Bei der Passage des Schotts durchquerte ihr eigenes Zubringerschiff einen bläulichen Lichtvorhang. Dieser diente zur Dekontamination der Außenhülle der einfliegenden Flugobjekte und verhinderte zugleich das Ausströmen der Luft aus dem Hangar in die Leere des offenen Weltraums. Auf dem Boden der Halle schienen Menschen ziellos hin und her zu eilen, die von Transportmaschinen und sogar Robotern unterstützt wurden.
Mouads innere Zerrissenheit verschlimmerte sich. Er war sich absolut sicher, in einem Realität gewordenen Albtraum gefangen und dem Ende seiner eigenen Existenz hilflos ausgeliefert zu sein. Schockstarr und unfähig, einen klaren Gedanken zu fassen, blickte er mit weit aufgerissenen Augen minutenlang auf diese Szenerie. Seine Gedanken rasten. Wie in einem Kaleidoskop flirrten die Erinnerungen von dem, was er in der letzten Zeit durchgemacht hatte, mit irrsinniger Geschwindigkeit an seinem inneren Beobachter vorbei. Einige dieser Bruchstücke schienen zu passen und mehrere von Knuds seltsamen Verhaltensweisen zu erklären. Andere wiederum verursachten nur noch ein größeres Chaos in seinem Gehirn.
Aber an manchen Stellen dieses gefühlsmäßigen Irrsinns flackerte dann doch noch einmal seine Logik, seine Neugierde auf. Einer der Hauptfragen lautete zum Beispiel:
,Wie ist es möglich, dass Menschen in einem so fortschrittlichen Staat lebten?’
Er wusste aus seinen astrobiologischen Büchern, dass die Chance, damit sich auf einem anderen Planeten nochmals Humanoide entwickeln könnten, wesentlich geringer war, als ein bestimmtes Atom unter allen Atomen des Kosmos zu finden.
Aber diese Erleichterung war für ihn nur von kurzer Dauer.
Schließlich führte die Flut an einstürmenden neuen Impressionen dazu, dass in ihm etwas zerbrach. Aber er war nicht mehr in der Lage, diesen eigenartige inneren Zwiespalt näher zu spezifizieren.
Erst jetzt bemerkte Knud, dass bei seinem Mann irgend etwas völlig aus dem Ruder lief. Er sah seine Anspannung, sein verzerrtes, bleiches Gesicht, seinen Angstschweiß. Er wusste aus den Erfahrungen früherer Einsätze, dass Mouad drauf und dran war, die Kontrolle über seinen eigenen Körper und Geist zu verlieren
Mouads Lippen bebten, als Knud ihn zum Ende des Flugmanövers endlich wieder anschaute.
Der Zyklop setzte sanft auf dem Hangarboden zwischen Lichtkreuzen, die als Positionsmarkierung dienten, auf.
„Willkommen an Bord der Intrepid”, sagte Knud leise, erhob sich und fasste seinen Freund zärtlich an der Hand.
„Du bist in Sicherheit, hier gibt es keinen Krieg.”
Mouad war nicht mehr im Stande auch nur noch einen Ton hervorzubringen; er wirkte inzwischen sogar völlig apathisch. Die warmen Worte seines Freundes registrierte er gar nicht - sie erreichten noch nicht einmal sein Bewusstsein.
Das Schott des Zyklopen öffnete sich. Zwei in beigefarbene Uniformen gekleidete Männer kamen mit einer Trage auf sie zu. Das Äskulapsymbol auf den Schulterklappen identifizierte sie als Schiffsärzte. Sie untersuchten Aischa kurz, hoben sie vorsichtig an und transportierten sie rasch hinaus.
Aber auch dies bekam Mouad nicht mehr mit. Knud umschlang seinen Freund, drückte ihn liebevoll an sich, küsste ihn zärtlich auf den Mund.
Aber trotz all dieser Bemühungen - Mouad war vollkommen indisponiert, als würde er die Kontrolle über seine eigene Existenz verlieren.
Knud fühlte Panik in sich aufsteigen: „Mouad, mein geliebter Mouad - tu mir das jetzt nicht an! Du darfst dich nicht aufgeben!”
Fassungslos führte Knud seinen Freund wie ein willenloses Wesen aus dem Cockpit. Vorbei an der seltsamen Ladung aus Goldbarren und Ölfässern. Eine freundliche Frauenstimme ertönte und gab einige Erklärungen. Unmittelbar danach strömte aus allen Wänden des Schiffes ein intensives blaues Leuchten auf sie ein.
„Dekontamination, wie vorhin beim Einflug in das Hangar”, versuchte Knud seinen Freund erneut anzusprechen, nochmals zu beruhigen.
Aber dieser zeigte immer noch keine Reaktion. Mouad schien sich wie in Trance zu bewegen.
Sie schritten auf die Außenluke des Zyklopen zu. Und wieder sprach die Stimme etwas für Mouad Unverständliches. Die Tür schwang auf. Gleißendes Licht der Hangarbeleuchtung empfing sie. Saubere Luft, die leicht metallisch roch, stieg ihnen in die Nase. Das betriebsame, leise Sirren von Motoren, ein babylonisches Stimmengewirr, das das Gefühl von Hektik aufkommen ließ und das Trappeln unzähliger Füße drang an ihre Ohren. Eine gigantische Halle wölbte sich über ihnen. Die Decke war in fast 500 Metern Höhe über ihnen aus wabenförmigen Segmenten aufgebaut, um die enormen Kräfte, die auf das Schiff wirkten, abzufangen.
Der überwältigende Gesamteindruck wurde noch durch die zwei Kilometer Tiefe und über einen Kilometer Breite des Raums verstärkt. Bekannte irdische Bauwerke wie der Petersdom in Rom oder die Pyramiden von Gizeh wirkten geradezu winzig im Vergleich zu diesen kolossalen Abmessungen des Hangars. Eine Unzahl von Türen, die zu Dekontaminationsräumen, Aufzügen, Werkstätten und Mannschaftsquartieren führten, bildeten den Übergang zwischen Wand und Landungsboden.
Mouad wankte benommen die Treppe hinab und blickte ungläubig zu dem gigantischen Raumschott hinüber, das sie soeben passiert hatten. Ein aerodynamisch geformtes, blau-metallisch schimmerndes Fluggerät schwebte gerade hinein, das einer Concorde nicht unähnlich war.
Es war extrem wendig. Ein leises Zischen - und die Maschine setzte im hinteren Teil des Hangars zur Landung an. Hunderte, auf diese Entfernung winzig erscheinende Figuren, stiegen aus und verschwanden in Lifttüren, die zu den Räumen des medizinischen Check-Ins führten.
Mouad probierte seinen Blick gleichzeitig in alle Richtungen zu lenken, was ihm aber auch nach mehreren Anläufen nicht gelang. Er war mit der Gesamtsituation vollkommen überfordert, nahm seine nächste Umgebung nicht einmal mehr wahr und stolperte. Knud fing ihn auf und zwang ihn sanft, nach vorn zu blicken.
Am Fuß der Treppe warteten eine Frau und ein dunkelhäutiger Mann - in dunkelblaue Militäruniformen gekleidet. Beide waren hochgewachsen und schlank. Sie hatte dunkelgrüne Augen, mit denen sie die Neuankömmlinge durchdringend musterte. Ihr Gesicht zeigte leicht asiatische Züge, hatte zudem eine gelbliche Hautfarbe. Ihre scharfgeschnittene Nase unterstrich ihren energischen, aber in keiner Weise bedrohlichen Eindruck.
„Willkommen - Sire. Wir sind froh, Euch wieder an Bord zu haben”, sprach sie in einem melodischen Singsang. Ihre Augen strahlten dabei.
Knud merkte sofort, dass sie sich sehr zusammennehmen musste, um nicht eine ironisch - spitze Bemerkung loszulassen. Knud war nämlich vor den beiden Offizieren in Unterwäsche erschienen - und Mouad steckte in der Uniform eines Kundschafters.
Die Frau sprach Mouad in französisch an, weil sie wusste, dass dies eine der Amtssprachen im Libanon ist. Aber man merkte deutlich, dass sie diese Kommunikationsform nicht besonders gut beherrschte.
„Auch an Sie Herr...?”
„Bribire, Mouad Bribire”, sprang Knud ihr bei.
„Auch an Sie ein herzliches Willkommen.”
Mouad blickte sie schweigend - sogar scheinbar emotionslos an.
Der Mann, ein älterer weißhaariger Herr mit stark afrikanischen Zügen, begrüßte die beiden freundlich, wenn auch das Französische noch schwerer verständlich war als das von Astrid.
Er hatte sehr dicke, wulstige Lippen und eine ziemlich breite Nase. Sein Gesicht war mit unzähligen Lachfältchen durchzogen. Die Haarbüschel, in typisch schwarzafrikanischer Kräusel- und Lockenform, wuchsen an vielen Stellen wirr in die Höhe. Wie ein zerstreuter Professor aus einem Schwarzweißfilm der neunzehnhundertzwanziger Jahre wirkte dieser Mann. Nur die Hautfarbe stimmte nicht.
„Das ist meine Schwester - Admiral Astrid Larssen, Kommandantin dieses Schiffes. Und dies hier ist Commander Youness Moluh, der erste Offizier,” stellte Knud Mouad die beiden vor.
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