Als Zeichen ihres Ranges trug Astrid auf der Schulter vier winzige Brillanten, der erste Offizier nur drei. Auf der Uniform war das Emblem mit den Magellanschen Wolken aufgestickt. Es war identisch mit dem Symbol, das Mouad bereits auf der Außenseite des Zyklopen identifiziert hatte.
Mouad zeigte jedoch noch immer keine Reaktion.
Auf seiner Stirn bildeten sich erneut Schweißperlen. Sein ganzer Körper rebellierte. Er versuchte vergeblich, seine Fassung zurückzuerlangen.
Astrid sprach Knud jetzt in UniKaL energisch an, der universellen Kommunikationsform in der Magellanschen Föderation.
„Führe Mouad so rasch wie möglich in dein Quartier. Lass ihn erstmal zur Ruhe kommen. Dein Freund ist noch jung - und diese Flut an neuen, ihn überwältigenden Eindrücken ist für ihn wie ein Schock - das ist nicht zu übersehen. Sollen wir Krwysnoggh, den Bordarzt informieren?”
Knud schüttelte den Kopf.
„Ich hoffe, dass er von selbst in der Lage ist, aus dieser geistigen Notsituation herauszufinden. Aber gegen eine medizinische Fernsupervision habe ich nichts einzuwenden.”
„Lass ihn auf keinen Fall für längere Zeit aus den Augen”, fügte Youness besorgt hinzu „dass er sich ja nichts antut.”
„Ich weiß”, entgegnete Knud. „Er hat seit mehreren Nächten auf seiner Flucht zu meiner Beiruter Wohnung und während unseres gemeinsamen, lebensgefährlichen Höllenritts aus dem libanesischen Hexenkessel nicht oder nur wenig geschlafen. Mouad hat apokalyptische Szenen miterleben müssen, die auch ich bis jetzt nur bruchstückhaft in Erfahrung bringen konnte. Schon bei dem ersten Teil seiner Flucht ist er lebensgefährlich verletzt worden. Nur der Zellaktivator, den ich ihm in meiner, bereits unter Beschuss stehenden Wohnung, injiziert hatte, rettete ihm das Leben. Und bei einem Unfall vor wenigen Stunden hat er viel Blut verloren.”
„Wenn du Hilfe brauchst, Knud, so zögere nicht, mich zu rufen. Im Moment hält sich nämlich mein Arbeitspensum in Grenzen. Ich komme in zwei Stunden noch einmal bei euch vorbei und werde nachsehen, ob es Mouad besser geht.”
„Vielen Dank, Astrid.” Die Erleichterung über ihr Entgegenkommen war Knud deutlich anzumerken. „Dieses fürsorgliche Angebot kann ich jetzt gut gebrauchen, denn auch ich bin inzwischen so ziemlich am Ende meiner Kräfte.”
„Und, denke daran,” fuhr Astrid mitfühlend fort, „wenn der Computer es gutheißt, sorge dafür, dass Mouad im Schlaf UniKaL lernt. So aufgeweckt und interessiert, wie er nach deinen Schilderungen seines Wesens zu sein scheint, dürfte es ihm nicht schwer fallen, rasch neue Kontakte zu Föderationisten aufzubauen. Ich bringe bei meinem Kurzbesuch auch noch einen Neuronenaktivator mit.”
„Gut”, meinte Knud, „auch wenn ich mich zu diesem Zeitpunkt bereits zur Nachtruhe zurückgezogen haben sollte, zögere nicht, ihm den Aktivator aufzusetzen.”
Astrid nickte.
„Ich selbst werde auf Grund meiner Erschöpfung vermutlich erst in ungefähr 24 Stunden in der Lage sein, Sie beide über die sehr brenzlige politische Lage im Nahen Osten zu informieren. Einen Termin für ein Meeting der Führungsoffiziere gebe ich später bekannt”, erwiderte Knud auf die fragende non-verbale Kommunikation der beiden Offiziere.
Ein Schluchzen ertönte neben ihm. Mouad stöhnte und sank fast besinnungslos in sich zusammen. Die Trauer um den Verlust seiner Eltern, die seelische und körperliche Überanstrengung während seiner zweifachen Flucht, die Auswirkungen der erlebten Todesangst, der Kulturschock über die neue Zivilisation: All dies konnte er nicht mehr bewältigen.
Knud trug ihn mit raschen Schritten aus dem Hangar hinaus.
Astrid stutzte, überlegte einen kurzen Moment und holte Knud wenige Meter vor der Schleuse ein, die zum schiffsweiten Transportsystem führte. Sie holte tief Luft:
„Ich habe noch eine, hoffentlich diesmal für dich positive Nachricht. Mary hat auf deinen Wunsch hin, so berichtete sie mir vor geraumer Zeit, einen Professor Bribire, seine Frau Fatima und einen Jungen mit dem Namen Elias hierher gebracht. Der Professor ist sehr schwer verwundet. Er liegt in einem medizinischen Sarg, einem medizinischen Roboter. Der Mann hat ein Bein verloren und seine Lunge ist perforiert.”
Knud fiel ein Stein vom Herzen. Er wusste, dass sich sein Gesundheitszustand nach einer Behandlung mit dieser Apparatur erheblich verbessern würde. Vielleicht würde er sogar keinerlei Folgeschäden davontragen. Seine Augen strahlten.
„Das ist die beste Nachricht, die ich seit langem gehört habe.”
„Seine Angehörigen waren zu dem Zeitpunkt, als Mary sie auffand, nervlich völlig am Ende. Leider wird eine endgültige Diagnose, ob der Professor wieder vollständig genesen wird, erst in ungefähr acht oder neun Stunden vorliegen. Das jedenfalls teilte mir der Schiffsarzt vor wenigen Minuten mit. Eine Aussage über bleibende Schäden kann erst zu einem späteren Zeitpunkt erfolgen.”
„Danke, Schwester. Trotz der Einschränkungen über den Gesundheitszustand bin ich überaus glücklich, dies von dir zu hören!”
„Ich kann übrigens inzwischen ein wenig mehr nachvollziehen, warum du die Menschen gerettet hast. Moluh und Mary haben mir einiges von dem, was sich auf Terra in letzter Zeit zugetragen hat, berichtet.”
Knud wirkte etwas erleichtert.
„Danke, das beruhigt mich ein wenig. Aber was ist mit dem kleinen Mädchen?”
Astrid holte einen Kommunikator zum Vorschein und sprach leise hinein, während sie weiter voran hasteten. Astrid stellte dabei fest, wie ausgelaugt ihr Bruder war: Dunkle Ränder unter den Augen und eine gewisse Nervosität in seiner Stimme verrieten es. Knud versuchte zwar, sich unter Kontrolle zu halten, aber es gelang ihm dennoch nicht vollständig.
Astrid - nach einer Weile:
„Ihr Überleben steht auf Messers Schneide. Sie scheint wohl erhebliche innere Verletzungen davongetragen zu haben.”
Knud blieb abrupt stehen. Seine Augen schimmerten feucht.
„Ist es wirklich so schlimm?”, flüsterte er.
„Du magst die Kleine, nicht wahr?”
„Sie ist mir so ans Herz gewachsen, als wäre sie meine eigene Tochter.”
„Diese Reaktion ehrt dich. Du wärest bestimmt auch ein guter biologischer Vater geworden.”
„Ich habe ihr geschworen, dass ich mich wie die eigenen Eltern um sie kümmern werde.”
„Was ist mit ihnen?”
„Bitte frag nicht weiter. Sie haben beide ihren eigenen Körper als Schutzschild benutzt, damit sie überleben kann. Mouad hat dies sofort gesehen und dem Kind das Leben gerettet, nachdem wir sie unter den Leichnamen ihres Vaters und ihrer Mutter herausgezogen haben.”
„Das... das wusste ich nicht”, stammelte Astrid.
„Nicht, dass wir uns missverstehen: Ich werde dir niemals Vorwürfe machen dahingehend, dass du mich während der letzten Tage der Mission nochmals an die föderalen Grundprinzipien der Vorgehensweise von Beobachtern auf fremden Planeten erinnert hast. Aber du kannst dir sicher sein: Ich habe nicht irgendwen leichtherzig oder gar leichtfertig mitgenommen. All die Terraner, die ich an Bord des Schiffes geholt habe, sind mir ans Herz gewachsen, sind kostbar für mich. Denn sie sind eine Zierde ihrer Art.”
„Ich kann dir jedenfalls versichern, dass die Ärzte alles nur denkbar Mögliche tun werden, um Aishas und Wahids Leben zu retten.”
„Eine Frage muss ich dir aber noch unbedingt stellen. Warum genau hast du die Bribires eigentlich hierher gebracht?”
„Der Professor hat die Grundgleichungen des Coron-Antriebs entwickelt.”
Astrid schaute ihn entgeistert an, blieb abrupt stehen.
„Das... das ist ja unglaublich. Ein solches Wissen existiert auf Sol III?”, entfuhr es ihr.
Sie konnte es einfach nicht fassen.
Knud blickte sie aus schmalen Augen an:
Читать дальше