Knud stieß einen Seufzer der Erleichterung aus.
,Danke, du bist ein guter Freund und Ratgeber - auch in Extremsituationen.’
,Dein Motto ist es doch auch: Einzelkämpfer sind unsozial, gefühlsmäßig kalt und egoistisch. Daher müssen wir uns doch gegenseitig unterstützen. Oder meinst du, die Föderation hätte sich die letzten 15 000 Jahre so prächtig entwickelt, wenn wir nicht liebe- und verständnisvoll miteinander umgegangen wären? Das ist doch gerade das Problem der Welt, die ihr Terra nennt; dieser Egoismus, dieses Streben nach Macht und Reichtum auf Kosten anderer und der Umwelt.
Aber am schlimmsten ist meiner Meinung nach das Potenzgehabe und der so genannte Machismo der Spezies, die ihr Männer nennt. Glücklicherweise führen sich die maskulinen Terraner in der Föderation inzwischen wesentlich gesitteter auf im Vergleich zu dem Verhalten, das sie auf Terra in über 90 Prozent der Fälle an den Tag legen, in denen es um soziale Kontakte geht - wie ich zu meinem Leidwesen aus deinen Berichten entnehmen musste.’
,Noch etwas, Krwysnoggh. Hast du irgendetwas von unserer Geheimvereinbarung umsetzen können? Konntest du auf irgendeine Weise helfen?’
,Ich habe in meinem gesamten Leben als Arzt noch nie solche grauenhaften Verletzungen bei Terranern gesehen. Diese Aussage bezieht sich aber nicht nur auf den physischen Zustand der Betroffenen. Ihr psychischer Zustand ist vielleicht noch viel besorgniserregender. Wenn ich dich und so manch ehrenwerte Humanoide nicht kennen würde und eben aus diesem Grunde nicht wüsste, dass es viele herausragende Vertreter dieser Spezies gibt, so hätte ich die Erde schon längst einem Terraforming-Prozess unterworfen. Wie kann man mit wehrlosen Personen, mit Minderheiten aller Art, nur so umgehen?! Steinigen, lebendig begraben, Kehle langsam und nur zum Teil durchschneiden, den After zukleben, die Lunge mit spitzen Gegenständen von außen perforieren...!! Und das auch bei den über 1 000 Kindern! Warum macht man so etwas mit der nachfolgenden Generation einer Rasse?’
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,Aber ich denke wohl zu positiv gegenüber dem Entwicklungsstand vieler Humanoiden. Denn ein solch abartiger Umgang von Mitgliedern deiner Spezies gegenüber Frauen, Lesben und Schwulen ist mir ja schon begegnet...’
Krwysnoggh war außer sich. Er signalisierte mit einem dunklen Violettrot, wie böse, enttäuscht aber auch tieftraurig er war. ,Auch wenn du damit erneut gegenüber föderalen Vorschriften verstoßen hast - von mir wird niemand etwas darüber je erfahren. Denn du hast damit in meinen Augen das einzig Richtige getan. Aber wir - damit meine ich sämtliches medizinisches Personal einschließlich der dazu qualifizierten Roboter an Bord dieses Schiffes - werden noch mindestens zwei Wochen allein für die Regeneration der entsetzlichen Verletzungen benötigen. Es kommt noch hinzu, dass auch meine Mitarbeiter fast am Ende ihrer Leistungsfähigkeit sind - und dies bei überwiegend Nichthumanoiden, die ich eigentlich bisher als psychisch sehr belastbar gegenüber schweren Verletzungen eingeschätzt hatte! Wenn du den Zustand insgesamt ansprichst... das wird noch Jahre dauern, bis die Betroffenen über den Berg sind. Im Moment sind sie in einem Holodeck untergebracht - physisch zwar zum Teil genesen, aber noch wissen sie nichts über die neue Realität. Sie sind daher mit den Wahrnehmungen ihrer letzten Situation im Libanon noch stets konfrontiert... Du musst dieses Problem daher auch schon sehr bald lösen, auch wenn es von dir fast alles abverlangen wird.’
,Mein Gott...’
,Und ich muss dir auch sagen, dass ich andererseits ziemlich enttäuscht über dich bin. Denn du hättest die beiden verstümmelten Männer sofort hierher evakuieren müssen. So waren sie schon beinahe tot, als sie hier ankamen und in einem körperlich und seelisch dermaßen miserablen Zustand, dass wir sie womöglich umprogrammieren müssen. Sie haben euch schließlich wahrgenommen; die Bilder von dir und Mouad finden sich schließlich noch in ihren Engrammen.’
,Aber...’
,Ich will jetzt nichts von deinen mir bereits sattsam bekannten Argumenten hören! Es war dir zwar verboten, jemanden mitzubringen. Aber du weißt, dass in diesem Staate doch so manches toleriert wird - selbst wenn dies Ärger gibt. Dazu gehört auch das unbefugte Einführen von Flüchtlingen. Denn niemand - auch nicht die Mitglieder der Föderationsregierung - konnte sich auch nur im Traum vorstellen, was Menschen, die vom Mainstream abweichen, auf Terra widerfährt. Und denk daran - du hast ja auch Clark glücklicherweise gerettet. Daher konnte man von dir erwarten, deutlich mehr Engagement gegenüber diesen Unglücklichen an den Tag zu legen.”
Knud war überrascht und zugleich ziemlich erleichtert, dass er in Krwysnoggh einen Verbündeten in den zu erwartenden Auseinandersetzungen hatte. Aber wo hätte er die Grenze seiner Evakuierungsmaßnahmen ziehen sollen?
,Im Zweifelsfall bei der Transportkapazität dieses Schiffes... Aber mit dieser Meinung stehe ich mit Sicherheit so ziemlich alleine da. Ich hätte jedenfalls versucht, noch mehr Kinder deiner Art zu retten.’ Knud versank ins Grübeln.
Aber viel Zeit darüber nachzudenken blieb ihm nicht. Denn Krwysnoggh bohrte nach: ,Was ist eigentlich aus der Flüchtlingsgruppe sowie den Militärangehörigen geworden, die die Zivilisten begleiteten? Wo sind die beiden Israelis Salusch und Juda abgeblieben, denen du doch die Position deines Abflugortes mitgeteilt hattest?’
,Wie - sind die alle hier nicht aufgetaucht?’
,Nein - keine Spur von ihnen.’
,Ich werde das klären lassen.’
,So, ich muss jetzt meine biologischen Schaltkreise in den Ruhemodus versetzen. Und Knud, auch wenn du hundemüde bist, solltest du jetzt unmittelbar dasjenige durchführen, was wir anfangs besprochen haben. Hilf diesem Mann. Er hat es wirklich verdient.’
,Ich werde dir morgen berichten, wie es gelaufen ist.’
,Das würde mich sehr freuen, wenn du mich an deinen Erfahrungen und Gedanken mit diesem Professor teilhaben lässt. Wenn alles gut läuft, würde auch ich mich gern mit ihm unterhalten - aber vermutlich erst in ein paar Wochen, wenn du ihn stabilisiert hast. Wie ich schon angemerkt habe: Er ist ein faszinierender Charakter und ein herausragender Vertreter seiner Rasse.’
,Aber ich möchte auch sehen, was aus den Geretteten geworden ist’
,Bist du dir sicher, dass du dazu psychisch jetzt schon die Kraft hast? Denn auch du hast ganz schön was mitgemacht - auch wenn es dir vielleicht noch nicht so deutlich geworden ist.’
,Ich weiß... Wenn ich mit Wahid geredet und meine sonstigen Verpflichtungen als Kommandant erledigt habe, möchte ich mir trotzdem unbedingt selbst ein Bild davon machen.’
,Gut. Meldest du dich dann bei mir?’
,Ja, auf jeden Fall.’
Der Intercom im Quartier des Professors summte leise.
Knud meldete sich: „Haben Sie Lust auf einen Rundgang durch dieses Schiff?”
„Knud, bist du es? Aber ich kann dich nirgends sehen.”
„Meine Stimme wird durch das schiffsweite Kommunikationssystem zu Ihnen übertragen. Ich stehe draußen vor der Tür, die zu Ihrem Quartier führt.”
„Ja doch, gerne. Ich kann nicht schlafen.”
„Ich weiß.”
Die Kabinentür öffnete sich. Ein nervös und unsicher wirkender Professor trat heraus.
„Ich denke, Wahid,” so begann Knud, „dass wir zwei uns ein bisschen die Füße vertreten und dabei unterhalten sollten. Sie haben doch nichts dagegen, dass ich Wahid sage?”
„Es ist für mich schon etwas ungewöhnlich, dass ein so jung wirkender Mensch mir so etwas vorschlägt. Aber nun gut, lassen wir es bei Wahid und Knud.”
Sie bogen den Gang nach links ab und erreichten den Liftbereich. Die Türen öffneten sich. Wahid folgte zögernd.
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