Wir entschlossen uns dann auch, wegen der zunehmenden weltweiten Unsicherheit, mit unserem neuen Raumschiff, das immerhin knapp 100 Personen, wenn auch unter absolut beengten Verhältnissen Platz bot, die Erde zu verlassen. Die schwedische Regierung hatte nämlich von unseren Forschungsvorhaben Kenntnis erhalten - von wem wir verraten wurden, wissen wir bis heute nicht. Zum Glück waren alle unsere Werkstätten und Laboratorien tief unter dem Gebirge im Westen Schwedens an der Grenze zu Norwegen angelegt worden - weit weg von jeder Zivilisation, so dass es all die Zeit für uns ein Leichtes war, die geheimen Labors neugierigen Blicken zu entziehen. Wir versiegelten vor dem Start des Raumschiffes sämtliche Eingänge und tarnten sie so, dass sie nach unserem damaligen Wissen niemals entdeckt werden würden.
Den Jungfernflug des neu gebauten Raumschiffs werde ich nie vergessen. Das einmalige, überwältigende Erlebnis, die Erde als funkelnd blaues Juwel unter mir in der Schwärze des Universums schweben zu sehen, wird für alle Zeiten in meinem Gedächtnis eingebrannt bleiben. Und die sich daran anschließende interstellare Reise war ein ungeheurer Erfolg, ein Glücksgefühl, unbeschreiblich. Wir sahen das erste Mal andere Planeten, andere Welten - Jupiter mit seinen geologisch aktiven Monden, den Saturnmond Titan mit seiner Methanatmosphäre und den Seen und Teichen aus flüssigen Kohlenwasserstoffen sowie den blauen Neptun mit seinen gigantischen Stürmen.
Aber bereits während der ersten Tage an Bord begriffen wir, auf was für ein total idiotisches Unterfangen wir uns in unserem überheblichen Leichtsinn da eingelassen hatten. Die Planeten des Sonnensystems live vor sich zu sehen war ja gut und schön.
Aber wer garantierte uns eigentlich, dass wir erstens auf einen lebensfreundlichen Planeten treffen würden, der dann auch noch zweitens tatsächlich von einer technisch hochstehenden Zivilisation beherrscht sein würde?
Ganz abgesehen davon, dass diese Zivilisation, wenn es sie denn gäbe, ja auch noch friedfertig zu sein hatte. Wir waren nämlich gänzlich unbewaffnet und somit einer möglicherweise kriegerischen Rasse hilflos ausgeliefert. Ich erinnere mich noch genau, als wäre es erst gestern gewesen, an die erbitterten, schon fast verzweifelt zu nennenden Diskussionen, über das Für und Wider, das Sonnensystem zu verlassen. Viele hatten Angst, dass wir, wenn uns kein Erfolg beschieden sein sollte, jämmerlich in den Tiefen des Alls sterben würden.
Aber auch auf der Erde durfte man kein viel besseres Los erwarten: Wir würden bei einem Scheitern unserer Mission sehr wahrscheinlich eingesperrt, gefoltert und verhört, möglicherweise danach sogar hingerichtet werden. Die zukünftige Entwicklung auf Terra könnte sich als noch fataler erweisen: Wenn man nämlich unsere technologischen Hinterlassenschaften fände, könnte es zu entsetzlichen, planetenweiten militärischen Auseinandersetzungen kommen, die mit Hilfe der neuen Technologie geführt werden würden.
Am Ende dieser ernsten, kontroversen Diskussionen wurde schließlich in einer Kampfabstimmung der Beschluss gefasst, auf gar keinen Fall zur Erde zurückzukehren, sondern darauf zu hoffen, eine neue Welt mit lebensfreundlichen Bedingungen zu finden.
Es wurde daher ein nervlich aufreibender Flug, hingerissen zwischen Hoffen und Bangen, was wir in diesem fremden, uns völlig unbekannten Sonnensystem vorfinden würden. Gab es eine Rettung für uns alle? Konnten wir Kontakte zu einer friedlichen, technologisch hochstehenden, außerirdischen Zivilisation aufbauen?
Daher steuerten wir unbeirrt weiter das System Epsilon Eridani an, wie schon angedeutet in der Hoffnung, dort auf einen für unser Überleben geeigneten Planeten zu stoßen, der auch genügend Wasser und Nahrung zur Verfügung stellen würde. Wir wussten, dass wir nur Energie und Sauerstoff für etwa sechs Wochen an Bord hatten. Wenn uns kein Erfolg beschieden wäre, müssten wir - so lautete der Plan vor Beginn des Raumflugs - entweder zur Erde zurückkehren und das Raumschiff und alle damit entwickelten Technologien vernichten oder - die Alternative entwickelte sich während der Reise - einen zweiten Versuch wagen, um einen lebensfreundlichen Planeten in einem anderen System zu finden.”
Knud unterbrach seine Ausführungen kurz, um einen Schluck Wein zu trinken, da seine Lippen inzwischen ziemlich trocken geworden waren. Zudem merkte er an seinem deutlich beschleunigten Herzschlag, wie die Erinnerungen ihn übermannten, wie die ungeheure Spannung, der die damaligen Expeditionsteilnehmer ausgesetzt waren, zu einer verstärkten Insulinproduktion in seinem Körper führte.
Er warf seinen Freunden einen raschen Blick zu. Sie hingen an seinen Lippen; vor knisternder Spannung und fiebriger Erwartung wagten sie es kaum noch, zu atmen.
„Aber der Planet Epsilon Eridani IV, den wir nach einer Woche Flugzeit erreichten, entpuppte sich zur allgemeinen Erleichterung zwar als ein extrem stürmischer, aber ansonsten lebensfreundlicher Ort, der von einem tiefen, planetenweiten Ozean bedeckt war. Wir landeten schließlich auf einer der wenigen Inseln, die aus der aufgewühlten See herausragten. Die Expeditionsmannschaften gingen bei der Erforschung dieser Welt extrem vorsichtig vor. Man wollte nicht, dass dieser wunderschöne Planet mit unseren Bakterien, Ausscheidungen und Stoffwechselprodukten wie Kohlendioxyd, Schwefelwasserstoff und Merkaptanen kontaminiert wurde. Wir mussten daher vollständig steril und sauber arbeiten. Heute wissen wir, dass der Planet in dieser Hinsicht keine Probleme bereitet: Denn er besitzt eine Art von planetenweitem Immunsystem, das fremdartige Mikroorganismen und Stoffe äußerst effektiv bekämpft.
So erforschten wir zunächst die vulkanische Gebirgskette, die mitten in einem ununterbrochen aktiven Sturmband liegt. Das hatte zur Folge, dass auf diesem Stückchen festen Bodens, das kaum größer als der Libanon ist, auf der windzugewandten Seite etwa 30 Meter Niederschlag oder ungefähr 140 Meter Schnee pro Jahr fallen.
Nach knapp drei Wochen, nach denen wir uns schon fast wieder danach sehnten, auf die Erde zurückzukehren, weil wir die Einsamkeit auf dieser Welt nicht länger ertragen konnten, gelang uns die Entdeckung, die unser aller Leben von da an in völlig neue Bahnen lenken würde: Wir waren nämlich nicht die Ersten, die diese Welt erforschten.
Eine Forschungsgruppe, zu der auch ich gehörte, fanden bei näherer Untersuchung dieser zerklüfteten Felseninsel zunächst eine Brücke, die einen fast 600 Meter tiefen und anderthalb Kilometer breiten Abgrund auf halber Höhe überspannte, sowie einen hypermodernen Hangar, der offenbar regelmäßig von Raumschiffen einer ungemein fortschrittlichen Zivilisation angesteuert wurde.
Sehr rasch wurde man unseren Aktivitäten dann auch gewahr. Zumal uns, nachdem geraume Zeit verstrichen war, mitgeteilt wurde, dass man den gesamten interstellaren Flug schon seit der Überquerung der Neptunbahn genauestens verfolgt hatte. Diese Begegnung stellte somit den ersten Kontakt zu einem kollossalen Bündnis aus vielen verschiedenen Rassen fremdartiger Welten, das als Magellansche Föderation bezeichnet wird, her. Eine Welle der Erleichterung überkam uns, da wir jetzt endlich hoffen konnten, in Sicherheit zu sein.
Bevor ich an dieser Stelle mit meinem Bericht fortfahre, fiel uns damals eine besonders seltsame Tatsache auf:
Das Überraschendste, was wir bei unserer ersten Kontaktaufnahme vorfanden, war nämlich, dass wir unter den ersten Besatzungsmitgliedern eines dieser Schiffe, die wir dort trafen, auch Menschen entdeckten. Dies ist nach den Regeln der Evolution völlig ausgeschlossen. Denn auf keinen zwei Planeten kann sich unabhängig voneinander die gleiche, hoch entwickelte Lebensform entwickeln. Aber wir waren eben nicht die ersten Terraner, die Kontakt mit der Föderation hatten. Ich komme später möglicherweise noch darauf zurück.
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