Unsere Hoffnung auf ein friedliches Zusammentreffen erfüllte sich: Wir wurden freundlich von diesen hochzivilisierten Lebewesen aufgenommen, konnten uns überall frei bewegen. Man wies uns nur sanft darauf hin, dass wir doch auf jeden Fall die Sprache, das so genannte UniKaL, lernen und uns mit dem Wissensstand dieser Kultur auf allen Gebieten vertraut machen sollten. Von den Fremden wurde den an der Expedition teilnehmenden Wissenschaftlern hoch angerechnet, dass wir in der Lage gewesen waren, von solch einer kriegerischen und unzivilisierten Welt wegzukommen und dabei eine Antriebstechnik unabhängig von einem kulturellen Austausch mit der Föderation zu entwickeln, die interstellares Reisen ermöglichte. Deshalb, Professor, hat das, was Sie geleistet haben, mit zu meiner Entscheidung beigetragen, Sie in der Föderation aufzunehmen. Wir Flüchtlinge von der Erde waren damals zumindest ebenso erstaunt wie ihr über das, was ihr bereits gesehen habt und noch erleben werdet.”
Knud beendete seine Erzählung und blickte in die Runde.
„Das ist ja unglaublich! Ihr habt ja riesiges Glück gehabt, auf diesem Planeten Kontakt zu finden”, meinte der Professor nach einer längeren Pause.
„Irgend jemand hat das hinterher mal ausgerechnet: Es bestand eine Wahrscheinlichkeit von eins zu 100 Quinquilliarden.”
Die vier saßen fassungslos vor ihm und schienen jede einzelne Silbe in sich aufzusaugen.
„Bitte, erzähl weiter. Das ist ja der spannendste Bericht, den ich je gehört habe”, sagte Fatima vollkommen fasziniert.
„Nun gut, noch eine Geschichte aus meinem Leben.”
Er räusperte sich, registrierte, dass sein Mund erneut ausgedorrt war und nahm einen weiteren Schluck aus seinem Glas.
„Vor nunmehr 95 Jahren unternahm ich eine Forschungsreise in das Zentrum dieser Galaxis. Auf eurer Welt hatte, nur damit ihr das Geschehen zeitlich einordnen könnt, gerade der Zweite Weltkrieg begonnen. Ich lebte da schon über 30 Jahre in der Föderation und hatte mich sowohl in der Politik als auch der Wissenschaft gut etabliert.
Unsere Wissenschaftler waren damals der Meinung, dass sich im Zentrum der Milchstrasse lediglich alte, so genannte Rote Riesensterne befänden; Sonnen, die ihre Existenz als Hauptreihenstern schon längst hinter sich gebracht haben. In diesem Stadium ist der Wasserstoffbrennstoff im Kern bereits fast vollständig aufgebraucht - die Heliumfusion hat schon begonnen. Man glaubte daher, dass sämtliche dort jemals existierenden Zivilisationen ausradiert worden wären, da diese Sterne während dieses Prozesses das Hundert- bis Tausendfache ihres ursprünglichen Durchmessers aufweisen. Zur Begründung dieser These wurde angeführt, dass in beinahe 99 Prozent aller Fälle die Planeten, die sich in der Habitatzone während des Hauptreihenstadiums befänden, zu diesem Zeitpunkt von der enorm aufgeblähten Korona verschluckt worden wären. Deshalb gingen führende Wissenschaftler zu Beginn der Mission davon aus, dass man nur ausgeglühte, verschmolzene Welten vorfinden würde - sterile Schlackenreste längst untergegangener Kulturen. Ich selbst war mit dieser Theorie nicht einverstanden: Warum sollte es nicht möglich sein, dass sich die in dieser Region beheimateten Kulturen vor der drohenden Katastrophe in Sicherheit gebracht haben könnten?
Die Mission begann zunächst als rein kartografische Untersuchung. Das zuständige Ministerium wollte herausfinden, welche Flugrouten im Galaxienzentrum existierten, um möglichst rasch auf die gegenüberliegende Seite des Sternsystems zu gelangen. Da keine besonderen Schwierigkeiten zu erwarten wären, wurde uns ein mit wissenschaftlichen Gerätschaften gut ausgestattetes, aber lediglich sehr kleines Expeditionsschiff zur Verfügung gestellt. Ich war damals jedoch nur ein einfacher Offizier. Angesichts der enormen Entfernungen und der zu erwartenden Dauer der Reise ins Unbekannte, war ich damit jedoch absolut nicht einverstanden. Zu diesem Zeitpunkt war dieses Schiff, in dem wir uns gerade befinden, brandneu und sollte einem Testflug unterzogen werden. Es erschien mir ein Unding, allein für den Hinflug mit dem uns zugewiesenen Forschungsschiff viele Monate zu benötigen, wohingegen man mit diesem damals ultramodernen Fluggerät nur wenige Tage unterwegs wäre.
Nach zeitraubendem Hin- und Her und der Überlegung in der Magellanschen Akademie der Wissenschaften, dass man möglicherweise doch mehr entdecken könnte, als lediglich Planetenleichen, wurde mir gestattet, eine Besatzung nach meinen Wünschen zusammenzustellen.
Wir erreichten unser Zielgebiet nach genau sechs Tagen, ohne dass es etwas Nennenswertes zu vermelden gäbe. Glasartige, zernarbte, mit Kratern übersäte, schwarz- und aschefarbene Planetenkrusten bekamen wir zu Gesicht, ohne auch nur den geringsten Hinweis auf zivilisatorische Hinweise zu finden. Zunächst dachten wir, dass dies auf den normalen Sternalterungsprozess zurückzuführen war. Aber je mehr wir uns dem Galaxienzentrum näherten, umso größer wurde die Zerstörung: Durch irgendein entsetzliches Ereignis waren komplette Sterne zerrissen, Planeten vollständig pulverisiert oder verstrahlt worden. Und allmählich schwante mir, was da möglicherweise geschehen war:
In jeder Galaxie befindet sich bereits seit fast dem Anbeginn der Zeit ein kolossales Schwarzes Loch, so auch im Zentrum unserer Milchstraße. Dieses verübt Schwerkraftanomalien auf umliegende Sternsysteme, was wiederum Fluktuationen im Gravitationsmuster noch entfernterer Himmelskörper verursacht. Das kann sich zu einer Art von Kettenreaktion aufschaukeln, die zur Folge hat, dass komplette Sonnensysteme auf Kollisionskurs mit dieser ungeheuren Materieansammlung gehen. Und mir war sofort klar, was das bedeuten könnte: Eine galaktische Katastrophe unvorstellbaren Ausmaßes, sofern es in der Umgebung Zivilisationen geben würde.
In der Folge begann die Crew, die Kernregion der Galaxie systematisch zu analysieren, was beinahe in einer Katastrophe für das Schiff geendet hätte: Das Schwarze Loch schleudert nämlich diskontinuierlich extrem energiereiche Strahlungs- und Materiejets aus, die manchmal durch dichte Dunkelwolken aus Gas und Staub getarnt werden und daher nur schwer detektierbar waren.
Ich erinnere mich noch genau an die verräterischen Wirbel, die in Kernregionen mit Gas- und Staubansammlungen gefunden wurden. Der Kommandant des Schiffes wollte damals diesem Phänomen genauer nachgehen, aber mehrere Besatzungsmitglieder - einschließlich meiner Wenigkeit - protestierten dagegen aufs schärfste und wussten dieses Vorhaben zu verhindern.
Sekunden später verfehlte uns eine auf mehrere 10 000 Kilometer pro Sekunde beschleunigte, superheiße Plasmawolke aus der Kernregion nur knapp. Die Kraftfeldtechnik war damals noch nicht so leistungsfähig wie heute: Das Schiff wäre damals bei einem Volltreffer in einzelne Atome zerlegt worden.
Im Verlauf unserer Untersuchung der Kernregion waren eine ganze Reihe von Raumsonden gestartet worden, um einen größeren Bereich des Untersuchungsgebietes unter die Lupe zu nehmen. Und irgendwann erhielten wir die Gewissheit, die meine schlimmsten Befürchtungen bestätigte: Dass nämlich auch an diesem Ort, obwohl es auf Grund der vorherrschenden Sternenpopulation unwahrscheinlich war, Zivilisationen existierten, die dem alles versengenden Feuer ihrer alternden Zentralsterne dadurch entgangen waren, indem sie in äußeren Regionen ihres jeweiligen Sonnensystems eine Rückzugsmöglichkeit gefunden hatten. Jedoch zeigten diese Untersuchungen auch, dass die meisten der fremden Rassen nicht die Fähigkeit interstellaren Reisens entwickelt hatten.
Die sich daraus abzeichnenden Konsequenzen lieferten ein schreckliches Bild: Viele Regionen um den sich abzeichnenden Kataklysmos würden ausradiert werden, und mit ihr unzählige Zivilisationen, die dort existierten. Dieses Ereignis wird in unserer Geschichte als Core-Explosion bezeichnet, viel gewaltiger als jede Supernova.”
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