben ihm, tief gerührt ob der magischen Heilung ihres Mannes.
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