„Ich schau mal, ob sich das einrichten lässt.”
Knud holte zwei in Silber eingefasste gläserne Tassen und eine alte silberne, arabische Teekanne hervor und stellte alles auf ein Tablett. Es war aus dem gleichen Edelmetall gefertigt und überdies an den Rändern mit verschnörkeltem Rankwerk verziert. Getrocknete Pfefferminzblätter, ein Mitbringsel anderer Botschafter aus dem Libanon, zusätzlich zu köstlichem Schwarztee mit kochendem Wasser übergossen, verbreiteten einen herrlich erfrischenden Wohlgeruch. Er stellte noch ein dreifüßiges, zum Teeservice stilistisch passendes Zuckertöpfchen auf das Tablett, ging damit zum Bett und setzte es neben Mouad ab. Knud hockte sich neben ihn. Aus einer stellenweise schwarz angelaufenen silbernen Zange ließ jeder zwei Stücke Zucker in die dampfende Flüssigkeit plumpsen.
Mouad schlürfte andächtig. Er genoss den Tee, ohne etwas zu sagen. Dabei schaute er seinen Freund über den Tassenrand scharf an. Er glaubte, mehr Sorgenfalten in seinem Gesicht zu entdecken als bei ihrer Flucht aus Beirut, sagte aber erstmal nichts.
„Nimm dir ruhig noch mehr Tee. Ich beginne in der Zwischenzeit mit den Essensvorbereitungen.”
Während Mouad seinen Tee weiter genoss und seine Lebensgeister so langsam zurückkehrten, fragte Knud über den Intercom in der Kantine nach, ob Lammfleisch verfügbar sei.
„Ja, das haben wir noch, wenn auch tiefgefroren. Ich lasse es gleich vorbeibringen”, meldete sich der Chefkoch, den Knud schon seit vielen Jahren gut kannte.
Knud begann, das Gemüse zu putzen und zu zerschneiden, während er eine große Pfanne auf den riesigen Herd stellte, eine Flasche Olivenöl herbeiholte und schließlich aus den Tiefen seines Vorratsschrankes einige Gewürze hervorkramte.
Eine Klingel ertönte. Knud konnte das zerkleinerte, von Sehnen und Knochen befreite, und somit bereits zum Braten und Kochen vorbereitete Lammfleisch in einer Schale von einem der Köche in Empfang nehmen.
„Möge es Euch schmecken. Es ist von meiner Heimatwelt, eigene Zucht.”
„Wie, solch eine kostbare Delikatesse überreicht Ihr uns? Das kostet doch normalerweise ein kleines Vermögen.”
„Ich weiß ja, wer es zubereitet. Lasst mich hinterher einmal probieren.”
„Abgemacht und vielen Dank.”
Knud schloss die Kabinentür und war jetzt so richtig in seinem Element. Bald roch es köstlich nach Knoblauch, Fenchel, Zwiebeln und Lorbeer. Schließlich war der Fleisch-Gemüseeintopf gar. Auch der über dem Dampf aufgequollene, frisch zubereitete Couscous war weich und roch verführerisch.
„Willst du nicht aufstehen? Ich habe dir auch neue Kleidung besorgt, damit du nicht wie ein Lumpensammler herumlaufen musst.”
Dies war eine der vielen Annehmlichkeiten der Intrepid. Durch ein schiffsweites Rohrpostsystem konnten alle möglichen Gegenstände bestellt und versendet werden: Von Wäsche, die gereinigt werden musste über Nahrungsmittel, die aus der Kantine zugeschickt wurden, bis zu Filmkristallen oder sonstigen Speichermedien aus der schiffseigenen Bibliothek. Dabei waren die Transportbehälter absolut hygienisch. Auf der mit Nanopartikeln beschichteten Oberfläche hatten Geruchsmoleküle oder Bakterien keine Chance. Nichts konnte sich chemisch daran binden.
„Ja, ja... ich komm ja schon.”
Mouad kletterte aus dem Bett. Er inspizierte die navyblaue Outdoorhose, die mehrere aufgesetzte und durch Druckknöpfe verschließbare Taschen hatte und ein blaukariertes Baumwollflanellhemd.
„Darin sehe ich ja richtig frisch und attraktiv aus”, strahlte Mouad seinen Freund an. Er befühlte den feinen, dichtgewebten Stoff der Hose und hielt ihn gegen das Licht; ein Trick, den ihm seine Mutter Fatima schon als Kind verraten hatte. Denn sie stand auf dem Standpunkt, dass ihre Söhne selber in der Lage sein mussten, qualitativ hochwertige Kleidung zu erkennen, um Fehlkäufe zu vermeiden.
„Da musst du dich aber für mich ganz schön in Kosten gestürzt haben. Der blaue Stoff hat eine phantastische Qualität.”
„Für dich tue ich doch so etwas gern”, schmunzelte Knud zurück.
Schließlich kleidete sich Mouad an und setzte sich an den großen Tisch, an dem Knud bereits das Essen auffüllte.
„Lecker”, meinte Mouad, als er den ersten Bissen im Mund hatte, „nur noch etwas zu heiß.”
„Iss langsam, wir haben Zeit.”
Mouad aß in Ruhe weiter, dabei genoss er sichtlich das Fleisch. Nachdem er zweimal den Teller nachgefüllt und noch drei Gläser Tee getrunken hatte sagte er endlich:
„Aaaahhh, das tat gut. Ich fühle mich jetzt viel besser mit vollem Magen, denn diese Flucht hat mich doch in jeder Hinsicht ganz schön mitgenommen.”
Er blickte auf seine Hände und steckte die Nase unter seine Achselhöhlen.
„Wieso stinke ich nicht mehr? Ich kann mich nicht daran erinnern, geduscht zu haben.”
„Jetzt kannst du es vielleicht an deinen fehlenden Erinnerungen selbst erahnen, wie ein Mensch reagiert, wenn er über viele Tage bis zur völligen Erschöpfung und fast ohne Schlaf beständig Höchstleistungen in physischer und psychischer Hinsicht erbringen muss. Denn ich war es, der dich letzte Nacht erst einmal gründlich gesäubert hat, ohne dass du dabei aufgewacht bist. Und es war eine ganz schöne Knochenarbeit, dich schweren Kerl immer wieder drehen, strecken und wenden zu müssen, damit ich in der Lage war, aus jeder Falte und Fuge deines Körpers mehrere Zentimeter Dreck zu entfernen.”
„Danke”, kam es erleichtert zurück.
Mouad kratzte sich verwirrt und nachdenklich am Kopf.
„Wo sind wir denn eigentlich jetzt? Dieser Raum ist ja sehr gemütlich und geschmackvoll eingerichtet, aber gibt es hier keine Fenster?”
„Weißt du denn nicht mehr, was passiert ist?”
„Doch! An die Wanderung und die halsbrecherische Flucht mit dem Motorrad erinnere ich mich sehr lebhaft, an irgendeinen Brunnen, in den wir hinabkletterten, auch noch. Aber dann schien ich in einen phantastischen Traum hineingeraten zu sein, der von irgendeinem Fluggerät handelte, mit dem wir in den Weltraum geflogen sind. Ziemlicher Blödsinn, findest du nicht?”
„Komm her zu mir. Lass uns an die Wand dort hinten gehen.”
Knud nahm Mouad an die Hand. Sie standen vor der grünlichen Außenwand aus metallorganischen Biopolymeren.
„Hmmmh”, meinte Mouad. „Diese Aussicht ist aber nicht besonders interessant. Warum soll ich jetzt Löcher in diese strukturlose Fläche starren?”
„Du bist und bleibst manchmal ein kleiner Hektiker. Wart’s doch einfach mal ab, was ich dir zeigen will.”
Knuds Stimme wurde befehlend.
„Computer: Panoramafenster aktivieren.”
Die ganze Wand schien zu verschwinden. Ein tiefschwarzer Abgrund, angefüllt mit Sternen, deren Glanz durch keinerlei Streulicht getrübt wurde, öffnete sich vor ihnen.
Mouad wich voller Entsetzen zurück, da sein Unterbewusstsein Angst vor dem Fall in eine bodenlose Tiefe signalisierte. Aber er fing sich rasch wieder, denn die Ratio lieferte die korrekte Interpretation der Sinneseindrücke: Sie blickten in den grenzenlosen Weltraum.
Das Band der Milchstraße war kristallklar zu erkennen. Mouad bemerkte oberhalb und unterhalb der Panoramascheibe einige Shuttle, die gerade an die Außenschleusen des Schiffs andockten.
Er atmete schwer und flüsterte: „So ist alles wirklich geschehen, was ich gestern noch für einen Traum hielt?”
„Ja - allerdings. Du leidest auch unter keinen Halluzinationen, denn du bist tatsächlich an Bord des Raumschiffs, das du gestern von außen gesehen hast. Wenn du willst, zeige ich dir alles.”
Mouads Beine sackten plötzlich weg, sein Körper kollabierte. Knud fing ihn auf, bevor er zu Boden stürzte.
Mit vor Schrecken geweiteten Augen blickte er abwechselnd in den Kosmos, dann wieder auf Knud, der ihn zärtlich in den Arme genommen hatte.
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