So hatte er sich also heute den Dienst selbst verkürzt, war nach Hause gefahren, hatte seine Sportsachen gepackt und war nun auf dem Weg zum Volleyball. Heute hatte er genügend Zeit, sich auf die zwei Stunden Sport vorzubereiten. Er hatte sich vorgenommen, seine Aufwärmphase statt durch Runden in der Sporthalle diesmal durch einen Dauerlauf im nahen Grüngürtel von Walsum zu gestalten. Dann würde er einige Sprungtechniken üben können, bevor der Trainer eintraf.
Er war tatsächlich der Erste. Er zog sich um und verstaute seine Zivilsachen in seinem Wandschrank. Er machte gerade vor draußen vor der Sportstätte einige Lockerungsübungen vor seinem geplanten Dauerlauf, als ein Audi 100 in silbermetallic Lackierung in die Parkbucht der Sportanlage einbog. Das war Jens Hasslinghaus, der Vorsitzende des VV Walsum. Mikael wunderte sich, was den so früh hierher brachte.
Hasslinghaus war Systemtechniker bei der Deutschen Telekom. Knoop meinte zu wissen, dass er graduierter Informatiker war. Hasslinghaus hatte ein schönes und beknacktes Leben zugleich. Schön war das Leben, wenn die Computer seiner Kunden, die er betreute, alle funktionierten. Er lebte die meiste Zeit seiner Arbeit auf Abruf. Dann konnte er quasi machen, was er wollte: Zu Hause bleiben, Einkaufen, Sport treiben. Spielte aber ein Computer verrückt, dann war Hasslinghaus Tag und Nacht gefordert. Dieses war die beknackte Seite seines Berufs. Dann fragte keiner danach, ob er fünfzehn Stunden arbeitete und nur zu fünf Stunden Schlaf kam um dann erneut stundenlang weiterarbeiten zu müssen. Das, was die Rechner steuerten, war höchst kostenintensiv, ging schnell in die Millionen Euro. Ein fieberhaftes Ingangsetzen war dann Gegenstand seiner Tätigkeit. Dazu kam, dass alle aufgeregt waren: Die Mitarbeiter seines Kunden, deren Kunden und schließlich auch sein Chef. Alle lagen ihm dann in den Ohren. Dies bedingte, Nerven wie Drahtseile zu haben. Und Knoop konnte sich an keine Situation erinnern, bei der Jens Hasslinghaus die Geduld verloren hätte. Für diese Ruhe beneidete Knoop ihn. Ja, er war für ihn ein Vorbild. Vieles, was er von Jens gelernt hatte, konnte er erfolgreich in seinem Beruf umsetzen. Denn in Vielem gleichen sich ihre beiden Berufe. Auch Knoop kannte Phasen geringer Anspannung, so wie im Moment. Geschah aber ein spektakulärer Mord, dann spielte alles verrückt: Die Medien, die Öffentlichkeit, die Betroffenen und letztendlich die Politiker und Vorgesetzten. Auch in einem solchen Fall galt es Ruhe zu bewahren. Mit geregelter Arbeitszeit konnte man dann Keinem kommen. Hier Hasslinghaus als Beispiel zu kennen, war ein gewaltiger Vorteil.
Sie begrüßten sich durch Abklatschen ihrer offenen Hände. Nachdem beide sich gegenseitig berichtet hatten, was sie im Moment vorhatten, griff der Vorsitzende zu seiner Sporttasche, ließ sie aber aus geringer Höhe wieder fallen.
„Miki, was ich dich schon immer fragen wollte ...“
Knoop brach den Start zu seinem Erwärmungslauf ab und kam erneut auf Hasslinghaus zu, ohne etwas zu erwidern, signalisierte aber Interesse, was da auf ihn zukommen würde.
„Miki, was ich dich fragen will. Kannst du dir vorstellen, Vorstandsarbeit zu übernehmen? Weißt du, ich frage lieber vorher, dann kann ich dem Vorstand und den Mitgliedern jemanden vorschlagen, der bereit ist, die Aufgabe zu übernehmen und der dazu auch geeignet ist. Ich könnte mir vorstellen, dass du mit deiner Art und Weise, wie du mit den Kollegen umgehst, dazu geeignet bist.“
Mikael konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen: „Mit Speck fängt man Mäuse. Zuerst Loben, damit ein Dummer dann leichter die Arbeit macht.“
„Ich glaube, dies siehst du falsch. Deine Dummen, die können immer arbeiten. Die müssen dafür nicht im Vorstand sein. In unseren Vorstand gehören Köpfe. Natürlich muss man auch bereit sein anzufassen. Vorbildfunktion, du verstehst? Aber wir brauchen Leute mit Ideen.“
Hasslinghaus griff Mikael an den Oberarm und führte ihn ein wenig zur Seite.
„So geheimnisvoll“, fragte Mikael.
„Muss ja noch keiner wissen, Ich verlasse mich dabei auch auf deine Verschwiegenheit. Unser Kassierer scheidet bei der nächsten Mitgliederversammlung aus. Er zieht aus beruflichen Gründen nach Brunsbüttel um. Verständlicherweise kann er dann nicht mehr sinnvoll unsere Kasse verwalten. Der Beisitzer Jürgen Rohde ist bereit, diese Arbeit zu übernehmen. Aber wir brauchen nun einen neuen Beisitzer und da habe ich an dich gedacht.“
Knoops Gesicht wurde bei den Ausführungen seines Vorsitzenden immer nachdenklicher.
„Muss ich mich jetzt festlegen Jens? Ich würde das gerne mit Christel besprechen, aber es ehrt mich, dass du mir einen solchen Posten zutraust.“
„Kein Problem.“ Hasslinghaus wollte sich gerade wieder zu seiner Sportasche bücken, als er zögerte und sich wieder aufrichtete. „Da ich dich gerade am Schlips habe. Am nächsten Samstag haben wir eine Einladung zu einem Freundschaftsspiel. Drei Spiele mit anschließendem Grillen. Kannst du mitmachen?“
Knoop zögerte erneut. Ich muss Christel fragen, ob wir da etwas vorhaben. Ist ja etwas kurzfristig.“
„Auf unserer Homepage steht dieses Turnier aber schon zwei Wochen.“
Knoop fiel ein, dass er es versäumt hatte, auf die Homepage des Vereins zu schauen, eine Homepage, die Hasslinghaus selbst geschaffen hatte.
„Du, das muss ich übersehen haben.“
„Bis Donnerstag muss ich Bescheid wissen.“
„Du Jens, ich rufe dich an, wenn ich heute mit Christel gesprochen habe.“
„Miki, dann weißt du ja auch mehr über den Vorstandsposten.“
Knoop nickte und schaute auf seine Uhr. „Schade, jetzt ist es für mein Warmup an der frischen Luft zu spät. Jetzt bleiben mir nur die Runden in der Sporthalle.“
Jans grinste über beide Ohren. „Ja Miki, jetzt lernst du schon die Belastungen von Vorstandsarbeit kennen.“
Wesel Büderich
Hartung hatte in Erfahrung gebracht, dass auf dem Schützenfest in Büderich eine Kapelle spielen würde. Es war heutzutage schwer, eine Veranstaltung zu finden, auf der überhaupt noch eine Kapelle spielte. Er glaubte, dass die Diskotheken mit ihrer elektronischen Musikwiedergabe den Kapellen den Todesstoß versetzt hatten. Er konnte sich nicht mehr daran erinnern, wann er das letzte Mal überhaupt getanzt hatte, bei der eine Kapelle aufgespielte. Sicherlich er war ein Tanzmuffel, aber dies lag viel an den mangelnden Gelegenheiten. Aber die Frauenbekanntschaften, die er suchte, legten alle Wert auf Gespräche. Umarmungen gab es eigentlich nur im Bett und hier war der Rhythmus ein anderer als beim Tanzen. Aber Tilly hatte darauf bestanden. Ihre Bedingung war sogar, dass man vorher exquisit Speisen musste. Zudem kam dann noch ihr Honorar, wenn man es so bezeichnen wollte. Da Hartung an diesem Samstag sowieso nichts vorhatte und er den Gedanken, doch mal wieder tanzen zu können, als Abwechslung empfand, hatte er Tillys Wunsch zugestimmt. Seine Extraausgaben hatte sie damit begründet, dass ihre Informationen eine Sensation wären. Und wenn sie Tonius Hartung nicht lieben würde, dann müsste sie glatt das Doppelte an Bezahlung bekommen. Dieses machte Hartung neugierig, denn Therese hatte ihn bei ihren Hilfstätigkeiten nie hintergangen. Sicherlich, sie hatte das Verhältnis von Bezahlung und Vergnügen vorgegeben. Aber sie war immer auf dem Maß des Tragbaren geblieben. Und über die Höhe der Bezahlung machte sich Tonius keine Sorgen. Waren die Informationen von Tilly das wert, wie sie behauptete, dann müsste der Amerikaner dies eben bezahlen und den Aufschlag für ihn eben mit.
Der Samstagabend hatte im Königshof angefangen. Der Königshof in Wesel war ein Lokal bürgerlicher Qualität. Es war exquisit eingerichtet, so im mediterranen Stil, aber die Portionen waren gewaltig. Wer lecker und gepflegt speisen wollte, der kam hier her. Tilly bestellte sich ein Straußensteak mit >Pommes< und Salat. Sie war überglücklich. In Ihrem Leben hatte sie noch nie Fleisch vom Straußen auf dem Teller gehabt. Hartung selbst hatte ein Sojaschnitzel mit dicken Bohnen und Pellkartoffeln verlangt. Es waren ihm nach dem jüngsten Fleischskandal die Bilder der zahllosen eingesperrten Viecher immer noch in Erinnerung. Auch die Berichte, was man bei dieser Massentierhaltung so alles in die Kreaturen hineinspritzte, hatten ihn angeekelt und ihm den Genuss von Fleisch für lange Zeit verdorben. Aber er war kein militanter Veganer. Jeder sollte seiner Meinung nach essen, was der Körper an Gift verkraftete oder nicht. Jeder steckte in einer eigenen Verpackung, die zugleich sein persönliches Gefängnis war. Im Lautsprecher des Restaurants erklang dezent eine Instrumentalversion von Stranger in the Night.
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