Michael Schmidt (Hrsg.)
Zwielicht Classic
12
Magazin für phantastische Literatur
Das Titelbild stammt von Oliver Pflug
Horrormagazin Zwielicht Classic
Band 12
Herausgegeben von Michael Schmidt
Kontakt: Zwielicht_Magazin@defms.de
Das Titelbild stammt von Oliver Pflug
Das Copyright der einzelnen Texte liegt beim jeweiligen Autor
Das Copyright der Zusammenstellung liegt beim Herausgeber.
2. Auflage Dezember 2017
Inhalt
Vorwort
Torsten Scheib - Das Schreien der Kröten (2013)
Julia Annina Jorges - Wo deine Schuld vergeben ist (2016)
Karin Reddemann - Zeit der Kniestrümpfe (2015)
Jürgen Gabelmann - Endstation (2015)
Ellen Norten - Der lange Marsch der Wolkenkratzer (2011)
Hubert Katzmarz - Der Aufenthalt (2013)
Marina Heidrich - G2 Alpha (2015)
Nadine Muriel – Wohnung Nummer Acht (2009)
Manfred Lafrentz - Rabe (2006)
Michael K. Iwoleit - Das Ende aller Tage (2014)
Nina Horvath - Die Duftorgel (2011)
Achim Hildebrand - Sand in den Augen (2004)
Daniela Herbst - Die Petition (2015)
Karin Reddemann - Die dunkle Muse (2017)
Vincent Preis – Die bisherigen Preisträger
Quellennachweise
Mitwirkende
Liebe Leser,
Die zwölfte Runde Zwielicht Classic und fast neigt man dazu zu sagen, dass sich der Kreis schließt. In Ausgabe 1 war Nina Horvath mit der Geschichte Hell dunkel, dunkel hell vertreten, für die sie 2005 für den Deutschen Phantastik Preis nominiert war und den 2.Platz erreichte. 2012 gewann die Österreicherin mit Die Duftorgel endlich den DPP. Die Duftorgel ist eine reine SF Geschichte, passt aber wie ich finde sehr gut zu Zwielicht Classic und ist eine wirklich bemerkenswerte Story.
Neben Zwielicht und Zwielicht Classic gebe ich auch die Reihe Fantasyguide präsentiert heraus. In deren ersten Band Der wahre Schatz ist eine Geschichte von Michael K. Iwoleit enthalten, umso mehr freue ich mich, den Autor mit seiner Endzeitstory Das Ende aller Tage zu begrüßen. Das Ende aller Tage ist keine Geschichte, die man in einem Magazin für unheimliche Phantastik erwarten würde. Dort sind normalerweise Zombies, Viren und deren Folge zu bestaunen. Zwielicht Classic geht da einen anderen Weg und zeigt, dass der Phantastik auch philosophische Themen gut zu Gesicht stehen.
Natürlich bieten wir auch unheimliche Unterhaltung. Ob Altenheim oder ein besonderes Haarmittel, eine Reise nach Übersee, ein Märchen über Wolkenkratzer oder ein Blick ins Jenseits, die Themen sind wie immer vielfältig und trotzen aktuellen Trends, ohne sich ihnen zu verschließen.
Hubert Katzmarz wurde mit seiner Geschichte Thuban überraschenderweise für den Kurd Laßwitz Preis nominiert. Für regelmäßige Leser von Zwielicht Classic ist Hubert kein Unbekannter und so freuen wir uns, dass Ellen Norten, die seinen Nachlass verwaltet, uns erneut eine Geschichte zur Verfügung stellt.
Ein letztes Wort noch in eigener Sache: Wie unschwer zu erkennen ist, hat sich der Veröffentlichungsrhythmus von Zwielicht Classic verringert. Fingen wir mit drei Ausgaben im Jahr an, wird es in diesem Jahr 2017 wohl bei dem vorliegenden Band bleiben.
Es tummeln sich doch sehr viele Anthologien auf dem Markt und eine Reihe mit Nachdrucken ist wohl nur für einen kleinen Kreis von Liebhabern interessant. Es finden sich zwar immer wieder neue Leser für Zwielicht Classic, aber interessanterweise startet der Großteil davon seine Lektüre mit dem ersten Band.
Wir wünsche viel Vergnügen mit der Ausgabe. Über Feedback zu Zwielicht Classic 12 würde ich mich natürlich sehr freuen. Sendet einfach eine E-Mail an Zwielicht_Magazin@defms.de.
Geschichten
Torsten Scheib - Das Schreien der Kröten (2013)
„Weiter fahr’ ich nich’“, verkündet der Taxifahrer, verschränkt seine muskulösen Arme und lehnt sich zurück. Dank seiner fleckigen Schiebermütze, dem rostroten Haar und dem karmesinfarbenen Vollbart haftet ihm was von Hausmeister Willie aus den Simpsons an. Exklusive des schottischen Akzents. Stattdessen hat er diesen fiesen Neu England-/Massachusetts-Slang drauf, der mir schon bei meiner Ankunft in Boston das Leben schwer gemacht hat. Ich bin eben nur ein ahnungsloser Europäer – und habe leider kein linguistisches Studium belegt.
Wegen der lokalen Dialekte habe ich auch nicht den weiten Weg aus Deutschland auf mich genommen. Was ich suche ist … wesentlich heikler, unheimlicher.
Für einen kurzen Moment gibt es nur das monotone Röhren des Motors. Schließlich beuge ich mich vor. Öffne das Trennfenster ein Stück. Der Rollkragen meines Pullis kratzt.
Kein Problem“, verkünde ich und hole die Geldbörse aus der Gesäßtasche. Damit war zu rechnen. Praktisch jeder ist mir bislang mit herzlicher Unfreundlichkeit, bisweilen sogar unverhohlener Feindlichkeit begegnet, nachdem ich meine Zieldestination verkündet hatte. Manche hatten sogar regelrecht Schiss. Als würde ich kein winziges Hafenstädtchen, sondern Tschernobyl besuchen.
Ist wahrscheinlich nur so ein lokaler Aberglaube , sage ich mir. Nicht zum ersten Mal. Ein bisschen mulmig ist mir trotzdem zumute. Als der Fahrer das moderate Rascheln der Geldscheine bemerkt, verkündet er den dreistelligen Betrag. Ich bin nicht überrascht. Das ist der Preis, wenn man anstelle eines Greyhoundbusses mit dem Yellow Cab raus in die Provinz fährt. Obwohl ich damit gerechnet habe, wird die Summe mir dennoch ein gehöriges Loch in die Reisekasse reißen. Als gebeutelter Physikstudent hat man es nun mal nicht so dicke.
Gut möglich, dass dies auch ein Trip ohne Wiederkehr sein wird , wispert ein arglistiges Teufelchen irgendwo in meinen grauen Windungen. Halt’s Maul, Teufelchen.
Ich reiche dem Fahrer den Betrag – plus Trinkgeld versteht sich – und steige aus. Im gleichen Augenblick springt der Kofferraum auf. Rasch schultere ich meinen Rucksack und trete etwas zurück, als das staubige Taxi wendet und die Heimreise antritt. Ich blicke ihm nach, bis es hinter einem Hügel verschwunden ist.
Dann mal los. Seufzend setze ich mich in Bewegung. Kies knirscht unter meinen Füßen. Zum Glück sind die Temperaturen angenehm, frühlingshaft. Nur … es fühlt sich nicht gerade wie Frühling an. Die Luft riecht sonderbar, abgestanden. Die Felder wirken brach, als hätte man sie schon vor Jahren aufgegeben. Viele der Bäume wirken kränklich, mitunter verkümmert. In der arthritisch anmutenden Krone einer viel zu dürren Birke äugt eine einsame Schwarzkehlnachtschwalbe auf mich hinab. Fast scheint es, als würde sie mir einen drohenden Blick nachwerfen. Dann bemerke ich den hüfthohen Findling daneben. Er ist nahezu vollständig mit Moos bewachsen, dessen Farbe mich unweigerlich an die wirre Gesichtsbehaarung des Taxifahrers denken lässt. Und diese sonderbaren Streifenfarne, die in ihrer Form Seesternen ähneln und deren Blätter … etwas Tentakelhaftes besitzen … Mit den Fingern streife ich über eines der Blätter – und zucke zurück. Habe ich es mir nur eingebildet oder hat das Blatt gerade eben nach meinem Zeigefinger geschnappt wie eine gottverdammte Venusfliegenfalle? Offenbar steckt mir der lange Flug noch in den Knochen. Jetlag, was auch immer. Nicht zu vergessen –
Mir stockt der Atem, als ich das Quaken höre. Sonor, gleichmäßig.
Furcht einflößend.
Durch meine Venen strömt Eiswasser. Ich schwitze und friere zugleich, während sich mein Magen auf die Größe einer verschrumpelten Rosine zusammenzieht. Himmel, selbst das Schlucken fällt mir schwer.
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