Schweigend wurde die Teestunde fortgesetzt. Aber es lag in der Luft, dass noch nicht alles gesagt worden war, was gesagt werden musste.
„Den Gewinn könnten wir durchaus gebrauchen, So gut liefen in letzter Zeit die Geschäfte nicht“, brach Elisabeth Grubendorff die Stille.
Während Walter ein Marzipangebäck auf der Zunge zergehen ließ, nickte er langsam zustimmend. Das dichte, langsam grauwerdende dunkle Haar rutschte in seine Stirn, wurde aber von der rechten Hand sofort vertrieben. Die aus Messing gefertigte Wanduhr schlug die halbe Stunde an. Walter griff an die Tischplatte und wollte seinen Stuhl zurücksetzten, als seine Gattin erneut die Stille durchbrach.
„Es ist ein Glück für mich und die Firma, dass es dich gibt. Theo, Gott habe ihn selig, hatte nicht so ein glückliches Händchen gehabt, so wie du. Deine Kapitalspritze und dein Können haben das Schlimmste damals abgewendet.“ Sie streichelte zärtlich seine Hand und sah in liebevoll an.
Walter räusperte sich leicht. Ihm war dieses Thema peinlich. Wie zur Entschuldigung erwiderte er: „Theo war ein Techniker, ich bin ein Kaufmann. Es wäre am besten, man wäre beides.“
„Aber wir haben ja zwei gute Bauleiter. Heinz Baselitz kennt den Betrieb von der Pike aus und Jürgen Tannfelder hat das Fach studiert. Sie gehen dir zur Hand.“ Elisabeths Stimme klang beruhigend. „Sie kennen die Grubendorff GmbH aus dem Effeff.“
„Dies ist der Punkt, über den ich mit die eigentlich nicht sprechen wollte. Aber ich denke, es muss sein. Ich glaube Baselitz betrügt unsere Firma.“
„Was!“ Elisabeths Gesicht zeigte helles Entsetzen. „Dies ist doch undenkbar.“
Grubendorff drehte den Teelöffel hin und her. „Wir haben ihm doch vor 18 Monaten eine Abmahnung geschickt. Damals konnte er glaubhaft machen, was wir nicht widerlegen konnten, dass jemand von den Arbeitern die Belege verlegt hatte. Seit dem ist er dafür selber verantwortlich. Nun hat der Revisor Thomas Weidenfeld einen Vergleich zwischen den Materialeinkäufen und den eingebauten und in Rechnung gestellten Mengen vorgenommen. Die Differenz ist gewaltig. Sogar die Arbeiter munkeln, er renoviere mit unserem Material das Haus seiner Eltern. Ich werde ihn morgen mit unserem Rechtsanwalt und Herrn Weidenfeld in mein Büro bestellen. Kann er mir die Unstimmigkeiten nicht erklären, dann müssen wir ihn fristlos kündigen.“
Frau Grubendorff bedeckte mit ihren Händen ihren Mund. „Wenn du recht hast, dann sollten wir es machen. Schade. Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie er bei uns angefangen hat. Er war ein sehr aufgeweckter Kerl. Bei Theo hat er immer den besten Eindruck hinterlassen. Deshalb hat die Firma ja auch seinen Meisterkurs bezahlt. Und durch seine Erfolge für die Firma hat Theo ihn schließlich zum Bauleiter ernannt, obwohl er nicht wie Tannfelder ein Ingenieurdiplom erworben hatte.“
Walter zuckte mit den Schultern. Du weißt doch, wie es beim Bauen ist. Die eigenen Wünsche steigen mit der zur Auswahl stehenden Einrichtung. Das kostet Geld. Entweder man spart, dann heißt das Baustopp, oder man senkt die anderen Baukosten. Und die schnellste Möglichkeit der Kostensenkung ist der Diebstahl von Baumaterial.“
Duisburg Mitte
Die Zahl der Leute, die sich auf der Fußgängerzone bewegten, hatte zugenommen. Der Feierabend stand bevor und es galt wohl noch, Besorgungen zu machen. Eine andere Gruppe hatte sich bei den Cafes und Imbisstuben eingefunden, die eine Überdachung hatten. Diese wollten durch Müßiggang ihren freien Nachmittag genießen. Die Luft hatte sich aufgeklart. Durch eine dünne Wolkenschicht war die Sonnescheibe zu erkennen. Sie hatte aber offenkundig noch nicht die Kraft, diese milchige Schicht aufzulösen.
Gallowayy hatte in der Einkaufspassage eine Gruppe von Jugendlichen angesprochen und so erfahren, wo in der Nähe ein Internet-Cafe zu finden war. Die Jungen trugen die Baseballkappe mit dem Schirm nach hinten, wie er es aus New York her kannte. Die Gruppe hatte sichtlich Langeweile und sie schubsten sich gegenseitig, liefen auseinander, um einen störenden Angriff auszuweichen. Aber sie kamen immer wieder zusammen, um das Spielchen aufs Neue fortzusetzen. Keiner nahm die Attacke des anderen wirklich übel. Statt dessen lachten sie, wenn der Geschubste eine unglückliche Figur machte. So harmlos hätte dies bei ihm zu Hause nicht ausgesehen. Der Stärkste langte richtig zu und der Geschlagene hatte dies hinzunehmen.
Nun saß er vor einem Rechner, einen Pappbecher schwarzen Kaffee an seiner Tastatur. Die Räumlichkeiten des Internetcafes wirkten dürftig. Die Wände waren in einem hellen Grün gestrichen. An den Wänden waren einige Filmplakate mit Heftzwecken angeheftet. Eines kannte der Amerikaner. Es war ein Werbeplakat aus dem Film Titanic. Die Leute, die diesen Ort besuchten legten weniger Wert auf Ambiente, denn auf Übertragungsraten. Die Verbindung zum Internet war rasch hergestellt. Während er sich eine Zigarette ansteckte, loggte er sich in das Telefonverzeichnis der Bundesrepublik Deutschland ein. Unterbrochen nur von einigen Schlücken warmen Kaffees, stellte er fest, dass hier unter >Waldfels< immer noch nichts zu finden war. Aber das war kein Problem – noch kein Problem. Sein neuer Geschäftspartner würde hier bestimmt etwas finden, schließlich kannte er sich ja hier aus. Wenn dieser ähnliche Möglichkeiten hier hat, wie er in NY, dann war dies wahrscheinlich.
Er wechselte zu einer Suchmaschine. Der Amerikaner tippte eine Menge Namen oder deren Kürzel in die Maske, verwarf aber alle diese Versuche wieder, wenn die Anzeige >keine Treffer<, oder falsche Ergebnisse meldete. Mit einem tiefen Zug trank er den Rest des Kaffees aus, bevor dieser kalt zu werden drohte. Er presste die Finger beider Hände gegen seine Lippen und wartete auf eine Eingabe. Aber er hatte nichts, was ihn spontan so einfiel. Vielleicht würde ein frischer Kaffee helfen. Aber zwei weiter Tassen, gefolgt von einigen Zigaretten, brachten nicht den erwünschten Erfolg.
Verdammt! Wie würde er vorgehen? Alle kochten mit Wasser, also Dave Burroughs auch. Dieser war zwar clever, aber jeder Mensch hielt an seinen liebgewordenen Gewohnheiten fest. Da war er sich sicher. Warum sollte Burroughs sich anders verhalten? Diese Spur brachte ihn im Moment nicht weiter, also loggte Gordon sich in seinen Rechner zu Hause in der 85. Straße ein. Er lud einige Files auf das Display und überarbeitete diese. Aber seine Gedanken kreisten weiter, worum er sich in Deutschland befand. Schließlich beendete er die Verbindung nach New York.
Hatte er etwas übersehen, oder gab es wirklich keine Spur? Er war der Einzige, der überhaupt auf die deutsche Spur gestoßen war. Lag er denn damit so falsch? Er war dieses Risiko eingegangen, auch wenn ihn dies bislang schon eine Stange Geld gekostet hatte. Wenn er aber richtig lag, dann würden einige Riesen für ihn herausspringen. Die Spur führte nach Duisburg, musste nach Duisburg führen. Da war er sich sicher. Deshalb war er hierher geflogen. Auf einmal kam ihm ein Gedanke, der ihn vielleicht weiter bringen könnte. Es gab da doch noch den Vetter zweiten Grades. Eigentlich hatte dieser mit der Angelegenheit nichts zu tun. Es war zwar unwahrscheinlich, ob ihn dies weiter bringen würde, aber wenn er schon einmal hier war? Gordon alter Junge, lass dich nur nicht hängen, dachte er.
Gallowayy wechselte zum Telefonverzeichnis, tippte den Namen >Bürger< in die Maske des Hausnamens. 79 Treffer meldete der Rechner und zeigte diese in einem weiteren Fenster an. Mit einigen wenigen Tastenkommandos schränkte er den Suchbereich auf den Bereich Duisburg und 50 Km Umkreis ein. Und siehe da, die Anzahl der Treffer sank auf 11. Zwei davon wohnten gar in Duisburg. Er notierte sich alle Adressen in einem kleinen Schreibblock. Ein Ausdrucken wollte er vermeiden, möglicher Spuren wegen.
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