»Verzeihung, Ma’am, ist nur manchmal so schrecklich die Morde und das alles.«
Da hatte sie recht, stimmte ihr der Inspektor zu. »Sie hat wohl in einem Bordell gearbeitet aber kein billiges. Ich hoffe die Leute werden ihr Verschwinden melden aber Prostituierte sind Wandervögel und die Zuhälter riskieren Gefängnis, wenn sie zur Polizei gehen. Ich kann nur hoffen Sie hatte eine gute Freundin oder Eltern, die sie vermisst melden.«
Trotz seines nun besseren Lebens trug Pontius immer noch die Reste der Herkunft mit sich herum, Stallduft verschwand nie. Man konnte nicht von seiner Kindheit behaupten, dass er behütet mitten in den Glasgower Slums aufgewachsen war. Anders als seine Tochter, die er alleine aufgepäppelt hatte, als sei sie eine Prinzessin. Die Nachbarn mochten Ivy sie wurde oft zu Tee Bällen eingeladen oder gebeten in der Saint Olaf Kirche zu helfen und sie hatte einen Verehrer, der ihr zu Gefallen schien. Pontius tat so als, bemerke er ihre funkelnden Augen nicht oder das stundenlange herrichten ihres schönen Haares, wenn Mister George Saunders ihr ältester und wohl untalentiertester Schüler freitagabends erschien und mit Sicherheit irgendetwas zerbrach. Pontius hatte sich diskret in der Nachbarschaft nach seinen Leumund erkundigt, er lebte mit seinen Eltern vier Häuser weiter in einer netten Stadtvilla. Er war Hausmakler in der City bei der Jeremias House Agentur. Er las die Times und den Punch sagte der Zeitungsjunge und man sah ihn selten ins Theater gehen und wenn dann mit seinen Eltern und nicht in die Burlesken die Lestrade vorzog.
»Vater hörst du mir zu?«
»Ja aber natürlich höre ich dir zu. Sie muss nicht aus Spitalsfield kommen, du hast recht. Am Ratcliff Highway und in der City gibt es ein paar teure Bordelle aber ich beginne am Ratcliff. Dann hinunter bis zur Tiger Bay irgendwer wird sie bestimmt kennen. Wenn wir den Kopf finden, können wir Plakate drucken lassen.«
Ratcliff Highway und seine unmittelbare Umgebung waren eine der berüchtigtsten Hochburgen der Laster und Gewalt zwischen St. Katherine Docks und Limehouse. Der böse Ruf des Ortes war ein viel kolportiertes Gerücht. Es war ein undurchschaubares Netzwerk von Yardhöfen und Gassen. Tiger Bay wurde es genannt, wegen der unzivilisierten blutrünstigen Art der Erbärmlichen, die dort lebten, wo noch immer Opiumhöhlen bei Tag und bei Nacht geöffnet hatten. Der Preis für den Genuss, Zwei Pence für eine Pfeife, nirgendwo in London war der Rausch so billig zu haben. Es waren immer die gleichen krankmachenden Geschichten immer und immer wieder Raub Gewalt, Messerstechereien. Immer und immer wieder erklärten die Richter empört, das Ratcliff Highway und seine Umgebung eine Schande für die Zivilisation waren. Die Polizei, die ihre Routen zu dritt patrouillierten, konnten nicht einmal die eigene Sicherheit gewährleisten einer der drei Beamten trug einen amerikanischen Revolver bei sich. Aber Seriosität und Nüchternheit hatten, in der Mitte der Grog Shops und der Pubs und Bordelle Einzug gehalten. Das saubere und wirtschaftliche London entdeckte die Tiger Bay als Investitionsanlage.
»Warum gibt dir dein Vorgesetzter immer diese Verrückten? Dein Freund Inspektor Abberline ist ständig in der Zeitung als Sachverständiger, er bekommt die Juweleneinbrüche die großen Diebstähle die Sachen mit Prestige!«
»Abby ist auch unter einem guten Stern geboren und vergiss nie er hat sich in Whitechapel einen guten Namen gemacht, er ist ein guter Polizist und bei ihm weiß der Chiefconstable, dass er sich nicht von den Einbrechern bestechen lässt. Außerdem ist es nicht so das man sich die Fälle bei der Polizei aussuchen kann, ich bin nun einmal diese Woche mit den Wachstuben Rundgängen in Spitalsfield dran. Wer die Leichen findet, hat sie auch am Hals, das ist Tradition im Yard.«
»Weißt du, dass du als Schadenshergangs Prüfer für eine Versicherung 60 Pfund im Monat verdienst? Es tut mir leid um das Mädchen, aber warum gehst du nicht zu einer Versicherung eine respektable ungefährliche Arbeit.«
Ivy setzte sich und sah Irene nachdenklich beim Abspülen zu.
»Kannst du dich mich in einem Büro vorstellen, Versicherungsrisiken prüfen mit langweiligen Stutzern zu tun haben?«, fragte er Ivy.
Sie konnte es nicht. Ihr Vater war nie ein Büromensch gewesen. Er gehörte nicht zu jenen Männern aus der City, die um neun Uhr mit den Droschken die Brompton Street an der Themse entlang rollten. Dabei ständig die Taschenuhr in der Hand hielten und das alles mit gespitzten Lippen und der Besorgnis im Gesicht zu spät ins Kontor oder der Bank zu kommen.
»Da ist ein Brief für dich gekommen von deinem Freund Watson«, sagte sie und Irene brachte das Kuvert von der Küchenanrichte und reichte ihn Pontius. Er riss ihn auf und überflog den Brief.
»Ihm geht es gut er wohnt im King Wellhelm Hotel und fragt ob er dir belgische Schokolade oder belgische Spitze mitbringen soll!«
»Spitze ich könnte mir ein Kleid daraus machen lassen. Belgische Spitze kostet doch sicherlich ein Vermögen?«, Ivys Augen leuchteten und der Inspektor sah ein Hochzeitskleid in seiner Imagination aufflimmern, er verscheuchte diesen abscheuliche Vision der Zukunft.
»Tut sie auch«, brummte er.
»Was hältst du von Mister Saunders?«, fragte seine Tochter unvermittelt.
Lestrade sah vorsichtig auf, »dieser Tollpatsch?«
»Er ist kein Tollpatsch«, verteidigte Ivy Mister Saunders.
Etwas zu heftig nach Lastrades Geschmack, einen langen Kerl von fast zwei Metern, der instinktiv überall den Kopf einzog, wenn er irgendwo eintrat.
»Er ist etwas ungeschickt, das gebe ich gerne zu!«, Ivy lächelte »Hättest du etwas dagegen, wenn ich ihn zum Dinner einlade?«
Pontius schluckte, »welches Dinner?«
»Das Dinner, das wir zum Hauseinzug geben, dein Freund könnte kommen und dann einige nette Nachbarn und dein Freund Abberline mit seiner Gattin!«
»Und wann findet das ganz statt?«
Hutt folgte Doktor Bagster mit klopfenden Herzen, er mochte das Leichenschauhaus nicht das größte seiner Art in London. Sie gingen durch den Innenhof und dann eine schmale Steintreppe hinunter die zum Untersuchungsraum drei des Instituts führte. Bagster führte ihn durch lange Korridore mit weiß getünchten Wänden. Er zweigte durch ein Labor ab das gesäumt war von zahllosen Flaschen, Chemikalien, Retorten, Reagenzgläsern. Auf den Labortischen standen kleine Gasbunsenbrenner mit stechend scharfer blauer Flamme und brannten unter dickbauchigen Gefäßen.
»Doktor Lassalle untersucht den Mageninhalt auf Toxine und Alkohol.«
Hutt spürte stechend scharfe Gerüche oder war es nur ein alles durchdringender Geruch?
»Die Forensik macht schnelle fortschritte, MPA die drei großen Buchstaben der Kriminalistik. Mikroskopie, Pharmazie Anatomie«, vertraute Bagster Hutt stolz an. »Jenseits des Kanals in Europa hat die anatomische Untersuchung eine lange Tradition. Leonardo da Vinci oder Vesilius. John Bell der große Schotte!«
Sie erreichten den Seziersaal drei, ein schlecht gelüfteter Raum stinkend und infektiös, fand Hutt. Der schreckliche Tod, der unerklärliche tot haftete an allem an der Kleidung des Doktors seinen Haaren seiner Haut. Die Teile des Opfers lagen auf der hölzernen Pritsche mit einer Blutrinne in der Mitte. Das Blut rann durch einen Schlauch auf den Boden und verschwand in den Abflüssen, die unter jedem Seziertisch waren.
»Ich seziere a sittu, das heißt, wenn sich die Rokitansky Methode machen lässt. Hier leider«, er wies bedauernd auf Torso, Oberschenkel, Arme. »Winzige Blutflecken in Herz und Rippenfell Gegend sprechen für ein vergiften mit einem Ammonium, der Mörder war so freundlich das Herz im Körper zu lassen und das Rippenfell natürlich.«
Ein Assistent rollte auf einer knarrenden hölzernen Schubkarre eine Leiche zu einem anderen Tisch Hutt wurde übel.
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