1 ...7 8 9 11 12 13 ...29 Obwohl die Bewohner Warendulas nichtmenschlich waren und mit ihren tonnenförmigen Körpern und 15 Greifarmen sowie einem durchgehenden Ring aus Photorezeptoren um ihren Rumpf zunächst abstoßend wirkten, so berührten die Bilder doch ungemein und lösten Trauer und Entsetzen bei den Anwesenden hervor.
Knud wandte sich von dem Film ab. Zu oft hatte er dieses Grauen bereits über sich ergehen lassen müssen.
Das Hologramm erlosch. Erschütterte und in höchstem Maße emotional aufgewühlte Offiziere blieben zurück. Auch die nichtmenschlichen Teilnehmer zeigten sich tief bewegt.
Ein Offizier der Qwrth ergriff als erster das Wort und sprach beruhigend auf ihn ein:
„Sire! Wenn ich mich recht daran erinnere, seid Ihr es gewesen, der die Core Explosion vorhergesagt hat. Ihr habt schließlich damals alles, was in Eurer Macht stand, unternommen, um die Zivilisationen im galaktischen Zentrum und somit auch unseren Planeten zu retten. Ihr habt somit meine Welt vor dem Untergang bewahrt. Somit war Euer Reaktionsvermögen und der unbedingte politische Wille zu helfen dafür verantwortlich, unzählige Lebewesen vor ihrer Vernichtung zu bewahren.
Jede der hier vertretenen Rassen hatte damals extreme existenzielle Entscheidungen zu treffen! Und Ihr seid es schließlich auch gewesen, der veranlassen ließ, dass die wichtigsten und kulturell wertvollsten Heimatplaneten der dort lebenden Rassen auch noch komplett in die Magellanschen Wolken transportiert wurden. Natürlich musste auch ein erheblicher Verlust kultureller Güter in Kauf genommen werden, denn die Ladekapazität reichte bei der damaligen Technologie nicht aus, um alle Heimatwelten hierher zu schaffen.
Ihr habt damals darüber hinaus auch dafür Sorge getragen, dass selbst die Rassen, die nicht direkt betroffen waren, dem Armageddon entfliehen konnten. Diese, noch viel gewaltigere Flüchtlingswelle im Vergleich zu den unmittelbar Betroffenen fand deshalb eine neue Heimstatt, indem damals Unmengen neuer Planeten erbaut und kostenlos zur Verfügung gestellt wurden. Wenn ich die Daten noch korrekt rekapituliere, sind bei der gesamten Operation - ohne Warendula - nur drei Flüchtlinge gestorben. Und auch unter Berücksichtigung der tragischen Selbstvernichtung dieser Welt würde ein Mathematiker sagen: 8 Milliarden gegen 250 Billionen. Jeder einunddreißigtausendzweihundertfünfzigste starb somit.”
Der Offizier der Qwrth setzte sich wieder. Knud warf ihm einen erleichterten Blick zu und sagte laut:
„Ich danke Ihnen, das habe ich jetzt gebraucht.”
Die bläuliche Hautfarbe des Qwrth wurde für den Bruchteil einer Sekunde rotviolett, was bei dieser Rasse so viel wie: ,Ich habe Achtung vor Euch und schätze Euch’, bedeutet. Auch die anderen Konferenzteilnehmer signalisierten durch Kopfnicken, Rudern mit den Extremitäten und Farbsignalen Zustimmung.
„Sollen wir eine kurze Pause machen?”, bot der Admiral an und warf Knud dabei einen nachdenklichen Blick zu.
„Nein, es geht schon wieder”, entgegnete Knud. „Mein terranischer Freund wird bestimmt bald das Bewusstsein wieder erlangen und dann möchte ich bei ihm sein.”
„Wie Ihr meint. Aber auch Ihr solltet Eure Psyche nicht nach Belieben überlasten. Jeder hier hätte Verständnis, wenn Ihr um eine Verschiebung dieser Konferenz bitten würdet”, ließ sich Astrid vernehmen.
„Danke, dass Sie sich alle Sorgen um mich machen. Aber ich denke, dass jeder von Ihnen ein Anrecht darauf hat, zumindest eine aktuelle Zusammenfassung der Lage auf Terra zu bekommen:
Diesem Planeten steht nämlich eine ähnlich verheerende Entwicklung bevor. Immer mehr Staaten und Gesellschaften werden unregierbar. Fanatischer fundamentalistischer Glaube, Extremismus und brutaler Egoismus greifen immer mehr um sich.
Nach den Daten und Berichten, die Sie alle auf Ihrem Tischpanel unter Terra 1. bis 8. finden, rechnen meine Kundschafter und viele Wissenschaftler mit einer ähnlichen Katastrophe wie auf Warendula in drei bis sechs Jahren. Dabei liegt die prognostizierte Wahrscheinlichkeit für das Auftreten eines solchen Ereignisses bei 98 Prozent. Und selbst diese sehr pessimistische Schätzung scheint von den aktuellen Ereignissen im Nahen- und Mittleren Osten überholt zu werden: Es sind bereits zwei Kernsprengsätze detoniert, ehe die Dienst habenden politische Akteure - oder sollte ich vielleicht besser sagen Hazardeure? - sich doch noch ihrer Roten Telefone erinnert haben, um einen weitergehenden Atomwaffeneinsatz fürs Erste abzuwenden. Aber dies dürfte nur eine kurze Atempause bedeuten - denn Israel war es schließlich, der das strategisch wichtige Homs ausradierte sowie einen mehreren Divisionen starken Truppenaufmarsch des IS in Westsyrien kurz vor der syrisch-israelischen Grenze durch den Einsatz einer 30 Kilotonnen-Bombe vereitelte. Denn die Anhänger Baghdadis sind bereits seit Kurzem im Besitz von atomaren, biologischen und chemischen Waffen. Und den Ersteinsatz von Kernwaffen gegen das Kalifat durch Israel wird nicht unbeantwortet bleiben...”
Die Konferenzteilnehmer warfen sich entsetzte Blicke zu.
„Ich halte es außerdem für sehr sinnvoll, wenn einige der hier anwesenden Kundschafter schon mal aus ihrem Blickwinkel ein ungeschöntes Bild der Lage auf Sol III präsentieren. Es handelt sich dabei lediglich um skizzenhafte Eindrücke, die natürlich subjektiv gefärbt sein mögen. Aber ich denke, derartige Berichte sind für das Gremium ein idealer Einstieg in das Schicksal dieser Welt, als wenn nur Fakten und Zahlen studiert und ausgewertet werden, was natürlich im Anschluss an diese Sitzung und natürlich auch zur Vorbereitung des nächsten Treffens unbedingt nachgeholt werden sollte.”
In den nächsten vier Stunden wurden zum Teil erschütternde Berichte über den Zustand Terras dargeboten. Auffällig war es, dass sich Anarchie und Chaos allmählich über immer größere Gebiete ausbreiteten.
Die eine Region war Zentralasien und fast der gesamte vorderasiatisch-arabische Raum, wo religiöser Fundamentalismus die letzten Reste staatlicher Autorität beseitigt hatte; ein faschistisch-religiöses Imperium war entstanden. Letzte Warlords, die einst die politische Szene beherrscht hatten und der Bevölkerung ihren brutalen Stempel totaler Rechtlosigkeit und Willkür aufgedrückt hatten, wurden von den noch gewalttätigeren Terroristenarmeen ausradiert. Aber trotz der äußersten, perfiden Brutalität, mit der die diese Truppen gegen sämtliche Gegner vorgingen und sie auslöschten: Die Menschen, die sich der Diktatur unterwarfen, fanden überraschenderweise ein wirtschaftlich im Wesentlichen funktionierendes Gemeinwesen vor. Denn die Gas-, Strom und Wasserversorgung klappte, ganz im Gegensatz zu früher, reibungslos, die Lebensmittelverteilung wurde ebenfalls gewährleistet. Und dies waren die wesentlichen Gründe dafür, dass die politisch angepasste Bevölkerung nach all den Jahren der Unsicherheit, ja des Chaos unter Saddam Hussein, den amerikanischen Eroberern und dem schiitischen irakischen Premierminister Nuri al-Maliki, den neuen Machthabern seit einiger Zeit ein gewisses Vertrauen entgegenbrachte.
Zweitens war Zentralafrika eine weitere Region, die seit fast einem Jahrhundert praktisch unregierbar geworden war. Der Erste Afrikanische Weltkrieg schien dort niemals enden zu wollen. Fast 70 Millionen Menschen hatte das Gemetzel in den vergangenen 50 Jahren gefordert und das Herz Afrikas in einen apokalyptischen Albtraum verwandelt. Dies hatte als Konsequenz, dass Millionen Menschen versuchten, sich in Sicherheit zu bringen. Es lagen inzwischen Augenzeugenberichte vor, die glaubwürdig vermittelten, dass an manchen Fluchtrouten - insbesondere in der Sahara - alle paar 100 Meter Leichen lagen. Erst in jüngerer Zeit schien sich die Lage erheblich zu stabilisieren.
Dann schilderte Knud seine Erlebnisse im Libanon, ergänzt durch Kurzberichte überdas Wirtschaftswachstum in China, den mit diesem Umstand verbundenen politischen und wirtschaftlichen Machtzuwachs dieses Landes. Damit unmittelbar verknüpft der ungeheure Rohstoffhunger und die rücksichtslose Zerstörung der Umwelt: Im eigenen Land und den Weltregionen, in denen China in einer Art wirtschaftlichen Neokolonialismus Entwicklungsländer auspresste und die dortigen Potentaten bestach,die bereits einige Zeit zurückliegende wirtschaftliche Psoblematik in den Staaten Sudan, Zentralafrikanische Republik, Angola und Elfenbeinküste, in denen ergänzend zum vorherigen Bericht die Chinesen, die Amerikaner sowie Teile Europas rücksichtslos Öl, Coltan, und Diamanten ausgebeutet hatten und mit Waffen bezahlten. Diese wurden in der Vergangenheit dann sehr häufig erneut für das blutige Anheizen und Ausfechten inner- und zwischenstaatlicher Konflikte benutzt,die weltweite Flucht der Menschen in Spiritualität und religiösen Wahn, um den entsetzlichen Lebensumständen und dem ständigen Kampf ums Dasein geistig für eine Zeit zu entgehen,massive Auswirkungen des Klimawandels: Großflächig verdorrende Regionen in Afrika, Australien und Südamerika, Überflutungen flacher Landstriche im pazifischen Raum, Bangladesch und Pakistan mit damit verbundenen katastrophalen Flüchtlingsströmen und enorm zunehmender politischer Instabilität. Stark steigende sommerliche Temperaturen mit unzähligen Hitzetoten in zuvor gemäßigten Klimaregionen.
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