Hrsg. Michael Schmidt & Achim Hildebrand
Zwielicht 12
Horrormagazin
Horrormagazin Zwielicht
Band 12
Herausgegeben von Michael Schmidt & Achim Hildebrand
Kontakt: Zwielicht_Magazin@defms.de
Das Copyright der einzelnen Texte liegt bei den jeweiligen AutorInnen
Titelbild: Björn Ian Craig
Unter Verwendung von Elementen aus einer Fotografie von Alessio Lin (linalessio.co)
Lektorat: Marianne Labisch
Dezember 2018
Inhalt
Vorwort
Geschichten
Carrie Laben – Postkarten von Natalie
Max P. Becker – Strandpoesie
Ralf Kor – Schattensaiten
Enzo Asui – Lilith
Wolfgang Rauh – Die Alptraum-Beule
Sascha Dinse – Elysion
Ellen Norten – Der singende Schleier
Julia Annina Jorges – Diese verfluchten kleinen Dinge
Vincent Voss – Mind Fuck
Michael Tillmann - Warum erlöst sie mich nicht, obwohl sie genau weiß, wo meine Knochen verrotten?
Uwe Voehl – Auge um Auge
Jerk Götterwind – Das Geheimnis der alten Seemannskiste
Waldemar Klauser – Bis zum Ende
Karin Reddemann – Die Herzenswünsche der schönen Lilla
Algernon Blackwood – Smiths Untergang
Anna Alice Chapin – Drachental
Tudor Jenks - Phantomschmerz
Artikel
Matthias Kaether – Amazing Stories
Ralf Steinberg – Jenseits sonnendurchfluteter Sommertage
Vincent Preis 2017
Phantastikpreise international 2017
Horror 2017
Autoreninfos
Liebe Leser unheimlicher Literatur,
Das Dutzend ist voll und es kracht gewaltig. Zwielicht 12 ist eine der umfangreichsten Ausgabe unseres Magazins.
Aber es ist nicht nur die Anzahl an Seiten, die Zwielicht 12 zu etwas Außergewöhnlichem macht. Unser Magazin hat sich im Laufe der Zeit gefunden und so sind bei aller Abwechslung und Neuerung auch Konstanten zu erkennen.
Zwielicht ist eigentlich gestartet, um der deutschsprachigen Horror- und unheimlichen Phantastik-Szene eine Plattform zu bieten und Kurzgeschichten zu präsentieren.
Das ist immer noch der Kern unseres Magazins und so zeigen 13 Autorinnen und Autoren ihr Können. Dabei reicht die Bandbreite von den alteingesessenen Stars wie Uwe Voehl, der schon 1978 als Herausgeber und Autor debütierte, bis zu jungen Autoren wie Max P. Becker, der letztes Jahr in der Goblin Press sein Romandebüt gab.
Inhaltlich handeln die Geschichten von Besessenen, von der dunklen Verknüpfung der Rockmusik, aber auch von dem Schleier, der die Welt hinter der Welt zeigt, und es gleitet sogar ins Märchenhafte ab.
Zwielicht bietet aber auch Übersetzungen und so bildet den Auftakt dieser Ausgabe die Gewinnergeschichte des Shirley Jackson Awards 2016, Postkarten von Natalie , eine bemerkenswerte Erzählung wie ich finde.
Drei Übersetzungen schließen auch den Geschichtenteil ab. Lustig-schauriges von Tudor Jenks, ein wenig Dark Romance von Anna Alice Chaplin sowie der Schrecken der Stadt von Zwielicht-Stammautor Algernon Blackwood.
Ich denke, bei all den Geschichten bleibt kein Auge trocken.
Im zweiten Teil berichtet Matthias Kaether vom Magazin Amazing Stories und man kann sehr gut erkennen, dass dieses Pulp-Magazin aus den USA im letzten Jahrhundert zu Unrecht als reines SF-Magazin wahrgenommen wurde. Amazing brachte alle Spielarten der Phantastik und wer nach dem Essay keine Lust hat, in den Ausgaben zu stöbern, dem ist auch nicht zu helfen.
Jenseits sonnendurchfluteter Sommertage vollzog Ralf Steinberg einen Streifzug durch die dunkle Phantastik und das Ergebnis kann sich sehen lassen. Lesetipps en masse, was will das Phantastik-Herz mehr, außer aufzuschreien und zu fragen, wann soll man das denn alles noch lesen.
Abgerundet wird der Essayteil mit der Auflistung des Vincent Preis 2017 samt der Horrorliste 2017 und wir werfen auch einen Blick auf für das Genre Horror und unheimliche Phantastik relevante internationale Phantastikpreise.
Nächstes Jahr wird Zwielicht zehn Jahre alt und wir hoffen, Sie bleiben uns als Leser verbunden. Denn natürlich versuchen wir weiterhin Phantastik auf hohem Niveau zu präsentieren, ohne dabei den Faktor Unterhaltung zu vernachlässigen.
Mit dunklen Grüßen
Geschichten
Carrie Laben – Postkarten von Natalie
Von Natalies ersten sechs Postkarten besitze ich nur drei. Mom gelang es, die anderen drei abzufangen, während ich in der Schule war, oder auf Schicht im Tractor Supply, diesem Baumarkt, in dem ich ab Juli gearbeitet habe. Ich hätte gar nichts von ihrer Existenz gewusst, wenn sie nicht absichtlich dafür gesorgt hätte; sie hob sie auf, bis ich nach Hause kam, zerriss sie in die kleinstmöglichen Stücke, die ihre steifen Fingergelenke hergaben, und zündete sie dann im Aschenbecher an. Sie war wütend auf Nat, aber musste sich damit begnügen, mich zu bestrafen.
Ich schaffte es jedes Mal, ein paar lediglich angesengte Stücke aus dem Müll zu klauben, nachdem sie ins Bett gegangen war, aber Nats Handschrift war so groß und schwungvoll, dass ich nur ein paar Buchstaben oder kurze Wörter erwischte – ein ist oder ich oder auch . Nun wünsche ich mir, ich hätte sie aufgehoben und wieder zusammenzusetzen versucht wie einer dieser Kriminaltechniker im Fernsehen, aber Mom geradeheraus die Stirn zu bieten, erschien mir damals keine gute Idee zu sein. Daher starrte ich sie an, bis ich aus den Buchstaben, und den Bildern auf der Vorderseite, so viel wie möglich in mich aufgesogen hatte, und steckte sie anschließend zurück in den Müll und wusch mir die Hände.
Die drei hingegen, die mich erreichten, während Mom spät arbeiten musste, behielt ich natürlich. Ich versteckte sie in dem Buch Betty und ihre Schwestern , das ich mal von jemandem geschenkt bekommen, aber nie gelesen hatte. Die erste bekam ich, kurz nachdem Nat abgehauen war. Sie stammte aus Ohio, von der Rock and Roll Hall of Fame, und darin stand bloß die Dinge laufen super und sind so verliebt und außerdem noch, dass Keith ihr einen Silberring mit einer Schildkröte aus Onyxsplittern besorgt hatte – also offensichtlich geklaut und nicht gekauft. Sie malte eine Zeichentrick-Schildkröte an den unteren Rand und unterschrieb mit Werd dich immer lieb haben Kleine Mandy – von Nat .
Die zweite war vom Big Bend Familiencampingplatz in Michigan. Vermutlich waren sie schon eine Weile dort, denn sie beklagte sich, dasselbe Motiv zweimal schicken zu müssen. Sie sagte, es gäbe keine besonders große Auswahl. Außerdem reimte ich mir zusammen, dass sie sich unterwegs einen Welpen angeschafft hatten, denn sie war stolz darauf, dass sie „Strider“ fast beigebracht hatte, nicht andere Leute zu bespringen, und das, obwohl Keith ihn lachend dazu animierte. Wir sind jetzt eine richtige Familie! , schrieb sie, und mir schnürte sich für einen Moment die Kehle zu, aber ich konnte doch nicht traurig darüber sein, dass sie glücklich war. So etwas taten nur Menschen wie Mom. Und da sie erneut mit Werd dich immer lieb haben Kleine Mandy unterschrieb, wobei sie das ‚a‘ in Mandy in ein Herz verwandelte, fühlte ich mich besser.
Die dritte stammte aus dem Sleeping Bear Dunes-Nationalpark in Wisconsin. Noch bevor ich die Worte las, erkannte ich, dass etwas passiert war, denn obwohl Nat noch immer eine große und zur Seite geneigte Handschrift besaß, wirkten die Buchstaben schmaler und zittriger. Ich versteckte mich im Bad und las sie bei laufender Dusche, falls ich zu abgelenkt war, um Moms Heimkehr zu hören.
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